Markenfiguren im Buchhandel

Klassiker mit Kultstatus

28. September 2010
Redaktion Börsenblatt
Mädchen und Jungen lieben sie gleichermaßen: Die Helden aus ihren Lieblingsbüchern. Wir haben uns umgehört, welche Bedeutung Characters im Buchhandel haben.

Prinzessin Lillifee, Hase Felix, Connie, Grüffelo und der Kleine Eisbär: Der Starkult um beliebte Kinderhelden ist ungebrochen. Die  Figuren bieten einer bestimmten Zielgruppe ein hohes Identifikationspotential, um sie herum entstehen ganze Fantasiewelten. Einige von ihnen liefern ein paar Hits und verschwinden dann spurlos von der Bildfläche, andere zeigen Durchhaltevermögen. Allein mit dem Buchstaben B haben es vier Characters zu Klassikern mit Kultstatus gebracht: Biene Maja, Benjamin Blümchen, Bibi Blocksberg und die Barbapapas. Es gibt Protagonisten, etwa von Michael Ende und Ottfried Preußler, die sich aufgrund ihrer 'natürlichen Popularität' im Laufe der Zeit zu Charactern entwickeln, und es gibt solche, die erst durch immensen Marketingaufwand zu kleinen Berühmtheiten werden. Prinzipiell aber steht allen Charakterköpfen die Chance offen, ein hohes Alter zu erreichen und Kinder über mehrere Generationen hinweg zu erfreuen. Pressefrau Anja Vrachliotis von NordSüd erklärt: »Entwickeln sich Characters national und international zu Bestsellern, wie unser Regenbogenfisch mit weltweit über 30 Millionen verkauften Exemplaren, spricht man von Markenfiguren.«

Der Weg dorthin ist lang und steinig. Zunächst müssen Verlag und Autor einen Helden ersinnen, der funktioniert – der die Herzen der jungen Leser durch seine Einzigartigkeit gewinnt und gleichzeitig mit dem Geschmack der Eltern und deren Verantwortungsbewusstsein konform geht. »Die Abenteuer, die der Character in den Büchern erlebt, müssen unterhaltsam, spannend und nachvollziehbar für die Leser sein sowie wichtige Themen aus dem Kinderalltag widerspiegeln«, sagt cbj-Lektorin Christine Lederer.

Ist ein potenzieller Liebling erfunden, kommt es auf die richtige Strategie an. Unter dem Motto »Von klein auf groß werden« testet etwa der Coppenrath Verlag das Potenzial einer Figur zunächst an nur einem Produkt – am Anfang steht immer das Buch. »Man darf den Markt nicht überschütten, sollte die Reaktionen von Handel und Endkunden abwarten«, sagt Presseleiter Thomas Rensing. »Erst wenn uns begeisterte Stimmen entgegenschlagen, überlegen wir, welche anderen Artikel zur Figur passen.« Die Gefahr, einen Star-Character durch unüberlegten Marketingmix, durch zu viele und immer neue Produkte vorschnell zu verheizen, ist in diesem Segment groß.

Langlebigkeit und Nachhaltigkeit sind  die Schlagworte, schließlich wird viel Zeit und nicht wenig Geld investiert, und manchmal, so  der cbj-Verlag, brauche man einen sehr langen Atem. Stimmen allerdings die Erfolgsfaktoren, klingeln die Kassen. Coppenraths Felix-Bücher haben sich in 16 Jahren weltweit über sieben Millionen Mal verkauft – ein Ende ist nicht abzusehen. Im Gegenteil: Im September ist pünktlich zum neuen Buch die große PR-Tour »Felix reist durch Deutschland« gestartet.

Ausgangspunkt der Vermarktung einer populären Kinderfigur im Medienbund ist in der Regel ein Buch, das durch den Verkauf von Nebenrechten um mediale Produkte (Hörbücher, DVDs, CD-Roms, Internetfanseiten) ergänzt wird. Thienemann-Verleger Klaus Willberg hält den Transfer eines Buchhelden in andere Medien für unverzichtbar: »Die Durchsetzung einer Kinderwelt rund um einen Character kann nur gelingen, wenn dieser multimedial präsent ist. Denn eine parallele Mediennutzung ist bei Kindern und Jugendlichen heutzutage selbstverständlich.« Ähnlich sieht es der NordSüd Verlag: »Medienvielfalt ist wichtig für die Durchdringung der Märkte. Gerade im Bilderbuchbereich und der Alterszielgruppe der ab Vierjährigen wird sich im Hinblick auf multimediale Zweitverwertungen noch viel bewegen, man denke nur an die massive Verbreitung neuer internetfähiger und mobiler Endgeräte.« Und auch das Kulturkaufhaus Dussmann kann aus Sicht des Buchhandels bestätigen, dass eine Figur umso erfolgreicher ist, je mehr mediale Produkte zur Verfügung stehen.

