Erinnerungen an Marcel Reich-Ranicki

"Ein funkenstiebender Aufmerksamkeitsgenerator für Bücher"

20. Juli 2015
von Börsenblatt
Sein Urteil über Bücher war immer klar und kompromisslos. Verleger, Buchhändler und ein Kritiker-Kollegen über das, was sie mit "MRR" verbindet. Und über das, was die Buchwelt ihm verdankt.

Elisabeth Ruge, Verlag Hanser Berlin

"Oh, was konnte man wütend auf ihn sein! Und dann wieder begeisterte sein Urteil. Streiten konnte man mit ihm, leidenschaftlich, auf hohem Niveau - er war mutig und präzis und nie gleichgültig. Vielen hat er geholfen, ihr eigenes Urteil zu schärfen, er hat eine geistige, argumentative Klarheit geradezu erzwungen - und sei es, um ihm Paroli zu bieten. Und auch auf diese Weise hat er uns bereichert."

 

Michael Lemling, Buchhandlung Lehmkuhl, München

"Ich verehre ihn für vieles, am meisten aber für die Erfindung der 'Frankfurter Anthologie', die mich seit meiner Schulzeit begleitet."

 

Denis Scheck, Literaturkritiker

"Marcel Reich-Ranicki war ein Glück und ein Geschenk für die deutsche Literatur. Er war nicht immer der hellste, aber immer der amüsanteste Kritiker seiner Generation. Ja, er war mitunter blind für bestimmte neue Farben, er war mitunter taub für bestimmte neue Töne in Texten, aber: er war ein leidenschaftlicher Liebhaber der Literatur, ein großer Zampano und Machtmensch, ein Meister des Klatsches, ein Feind der Langeweile, und ein funkenstiebender Aufmerksamkeitsgenerator für Bücher, die ihm wichtig waren. In den letzten 20 Jahren hat er einige Male zu oft "Das interessiert mich nicht" gesagt statt "Das verstehe ich nicht", aber ich verneige mich vor seiner Lebensleistung. Nun ist für ihn, den die Nazis im Warschauer Ghetto vernichten wollten und der das geistige Leben der Bundesrepublik geprägt hat, der Vorhang zu und alle Fragen offen: danke Marcel Reich-Ranicki!"

Ruth Klinkenberg, Bücherstube Marga Schoeller, Berlin

"Durch Reich-Ranicki selbst, insbesondere durch das Literarische Quartett, konnte man immer wieder erleben, wie anregend, spannend, auch unterhaltsam eine kritische, auch kontroverse Auseinandersetzung mit Literatur sein kann. Eine Reihe von Lesekreisen dürfte ihre Entstehung dieser Anregung verdanken."

Thedel v. Wallmoden, Wallstein Verlag

"Wie kein Kritiker vor ihm hat Marcel Reich-Ranicki es vermocht, die Literatur für ein breites Fernsehpublikum attraktiv und unterhaltsam zu machen. Seine oft zugespitzten Urteile und Wertungen, selbst wenn man ihnen nicht immer folgen mochte, waren ein wichtiger Grund für diesen Erfolg. Als Schriftsteller hat er mit seinem Erinnerungsbuch "Mein Leben" eine der großen literarischen jüdischen Autobiographien des 20. Jahrhunderts hinterlassen. Persönlich verdanke ich seinem emphatischen Einsatz für Bücher wie "Weiter leben. Eine Jugend" von Ruth Klüger das wirtschaftliche Fundament meines Verlags – dafür bin ich dankbar."

Wilfried Weber, Buchhandlung Felix Jud, Hamburg

"Marcel Reich-Ranicki bin ich immer wieder begegnet, in Hamburg und in Frankfurt auf der Buchmesse. Unvergessen: unser Abend mit Reich-Ranicki über 'Die schiefe Wunde Heine' im Hamburger Rathaus, der Festsaal mit fast 1.000 Plätzen ausverkauft. Reich-Ranicki setzte sich nicht an seinen Vortragstisch, sondern blieb während der ganzen Rede stehen. Beim Essen hinterher bemerkte er beiläufig, dass er eben eine Leistenbruchoperation hinter sich gebracht habe − da sei stehen besser als sitzen."