Die Sonntagsfrage

Was kann man für Lyrik im Netz tun?

20. März 2015
von Börsenblatt
Lyrik ist nach dem Leipziger Buchpreis für Jan Wagner wieder im Gespräch. Doch jeder Verleger, der Gedichtbände macht, weiß, wie schwierig es ist, sie im Buchhandel zu platzieren. Deshalb hat Anton G. Leitner, Verleger und Herausgeber der Zeitschrift DAS GEDICHT, früh auch die Möglichkeiten des Internets für die Gattung entdeckt.

Wie kommt man überhaupt dazu, etwas für Lyrik im Netz zu tun, wenn man sein eigenes Poesie-Unternehmen ursprünglich auf gedruckte Produkte ausgerichtet hat? Meinen Verlag gründete ich 1992, um vor allem eine buchstarke Jahresschrift für zeitgenössische deutschsprachige Lyrik herauszugeben. Bis zum Jahr 2000 ist die Druckauflage von DAS GEDICHT gestiegen, danach wurde es – nicht nur für uns – immer schwieriger, Lyrikbände im Buchhandel zu platzieren.

Die multimedialen Möglichkeiten des Internets haben mich von Anfang an so begeistert, dass ich bereits Mitte der 90er Jahre eine erste Website für meinen Verlag unter der Adresse www.dasgedicht.de einrichten ließ. Als mich die Buchhandelskrise zwang, stärker auf Direktvertrieb auszuweichen, war die Basis in Form eines einfachen Shopsystems bereits vorhanden. Um diesen Kern herum entwickelten sich im Laufe der Jahre immer mehr Onlineauftritte, ein Meilenstein war die Implementierung eines eigenen Lyrikblogs. Dieses ermöglicht es uns, die gedruckte Ausgabe von DAS GEDICHT elektronisch zu verlängern und täglich viele Leser und Autoren zu erreichen, zu informieren sowie neue Mitglieder für die Lyrikfamilie zu gewinnen.

Konnten wir früher pro Themenausgabe höchstens 100 neue Gedichte publizieren, so ist es uns heute möglich, die doppelte Anzahl zu veröffentlichen. Online können wir unsere Autoren ausführlicher präsentieren, z. B. mit Links auf ihre eigenen Webseiten. Die Aufmerksamkeit der Blogbesucher wird gesteigert, indem wir neben bio-bibliographischen Angaben auch Originaltöne und Gedichtillustrationen sowie eigens produzierte Videoclips mit einbinden. Unser YouTube-Lyrikkanal www.dasgedichtclip.de verzeichnet bislang über 160.000 Aufrufe. Bei der Produktion der ersten 100 Gedichtclips unterstützte uns der Internetbuchhändler Jokers (Weltbildgruppe) als Sponsor.

Besonders erfolgreich waren Projekte, die wir zunächst eher spielerisch antesteten. Als mir der junge Münchner Lyriker Jan-Eike Hornauer vorschlug, die Fußball-WM 2014 von einer Dichterelf im poetischen Pass-Spiel kommentieren zu lassen, ahnten wir nicht, dass auf diese Weise 100 Gedichte entstehen würden. Dass Fußballfans keine Lyrik lesen, erwies sich als ein Vorurteil, das täglich tausende von Besuchern unseres Blogs widerlegten. Manche Sonette zu einzelnen WM-Partien gingen unmittelbar nach dem Abpfiff online, es gab aber auch fundierte Charakterstudien zu markanten Spielern wie Wayne Rooney.

Lyrikaktionen im Internet können in wenigen Tagen so viele Leser finden wie eine erfolgreiche Print-Anthologie. Deshalb werde ich weiterhin poetische Netzprojekte forcieren und diese nach der Online-Publikation möglichst auch in Buchform (Print und E-Book) dokumentieren. Auf diesem Konzept basiert meine jüngste Zusammenarbeit mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB). Gemeinsam entwickelten wir das Lyrikprojekt "Reformatio | Reset. Pausenpoesie zum Neustarten". Anlässlich der Lutherdekade haben für uns 80 Autorinnen und Autoren aus zwölf Nationen 100 Gedichte rund ums Innehalten und Kraft-Schöpfen verfasst. Viele Gedichte sind eigens für diese Netz-Anthologie geschrieben worden. Von Samstag, 21. März 2015 (UNESCO-Welttag der Poesie) bis Sonntag, 28. Juni 2015 wird auf www.dasgedichtblog.de, www.luther2017-bayern.de und www.luther2017.de jeden Tag ein Pausengedicht publiziert.

Insgesamt hat sich durch unsere Online-Aktivitäten das Konzept von DAS GEDICHT dynamisch verändert. Unsere Jahresschrift, die früher zu gleichen Teilen Gedichte, Essays und Kritiken veröffentlichte, druckt heute hauptsächlich Lyrik. Die Essays und Kritiken verlagern sich immer mehr ins Netz, weil sie dort aktueller und umfangreicher und sogar in Videoform dargeboten werden können. Buchempfehlungen der Redaktion DAS GEDICHT verlinken wir mit unserem Regal beim Internetbuchhändler Calle Arco, oder stellen sie in unsere eigene virtuelle Lyrik-Boutique ein. Weil zeitgenössische Poesie aus den Sortimenten vieler Buchhändler fast verschwunden ist, erweist sich der Internetbuchhandel als Rettungsring für kleine Verlage mit großem Mut zur Pflege der Königsgattung Lyrik.