Heinrich Riethmüller zum Start der Leipziger Buchmesse 2014

"Es sind die Bücher, die faszinieren"

16. Juli 2015
von Börsenblatt
Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins, hat die Eröffnung der Leipziger Buchmesse gestern Abend auch für einen Appell in Richtung Berlin genutzt – er sprach über die Risiken des geplanten Freihandelsabkommens, über den Online(buch)handel und die Stärken des Sortiments. boersenblatt.net dokumentiert seine Rede.

Als neuer Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels ist es mir eine besondere Ehre und Freude, zum ersten Mal die Leipziger Buchmesse mit eröffnen zu dürfen. Eine Messe, die eine lange Tradition hat und die jedes Jahr über 200.000 Leser, Verleger und Buchhändler in ihren Bann zieht. Gerade einem Buchhändler wie mir gefällt es, wenn Bücher, Autoren und Leser so unmittelbar zusammengeführt werden, wie sonst nirgendwo.

Leipzig ist ab morgen bis zum Sonntag eine einzige große Bücherlandschaft. Ein Ort, der so ist, wie ich mir eine lebendige, junge und frische Buchhandlung vorstelle. Mit vielen Veranstaltungen, Autoren, Lesungen und Buchempfehlungen, mit Kindern und Jugendlichen, die in die Hallen stürmen, mit  Medienvertretern, die über Bücher und das Lesen berichten, und mit Büchermenschen, die voller Überzeugung für ihre Bücher begeistern.

Es sind die Bücher, die faszinieren, es ist das Kulturgut und dessen Bedeutung, es ist aber auch der Erfolg unserer Branche, der Buchbranche, dass die Beschäftigung mit Büchern in unserer Gesellschaft eine solch große Rolle spielt. Nirgends auf der Welt gibt es ein dichte-res Netz an Verlagen und Buchhandlungen, die dafür sorgen, dass überall Bücher verfügbar sind. Und darauf können wir stolz sein.

Als Buchhändler und als Vorsteher des Börsenvereins beschäftigen mich zurzeit zwei Themen besonders, auf die ich hier kurz eingehen möchte. Das erste Thema betrifft die Rolle des Sortimentsbuchhandels innerhalb des Einzelhandels und das zweite die Auswirkungen des Freihandelsabkommens auf unsere Branche.

Zum Sortimentsbuchhandel: Meine These ist, dass der Sortimentsbuchhandel Vorreiter und Model für den gesamten Einzelhandel ist. Lassen Sie mich das kurz ausführen:

Wer die Wirtschaftsnachrichten des vergangenen Jahres genauer studiert hat, weiß, dass der Einzelhandel seit einiger Zeit unter großem Konkurrenzdruck des Online-Handels steht. Mittlerweile werden über zehn Prozent des Einzelhandels-Umsatzes im Internet generiert mit stark steigender Tendenz, im Buchhandel sind es beinahe 20 Prozent.

Warum ist das so?

Seit dem Aufkommen des Internets hat sich das Informationsverhalten des Verbrauchers geändert. Standen früher Geschäfte im lokalen Wettbewerb miteinander, ist die Konkurrenz jetzt global geworden. Jeder Verbraucher kann sich über Preise und Verfügbarkeit im Internet informieren und bequem von zu Hause aus das günstigste Produkt bestellen.

Als Jeff Bezos vor genau 20 Jahren seine Firma gründete, konzentrierte er sich zunächst auf das Versenden von Büchern, weil Bücher leicht zu versenden sind. Seiner Geschäftsidee lag nicht der Anspruch zugrunde, Kultur oder Bildung zu fördern und damit der Gemeinschaft einen Dienst zu erweisen, sondern er glaubte und hoffte, mit seiner Firma schnell viel Geld zu verdienen. Heute ist seine Firma ein milliardenschwerer Konzern, der sich anschickt, die Welt des Handels zu erobern und in fast alle Lebensbereiche des Menschen einzudringen.

Der Buchhandel ist die Branche im Einzelhandel, die sich am längsten und intensivsten mit dem Online-Handel beschäftigen musste. Während sich der Einzelhandel noch schwer tut, Modelle zu entwickeln, wie man das Internet in die eigenen Geschäfte integrieren könnte, ist dem Buchhandel dies bereits gelungen.

Es gibt inzwischen über 2.000 Buchhandlungen, die einen eigenen Online-Shop betreiben. Hier können Kunden von einem Tag auf den anderen alle lieferbaren Bücher bestellen, zum überall gleichen Preis, denn im Buchhandel gilt die Preisbindung.

Kunden können entscheiden, ob sie das Buch abholen wollen oder zugeschickt bekommen möchten. Diesen Vorteil bietet kein Online-Versender. Immer mehr Buchhandlungen engagieren sich im digitalen Buchvertrieb und bieten offene und unabhängige Lesegeräte und Datenbanken an, über die man E-Books einkaufen kann, ohne sich an einen Lieferanten zu binden.

Der Buchhandel bietet dem Kunden die Vorteile des Internets und die Vorteile des stationären Einkaufs wie persönliche Ansprache, ein wohl sortiertes Sortiment, regionale Verankerung und Veranstaltungsprogramme. Das können die großen Online-Versender nicht, die – notabene – auch keine Steuern vor Ort bezahlen.