Fanseiten sind dabei ein besonders effizientes Medium zur Vermarktung einer Figur. »Der Stoffhase Felix wird in unserem Internet-Fanclub zum lebendigen, interaktiven Kinderbuchcharakter, dem man Briefe schreiben und Fragen stellen kann«, sagt Thomas Rensing von Coppenrath. »So erfahren wir, was unsere jungen Leser bewegt und welche Trends sich abzeichnen. Und natürlich überlegen wir dann, wie wir diese Erkenntnisse nutzen und die Wünsche unserer kleinen Leser erfüllen können.«

 

Da jede Ausübung der Nutzungsrechte an einer Figur– ob buchfern oder buchnah, ob als Eigenproduktion oder Lizenz – zum Gesamterfolg eines Characters beitragen kann, sollten sich, nach Ansicht von Klaus Willberg, Verlage jegliche Nutzungsrechte sichern. Längst produzieren Buchverlage auch Spielsachen und Textilien, vergeben Lizenzen für Nahrungsmittel und andere Konsumgüter. Das Konterfei von Coppenraths Käpt'n Sharky ziert etwa Ringelpullis, Partyfähnchen, Badeslipper, Nachttischlampen, Fahrradsattel, Taschenschirm und Pflasterstrips. Denn Markenbewusstsein, die Identifikation mit Logos, Labels, oder eben Characters, ist heute unter Kindern selbstverständlich. Und mit Kindern ist eine enorme Kaufkraft verbunden. 50% des Gesamtumsatzes erwirtschaftet Coppenrath mit Non-Book-Artikeln.

Genau an diesem Punkt setzen kritische Stimmen aus der Verlagslandschaft an. Kinder könnten eben noch nicht frei entscheiden, ob Merchandising-Artikel notwendig oder überflüssig seien, ob sie nur zum Kauf anregen sollen oder auch einen Mehrwert besitzen. Thomas Minssen und Ingrid Rösli vom Bajazzo Verlag in Zürich lehnen den 'Ausverkauf' literarischer Figuren grundsätzlich ab: »Den Kunden wird suggeriert, dass der Buchmarkt nicht viel anderes zu bieten habe. Die große, reiche, spannende Palette von Büchern, die es zu entdecken gäbe, wird ihnen vorenthalten. Wir wagen zu behaupten, dass Characters den Geschmack der Kinder gründlich verderben, wenn sie kaum Vergleichsmöglichkeiten haben.«

Christine Lederer von cbj sieht hier in erster Linie die Eltern in der Verantwortung, es sei schlussendlich ihre Entscheidung, »inwieweit sie das unterstützen oder nicht. Und die Vermarktung eines Kinderbuch-Characters schmälert ja nicht ihren Wert als literarische Figur.« Monika Osberghaus von Klett Kinderbuch sieht das anders: »Wenn differenzierte literarische Charaktere zu Characters umgemodelt werden, wie das etwa mit Puuh dem Bären geschah, ärgert mich das. Weil Merchandising-Produkte die Ursprungs-Geschichte überlagern und im Extremfall sogar kaputt machen. Ganz abgesehen von den Kindern, die nur die platten Winnie-Puuh-Artikel kennen, und denen dadurch unglaublich viel entgeht.« Dass es dennoch Win-Win-Situationen geben kann, wenn Verlag, Urheber und Lizenzpartner verantwortungsbewusst mit dem Stoff umgehen, möchte allerdings auch Osberghaus nicht ausschließen. Und Thomas Rensing betont, wie wichtig dem Coppenrath Verlag eine ähnliche Philosophie ihrer Lizenzpartner sei. »Wer nur schnelles Geld machen möchte, landet nicht bei uns.«

 

