Deutsche Nationalbibliothek

"Mit dem Medienwandel Schritt halten"

23. Juli 2015
von Börsenblatt
In diesem Jahr feiert die Deutsche Nationalbibliothek ihren 100. Geburtstag – mit zahlreichen Veranstaltungen in Leipzig und Frankfurt. Und macht sich weiter für die Zukunft fit. Ein Interview mit Ute Schwens, Frankfurter DNB-Direktorin, über E-Books und Deutsche Digitale Bibliothek. In Frankfurt sind die DNB-Projekte rund um digitale Bibliotheken angesiedelt.

100 Jahre Deutsche Nationalbibliothek – wie feiern sie das Jubiläum? Können Sie einige Highlights nennen?
Ute Schwens: Am Leipziger Standort haben wir die neue Dauerausstellung im Deutschen Buch- und Schriftmuseum "Zeichen – Bücher – Netze. Von der Keilschrift zum Binärcode" eröffnet. Und kürzlich hat der Börsenverein seine "Historischen Sammlungen" an unseren Standort in Frankfurt übergeben. Ende Juni veranstalten wir in Leipzig zwei Open-Air-Konzerte. Mit dem Deutschen Literaturarchiv Marbach konzipieren wir die Ausstellung "Fremd bin ich den Menschen dort" – zu sehen ab Ende August in Frankfurt am Main. Und natürlich gibt es einen Festakt, am Vorabend unseres Gründungstages, am 2. Oktober in Leipzig. Dazu kommen viel mehr Veranstaltungen, wie etwa Tage der offenen Tür (in Frankfurt der nächste übrigens am 6. Mai), Führungen und Fachveranstaltungen. Alles zu finden auf unserer Jubiläumswebsite.

Die ersten 100 Jahre sind gemeistert – welche Herausforderungen stellen die kommenden Jahre?
Für die Zukunft wird es von großer Bedeutung sein, mit dem Medienwandel und dem sich verändernden Publikationsverhalten Schritt zu halten. Die Gesetzesnovellierung aus dem Jahr 2006, mit der Onlinepublikationen in den Sammelauftrag der Deutschen Nationalbibliothek aufgenommen wurden, hat dafür die Weichen gestellt.

Apropos Onlinepublikationen – was steht dort konkret an?
Es gilt, die nötigen Verfahren zu entwickeln, mit denen Onlinepublikationen gesammelt, erschlossen und dauerhaft bewahrt werden können. Das Aufgabenspektrum reicht dabei von der Einrichtung automatischer Sammelprozesse über die wenigstens teilautomatisierte Bearbeitung der Veröffentlichungen bis zu deren dauerhafter Erhaltung. Damit elektronische Publikationen zukünftig genutzt werden können, müssen ja nicht nur die Datenträger mit ihren Informationen erhalten werden, es müssen zusätzlich auch die Wiedergabemöglichkeiten, etwa zeitgemäße Software vorgehalten und auf zukünftiger Technologie funktionsfähig gemacht werden.

Auf welchem Weg gelangen Onlinepublikationen in die Bibliothek?
Dafür gibt es verschiedene Verfahren und Schnittstellen, die den Bedürfnissen der Ablieferer gerecht werden. So ist es natürlich ein Unterschied, ob nur gelegentlich eine Onlinepublikation abgeliefert werden soll oder ob sich der Aufwand zur Einrichtung eines weitgehend automatisierten Verfahrens für die Ablieferung einer großen Zahl von Onlineveröffentlichungen lohnt. Dabei kooperieren wir übrigens intensiv mit den ablieferungspflichtigen Verlagen.

Sollen einmal alle Bestände der DNB digitalisiert und online zur Verfügung gestellt werden?
Alle Bestände zu digitalisieren wäre ein gewaltiges Unterfangen bei einem Bestand von 27 Millionen Medieneinheiten. Wir haben das nicht vor, schon deshalb nicht, weil unser Auftrag lautet, die Veröffentlichungen "im Original" dauerhaft zu bewahren. Es geht dabei nicht nur um die intellektuellen Inhalte, sondern auch um Fragen der Buchgestaltung, des Papiers, der Haptik. All der künstlerischen und handwerklichen Faktoren also, die neben dem Inhalt ein gutes Buch ausmachen.

Die Werke online zu veröffentlichen wird uns ohnehin nicht in dieser Weise möglich sein. Dem stehen die Rechte der Urheber und die Verwertungsinteressen der Verlage, die unseren Bestand mit der Ablieferung von Pflichtexemplaren doch erst ermöglichen, entgegen.