Nach jahrelangen Rückgängen konnte der Sortimentsbuchhandel im letzten Jahr das erste Mal wieder mit 0,9 Prozent Wachstum Marktanteile zurückgewinnen, wohingegen der Online-Buchhandel leichte Rückgänge zu verzeichnen hatte. Offensichtlich wird immer mehr Lesern und Buchkäufern klar, dass Nachhaltigkeit weniger in den Geschäftsmodellen der großen globalen Konzerne, sondern viel eher in denen des stationären Handels liegt.

Allen ist klar, dass ohne einen lebendigen Einzelhandel unsere Innenstädte verarmen. Diese Erkenntnis allein genügt aber nicht. Der gesamte Einzelhandel - das heißt alle Branchen - muss sich neu positionieren und das geänderte Kaufverhalten des mobilen Kunden aufnehmen und ernst nehmen. Die Händler dürfen nicht nur über eine abnehmende Frequenz in den Innenstädten klagen, sondern sie  müssen neue Geschäftsmodelle entwickeln, die alle Kanäle bedienen: den bequemen Online-Einkauf und den inspirierenden Einkauf vor Ort.

Der Buchhandel hat diese Multi-Channeling-Strategie zu großen Teilen bereits geschafft und ist deshalb das Modell für den Einzelhandel,  wie man Individualität und persönliche Ansprache mit den genialen Errungenschaften der modernen Kommunikationskanäle verbinden kann.
Es wird Zeit, dass der gesamte Einzelhandel nachzieht.

Das zweite große Thema, das den Buchhandel beschäftigt, ist das sogenannte Freihandelsabkommen, das gerade zwischen Europa und den USA verhandelt wird. Grundsätzlich kann dieses Freihandelsabkommen neue Chancen für viele Bereiches des Handels und der Industrie bieten. Für alle kulturellen Aspekte unserer Gesellschaft allerdings sehen wir nur Gefahren und Risiken und fordern daher – wie im übrigen die französische Kulturministerin jüngst auch wieder – dass der Bereich der Kultur aus den Verhandlungen herausgenommen wird.

Lesen ist eine zentrale Freizeitbeschäftigung der Menschen. Lesen ist Leben und Lust zugleich, es ist mehr als Wissen, es bildet im klassischen Sinne. Bücher sind und bleiben in jeder Form eine der genialsten Erfindungen und Errungenschaften und sind eines der kostbarsten Güter unserer Kultur. Eine Gesellschaft ohne Bücher hat keine Zukunft.

Mit großer Sorge beobachten wir deshalb auch die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen. Verhandelt wird hinter verschlossenen Türen. Und genau das macht misstrauisch. Warum wird in der EU ein geplantes Abkommen, das umfangreiche Auswirkungen auf das tägliche Leben der Verbraucher hat, im Geheimen verhandelt? Und welche Regelungen werden dort festgeschrieben? In seinem „Ewigen Frieden“ hat Immanuel Kant Ende des 18. Jahrhunderts geschrieben (ich zitiere): „Alle auf das Recht anderer Menschen bezogene Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publicität verträgt, sind Unrecht.“

Wirkliche Öffentlichkeit liegt nicht im Interesse der Kommission. Zwar haben sich gerade heute in Brüssel die Unterhändler den Fragen und Forderungen der Unternehmen und Interessengruppen gestellt, doch wie tief geht der Erkenntnisprozess, wenn jede Organisation maximal sieben Minuten Zeit dafür hat?

Die Kulturschaffenden befürchten, dass kulturelle Standards, die sich durch Jahrhunderte in Europa entwickelt haben, scheinbar übergeordneten Zielen geopfert werden könnten. Seit Johannes Gutenberg hat sich in Deutschland und in Europa eine so hervorragende Verlags- und Buchhandelskultur entwickelt, wie wir sie nirgendwo sonst auf der Welt haben. Dass dies so ist, hängt auch damit zusammen, dass es in Deutschland und in den meisten europäischen Ländern eine Preisbindung für Bücher gibt. Sie verhindert im Buchhandel einen ruinösen Preiswettbewerb, garantiert Literaturvielfalt, für den Verbraucher langfristig günstige Preise und sorgt dafür, dass es in Deutschland eine hervorragende Literaturversorgung über den stationären Buchhandel gibt. Soll das aufs Spiel gesetzt werden, wenn durch ein Freihandelsabkommen einseitig die Interessen der internationalen IT-Konzerne durchgesetzt würden?

Im Koalitionsvertrag heißt es, dass dem besonderen Schutzbedürfnis von Kultur und Medien in der deutschen Europapolitik Rechnung getragen werden wird – auch bei Freihandelsabkommen mit Drittstaaten. Dies muss jetzt bei den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA durch Ausnahmeregelungen gesichert werden.

Wir verlangen von der EU-Kommission, die Geheimniskrämerei zu beenden und offenzulegen, welche konkreten Waren und Dienstleistungen im Bereich Kultur- und Kreativwirtschaft auf der Agenda des Freihandelsabkommens stehen. Die Bundesregierung fordern wir auf, eine umfassende kulturelle Ausnahme nach zu verhandeln.

Die Leipziger Buchmesse mit ihren vielen Besuchern, ist eine hervorragende Plattform, die gemeinsamen Interessen des Buchhandels und der Leser zu formulieren und offensiv zu vertreten. Wir alle können dazu beitragen, in der Öffentlichkeit die herausragenden, modellhaften Leistungen unserer Branche zu kommunizieren.

Ich wünsche Ihnen allen eine anregende und kommunikative Messe!