Interview mit dem Kulturtheoretiker Steffen Burkhardt

"Enthüllungsbücher sind Insignien des aufgeklärten Bürgers"

9. Oktober 2018
von Börsenblatt
Enthüllungsbücher entfachen die öffentliche Debatte, nicht nur über Donald Trump. Weshalb das Genre so erfolgreich ist, und weshalb es nicht immer hält, was es verspricht – darüber hat boersenblatt.net mit dem Medien- und Kulturtheoretiker Steffen Burkhardt gesprochen.      

Wie ist es zu erklären, dass gedruckte Enthüllungsbücher in einer digital dominierten Medienwelt einen solchen Erfolg haben?
Enthüllungsschriften haben Jahrhunderte medialer Innovationen dem Zeitgeist zum Trotz überstanden – daran ändert auch das Internet nichts. Ein Skandal zwischen Buchdeckeln lässt sich heimlich allerorts verschlingen und unkompliziert mit dem Hinweis »Unglaublich! Das musst du lesen!« an Freunde verleihen. Das gedruckte Wort hat eine geprägte Authentizität, anders als ein digitaler Text, der flüchtiger ist und sich per Knopfdruck manipulieren und zensieren lässt. Zudem sind gedruckte Enthüllungsbücher kommunikationsstiftend. Sie sind Insignien des aufgeklärten Bürgers. Wer sie in den Händen hält, gehört für andere Leser sichtbar zum Insiderkreis derer, die sich ebenfalls mit dem bislang Verborgenen beschäftigen. So entsteht Anschlusskommunikation in der analogen Welt ganz ohne digitale Netzwerke.

Ist ein Buch immer noch das Medium, das Debatten entfacht, oder ist es selbst Teil einer Verwertungskette, die ihren Ursprung in sozialen Medien hat?
Debatten gehen nicht von Büchern aus, sondern von Autoren. Das gilt für politische wie gesellschaftliche ­Enthüllungsbücher, ob Sachbuch oder Belletristik. Das strategische Verlagsmarketing nutzt dabei selbstverständlich auch die sozialen Medien für das Marketing in einer gesamtheitlichen Verwertungskette, in der das Buch nur ein Erlösgarant ist.

Woran machen Sie das fest?
Man kann das recht gut an vielen Enthüllungsbüchern über Donald Trump beobachten, mit deren spannendsten Passagen das Publikum häppchenweise im Social Web angefüttert wurde. Vor allem auf Facebook und Twitter verbreiteten sich die publizistischen Skandälchen wie ein Lauffeuer und heizten den Buchverkauf an. Autoren und Verlage vieler Enthüllungs­bücher verdienen so nicht nur am Verkauf des einzelnen Buchs, sondern besonders auch am Rechtehandel mit Vorabdrucken und ausländischen Lizenzen, Medienauf­tritten und Lesungen. Je größer das ­Enthüllungsbeben, desto lukrativer der erhoffte Verwertungseffekt.

Liefern Enthüllungsbücher ­überhaupt, was sie versprechen?
Mit Enthüllungsbüchern verhält es sich zum Teil wie mit einem Soufflé. Dank heißer Luft beeindruckt das Produkt. Ohne die Hitze fällt das Werk dann in sich zusammen. Denn so manches vermeintliche Enthüllungsbuch ist eine Marketing-Luftnummer. Das Perfide daran ist, dass das Publikum diesen Verpuffungseffekt tagtäglich von den meisten Social-Media-Posts kennt, die mit reißerischen Überschriften vermeintlich Neues zutage fördern.

Wie wirkt sich das aus?  
Unsere Gesellschaft wird medial mit Nicht-Information sozialisiert. Mit problematischen Folgen: Relevante Enthüllungen gehen zwischen "alternativen Fakten" unter und das Vertrauen in öffentliche Informa­tionen schwindet.



Steffen Burkhardt erforscht als Professor für Medien- und Kulturtheorie an der HAW Hamburg soziale Medien. In seiner Grundlagenstudie "Medienskandale – Zur moralischen Sprengkraft öffentlicher Diskurse" (Herbert von Halem) analysiert er den Zusammenhang von Skandalen und gesellschaftlichen Umbrüchen.