Tatsächlich seien Verlage manchmal in Zugzwang, sagt Andreas Horn, Marketing- und Vertriebsleiter bei Beltz: »Ob Schefflers Grüffelo oder Tiger, Bär & Co. von Janosch – unsere Characters werden ständig von Neuerscheinungen konkurrenziert und von diesen oftmals unverdient aus den Regalen verdrängt. Deshalb rufen wir sie Buchhändlern mit Aktionen, Neuausgaben und einer sorgfältigen Abrundung des Angebots wieder in Erinnerung.« Dass sich vor allem Figuren älteren Semesters wieder besser verkaufen, wenn Merchandising-Artikel hinzu kommen, kann auch das Buchhandelsunternehmen Dussmann beobachten. Zudem, so Anna Köhr vom Esslinger Verlag, habe die multiple Verwertung der Characters neben der bloßen, gewinnorientierten Produktvermarktung auch einen eigenständigen Wert: »Die Präsenz eines beliebten Bilderbuchhelden in anderen Medien fördert den Bekanntheitsgrad unseres Verlags. Durch Lizenznehmer wie Jumbo als Hörbuchvertrieb oder die Sandmännchen-TV-Serie konnte etwa unser Kleiner Rabe Socke zur Marke werden. Esslinger ist eben der Verlag mit dem Raben.«

Ist der auserwählte Character einmal erfolgreich am Markt positioniert, führt er dank seinem hohen Sympathie- und Wiedererkennungswert im besten Fall zu einer Generationen übergreifenden Kundenbindung. Denn nicht nur Kinder und Jugendliche treibt die Sehnsucht nach Fortsetzung, nach Kontinuität und einem vertrauten Kosmos in die Arme ihrer Lieblingsfiguren, auch Erwachsene erweisen sich als treue Fans. Kunden, die längst nicht mehr ins Zielgruppenalter passen, kaufen Tiger-Enten-Fußmatten, blättern in Lurchi-Comics und treten TKKG-Clubs bei – back to the roots bedeutet Sicherheit, Orientierung und emotionale Wärme. Kulthelden für Groß und Klein, die stark vom aktuellen Nostalgietrend profitieren, sind zum Beispiel die Figuren der Häschenschule aus dem Esslinger Verlag. »Auch die Maus und Shaun das Schaf sind so erfolgreich, weil sie Kinder und Erwachsene gleichermaßen ansprechen«, sagt Bianca Krömer von Dussmann. Und Pressesprecherin Anja Vrachliotis von NordSüd ergänzt, dass bei Lesungen mit Regenbogenfisch-Autor Marcus Pfister auch Junge Erwachsene Mitte 20 zur Signierstunde kommen.

Fest etablierte Characters sind im übersättigten Markt wichtige Alleinstellungsmerkmale: Sie heben sich von der Masse ab und sorgen für Aufmerksamkeit im Handel. Zudem bieten sie Verlag und Buchhandlungen Planungssicherheit, gerade in Krisenzeiten erweisen sie sich als Umsatzgaranten. »Beim durchschlagenden Erfolg der Kleinen Raupe Nimmersatt im Jubiläumsjahr 2009 haben wir gesehen, wie wichtig für die einzelne Buchhandlung solche Sympathieträger sind«, sagt Pressefrau Andrea Deyerling-Baier vom Gerstenberg Verlag. Da werden mit schönen Merchandising-Produkten Laden und Schaufenster dekoriert, ganze Themenwelten erschaffen, Veranstaltungen organisiert, die Lokalpresse informiert. »Characters schaffen etwas, was beim Verkaufen wahnsinnig hilft: Sie emotionalisieren das schnöde Geschäft.« Die Idee des Thienemann Verlags für Buchhandlungen, Bibliotheken und Schulen anlässlich des 50. Geburtstags von Jim Knopf ein kostenloses Mitmach-Paket zu konzipieren, ist nach Aussage von PR-Frau Heinke Schöffmann ein Renner: »Über 2.000 Aktionspakete sind bundesweit verteilt und die Nachfrage nimmt nicht ab. Wir machen es den Veranstaltern leicht, diesen runden Geburtstag mitzufeiern. Und das wird honoriert.« Mittlerweile erwartet der Buchhandel von den Verlagen sogar konkrete Angebote, die es erlauben, neue Themenwelten zu präsentieren und Kunden mit tollen Produkten zu überraschen. Wie groß aber der Marketingaufwand auch sein mag – am Ende ist es immer der Endkunde, der entscheidet, ob eine Figur sich durchsetzt oder nicht. Mit der Treue nimmt es da mancher bekanntlich doch nicht so genau