Antiquariat

Begeisterte und Besessene für das alte Buch

23. Januar 2017
von Börsenblatt
Unter dem sehr passenden Titel "Von Büchern und Büchernarren" sind pünktlich zur 56. Stuttgarter Antiquariatsmesse die Erinnerungen des Königsteiner Antiquars Godebert M. Reiß erschienen.

Godebert M. Reiß gehört zweifellos zu den bedeutendsten deutschen Antiquaren und Buchversteigerern der letzten Jahrzehnte. Umso begrüßenswerter ist es, dass Reiß nun seine Erinnerungen "Von Büchern und Büchernarren" vorlegt. Es handelt sich nicht um eine Autobiografie oder den Durchgang durch ein Berufsleben, sondern um mehr oder minder chronologisch organisierte Episoden, die ein Zentralthema behandeln, wie Reiß eingangs festhält: "wertvolle alte Bücher, die durch meine Hände gingen, wie sie zu mir gelangten, wie ich mit ihnen umging und wohin sie wieder zerstreut wurden".

Noch größeres Gewicht für die Darstellung hat ein zweites Anliegen des Verfassers: "Gleichberechtigt daneben beschreibe ich Menschen, die mir begegnet sind und das alte Buch zum Inhalt ihres Arbeits- oder Sammlerlebens gemacht haben, alle mit Begeisterung, manche bis zur Besessenheit."

Herausgekommen ist bei diesem Unterfangen ein flüssig lesbares und höchst unterhaltsames Werk, das nicht zuletzt auch durch seine von Friedrich Pfäfflin besorgte, hervorragend passende Typografie besticht. Leserinnen und Leser, die sich auf den Erzähler einlassen, finden im Text Anekdotisches und Ernstes über den "Aufstieg" eines ehrgeizigen jungen Antiquars, der 1966 Teilhaber im Braunschweiger Auktionshaus Brandes wurde, über Geschäftspartner wie Detlev Auvermann, Stephan Haas und seine Brüder sowie Rolf Kistner sowie über Landkarten und Atlanten, die Stuttgarter Antiquariatsmesse und den ausrichtenden Verband Deutscher Antiquare, dessen Vorsitzender Reiß mehrere Amtszeiten lang war.

Vor allem aber bieten die Erinnerungen von Godebert Reiß lebendige Berichte von Ankaufs- und Akquisereisen bis in die 1990er Jahre, oft zusammen mit befreundeten Kollegen durchgeführt. Gutes oder der Situation geschuldet eher armseliges Essen, teurer Wein (meist roter), heikle Mägen oder empfindliche Verdauung gehören zum Grundton mancher Geschichte, ebenso das Bewusstsein des Verfassers, in einer anderen, vielleicht für Antiquare schöneren Vor-Internet-Zeit gewirkt zu haben. Die Perspektive der Erinnerungen ist eine europäische (zum Beispiel geht es auch um Kontakte nach Frankreich und Prag kurz vor der Zerschlagung der Reformbewegungen 1968 sowie um Aufenthalte in Österreich und Skandinavien).

Ausdrücklich hervorzuheben ist das rund 50seitige Kapitel "Antiquare, die meinen Weg kreuzten", das Kolleginnen und Kollegen wie Maria Bloch, Wolfgang Brandes, Roger Braunschweig, Desmond Burgess, Francois Chamonal, Donald Cuntz, Fritz Eggert, Theodor Hennig, Jonathan A. Hill, Jürgen Holstein, Wolfgang Keiper, Roger Klittich, Hans Horst und Renate Koch, Susanne Koppel, Per Rönnell, Lotte Roth-Wölfle, Georg Sauer, Wolfgang Staschen, Frieder Weitbrecht und Harald Wiermann würdigt. Hier bietet Reiß treffende subjektive Charakteristiken, die sich äußerst spannend lesen.

Die Erinnerungen von Godebert M. Reiß können auf der in wenigen Tagen beginnenden 56. Stuttgarter Antiquariatsmesse (vom 27. bis 29. Januar) am Stand von Reiß & Sohn erworben oder bei Frieder Weitbrecht bestellt werden (Antiquariat Steinkopf, Frieder Weitbrecht, Hermannstraße 5, 70178 Stuttgart, mail@antiquariat-steinkopf.de, Tel. 0711/2264021).

Eine Besprechung erscheint in der Zeitschrift "Aus dem Antiquariat".

Godebert M. Reiß: Von Büchern und Büchernarren. Erinnerungen eines Antiquars
Stuttgart: Edition Vincent Klink 2017
263 S., Abbildungen, broschiert
25 Euro (zzgl. Versand)
ISBN 978-3-927350-55-7