Aber welche Texte können denn die Nutzer online lesen?
Es gibt durchaus Werke, die wir auch online anbieten können. Wissenschaftliche Arbeiten und unter Open Access veröffentlichte Werke zählen dazu, deren Rechteinhaber uns bei der Ablieferung ermächtigen, die Werke im Internet zugänglich zu machen. Diese Veröffentlichungen bringen wir in die Deutsche Digitale Bibliothek und die Europeana.

Wie viele Titel hat die DNB bislang in die landesweite "Deutschen Digitalen Bibliothek" eingebracht? Wann ist das Projekt abgeschlossen?
Wir haben schon mehr als 100.000 Titel gemeldet, das sind vor allem die Daten der frei zugänglichen Online-Dissertationen und weitere wissenschaftliche Werke. Grundsätzlich machen wir über die Deutsche Digitale Bibliothek und die Europeana alle digitalen Werke zugänglich, bei denen die Rechteinhaber dies gestatten. Das Projekt, die Projektphase der Deutschen Digitalen Bibliothek ist abgeschlossen, wenn der Regelbetrieb startet. Inhaltlich wird die Plattform immer weiter wachsen und ein immer größeres Angebot für die Nutzung bereithalten.

Sind Sie als Leiterin der Fachgruppe "Deutsche Digitale Bibliothek" in der DNB allgemein mit dem Stand der Initiative zufrieden?
In Anbetracht der kurzen Zeit, die wir seit der Mittelbereitstellung für das Projekt hatten, auf der einen Seite und den hohen Anforderungen an die Funktionalitäten der DDB auf der anderen Seite bin ich mit den Fortschritten zufrieden. IT-Projekte dieser Größenordnung brauchen Geduld und Ausdauer. Das Portal soll, nicht zuletzt als nationaler Aggregationspunkt für die Europeana, möglichst schnell den Betrieb aufnehmen. Das darf jedoch nicht zu Lasten einer gründlichen Entwicklung gehen. Die hohen Erwartungen, auch von politischer Seite, sollen erfüllt werden.

Wie werden elektronische Ressourcen aufbewahrt? Bevorzugen sie ein bestimmtes Datenformat?
Wir sammeln auch hier im Originalformat, wobei wir derzeit aber noch nicht alle denkbaren Formate annehmen können. Gesammelt werden gegenwärtig Objekte, die im PDF- oder EPUB-Format vorliegen. Metadaten erreichen bei allen Verfahren zeitgleich mit den Objekten die Bibliothek, sie werden in Katalogeinträge umgewandelt und sind sofort im Katalog sichtbar; die Publikationen werden archiviert.

Über allem schwebt ja die Gefahr der "begrenzten Haltbarkeit" von Datenträgern? Welche Maßnahmen ergreift man hier?
Dem kann man nur durch Umkopieren begegnen, das machen wir auch so. Eines der Projekte in diesem Bereich ist die Sammlung der Musik-CDs im Deutschen Musikarchiv. Da sie vom Zerfall bedroht sind, kopieren wir sie derzeit um.

Denken Sie, dass der Anteil von E-Books irgendwann einmal denjenigen von gedruckten Büchern in der DNB überundet? Wie hoch ist der Anteil etwa momentan?
Derzeit ist der Anteil noch gering. Kürzlich haben wir aber die erste halbe Million Onlinepublikationen in unserer Sammlung überschritten. Wie sich das weiterentwickelt, ist eine der spannenden Fragen unserer Arbeit.

Laufen noch weitere digitale Projekte?
Wir sind mit einer Vielzahl von Projekten in diesem Themenfeld engagiert. Beispielhaft wären etwa Projekte zur automatisierten Erschließung digitaler Publikationen, die Sammlung von E-Paper Ausgaben deutscher Tageszeitungen, Verbesserungen und Erweiterung unseres Internetportals  mit Verbesserungen des Bereitstellungssystems für digitale Veröffentlichungen zu nennen.

Plant die DNB für dieses Jahr etwas Neues in diesem Bereich?
Das oben genannte Arbeitsspektrum bindet bereits den größten Teil der Kapazitäten und wird uns auch noch einige Zeit beschäftigen. Als wirklich neu fällt mir ein, dass wir in diesem Jahr beginnen, die Bestände der Sondersammlungen Deutsches Buch- und Schriftmuseum sowie Deutsches Exilarchiv digital für das Netz aufzubereiten, damit Nutzerinnen und Nutzer einen besseren Einblick in die Thematik gewinnen können. Die digitalen Informationen und Objekte, die dabei entstehen, werden dann mittelfristig natürlich auch in die DDB und die Europeana eingestellt.

Fragen: Matthias Glatthor