Jahrestagung der unabhängigen Buchhandlungen

"Sie sind die stillen Helden dieses Landes"

25. Juni 2017
von Börsenblatt
Die IG unabhängiges Sortiment hat heute in Mannheim gemeinsam mit der LG Buch getagt: 92 Buchhändler und fast ebenso viele Gäste tauschten sich aus. Die wichtigsten Themen waren die gezielte Gewinnung von Älteren als Kunden, Vertretergespräche und unbezahlbar gute Ideen zum Nachmachen.

„Wir leben in bewegten Zeiten“, eröffnete IGuS-Sprecherin Iris Hunscheid die Tagung, „Unabhängige Buchhandlungen werden in inzwischen im Feuilleton wertgeschätzt statt wie noch vor wenigen Jahren totgesagt zu werden.“ Mit großer Sorge betrachte der IGuS-Sprecherkreis jedoch „die Verdrängungspolitik großer und auch unabhängiger Filialisten“ mit Ankündigungen, dass in einigen Jahren nur noch eine Buchhandlung in einer Stadt bestehen werde: „Obacht!“, warnte Hunscheid, „dieses Rennen ist noch nicht entschieden – wir Unabhängigen wissen auch, was wir können.“ Für die aktuellen Erfordernisse gewappnet zu sein, dazu trage gerade auch der Austausch auf dieser Tagung bei.

Buchhandlungen schneller als Amazon

Die von Hunscheid verstärkt wahrgenommene Wertschätzung vermittelte auch Fernseh- und Radio-Moderatorin Christine Westermann, die von den Buchhändlern ihres Vertrauens erzählte, Andreas Wallentin (Buchhandlung Daub in Menden) und Esther Giese (Buchladen Sülzburgstraße in Köln). „Die sind viel schneller als wenn ich online suche: Ich rufe Frau Giese an und sie empfiehlt sofort zehn wirklich gute Krimis – so geht das!“ Während sie früher bei Amazon bestellt habe, merke sie inzwischen, wie viel einfacher es sei, rasch bei der Buchhandlung telefonisch zu bestellen – das hole ich am nächsten Morgen ab und ich muss nicht zur Post oder sonstwohin, weil ich zur Zustellzeit sowieso nicht zu Hause bin – ich hab‘ das Buch also viel früher als über die Online-Bestellung.“

Westermann hob hervor, wie wichtig die Buchhandlungen für das kulturelle Leben einer Stadt sind. „Ihr Motor ist ihre Leidenschaft zu Büchern“, unterstrich sie die Rolle der Sortimenter als Kulturträger und fuhr fort: „Sie sind die stillen Helden dieses Landes.“ Sie nahm Bezug auf die Diogenes-Karte „Haben Sie Ihrem Buchhändler schon gesagt, dass Sie ihn lieben?“ und rief: „Ja, ich liebe die Buchhändler.“ Worauf Uwe Sigismund vom IGuS-Vorstand scherzte: „Hier bekommt man nicht nur Lob, sondern sogar noch Liebe – was kann man sich noch mehr wünschen?“

Vertretergespräch digital

MVB-Geschäftsführer Ronald Schild berichtete über die aktuellen Entwicklungen bei VLB-TIX. Die Datenqualität im VLB ist inzwischen auf 73 Prozent der Verlagsmeldungen in Goldqualität gestiegen: „Wir sehen, dass Verlage größeren Wert auf die Datenpflege legen“, konstatierte Schild. Ziel sei, bei VLB-TIX die Effizienz bei der Vorschauerstellung und -sichtung zu steigern. Pro Monat kämen 100 Anfragen und Anregungen, nicht selten mit kontroversen Inhalten und Vorschlägen. „Wir wollen das Produkt so gut machen, dass Sie es gut nutzen können“, versprach Schild. In drei bis vier Monaten solle es auch ein Leseexemplar-Tool geben. Schild lud die Sortimenter ein, in den VLB-Fachbeirat zu kommen, der am 19. September tagt.

Im Anschluss spielte Uwe Sigismund vom Bendorfer Buchladen mit Maria Köpp von Piper ein Vertretergespräch anhand von VLB-TIX durch. „Die Ladezeiten hängen von der Internetverbindung in der Buchhandlung ab“, darauf wies Maria Köpp hin. Die beiden zeigten, wie elektronisch geordert werden kann und wie Rabatte, Zahlungsziel und Valuta digital mit dem Kürzel des Vertreters beim Reiseauftrag eingetragen werden können. Die Mitarbeiterinnen können auch untereinander kommunizieren, können in Merklisten bestimmte Titel vormerken und Notizen dazu machen: „Ich vermerke meinen Vorschlag, aber die Mitarbeiterin kann am Ende selbst entscheiden, ob sie das Buch für ihre Abteilung haben möchte oder nicht“, sagte Sigismund. Wiederholt wünschten sich die Buchhändler im Saal, dass die geplante Budget-Funktion möglichst schnell zum Laufen kommt.

Gezielt Ältere als Kunden gewinnen

Christine Westermanns Beobachtung, dass man sich in großen Buchhandlungen auch rasch verloren vorkommen könne, bestätigte Gundolf Meyer-Hentschel, den LG Buch-Vorstand Michael Fürtjes für die Tagung gewinnen konnte: „Gerade von Älteren wird der Einkauf in größeren Geschäften oft als anstrengend empfunden“, so Meyer-Hentschel. Der Verhaltenswissenschaftler und Betriebswirt verdeutlichte, wie interessant die Zielgruppe der über 60-Jährigen ist. „Mit zunehmendem Alter werden kleinere Buchhandlungen bevorzugt; ältere Kunden schätzen gute Beratung und nehmen gern konkrete Buchvorschläge der Sortimenter an.“ Es gebe keinen Grund, die Senioren aus ihren Einkaufsparadiesen zu vertreiben.“ Entscheidend sei, Respekt vor dem Alter zu zeigen: „Betrachten Sie sich einmal Ihre Buchhandlung aus dem Blickwinkel älterer Kunden.“ Meyer-Hentschel gab den Sortimentern eine Fülle an Tipps für die Zielgruppe – hier einige davon:

  • Bloß keine engen Parkplätze!
  • Die Eingangstür darf beim Öffnen keinen hohen Kraftaufwand erfordern
  • Der Türgriff sollte handfreundlich sein
  • Ein übersichtlich geordnetes Sortiment, ein klares Ladenlayout
  • Deutlich unterscheidbare Themengruppen
  • Komplexität verringert im Alter den Einkaufsspaß und „Je mehr wir zeigen, umso weniger verkaufen wir“
  • Schilder nicht glänzend (wegen der Reflexion), sondern matt halten
  • Ältere Kunden mögen Ablageflächen an der Kasse: Nicht mit Prospekten vollstellen!
  • Bloß keine Unebenheiten im Boden
  • Ältere Kunden brauchen mehr Licht („1000 Lux sind ideal“)
  • Sicherstellen, dass im Ladenbau Störgeräusche vermieden werden
  • Folie von den Büchern entfernen
  • Darauf achten, dass die Mitarbeiter höflich, freundlich und aufmerksam sind
  • Der größte Fehler im Verkauf: von äußerer Gebrechlichkeit auf mangelnde geistige Beweglichkeit zu schließen
  • Ältere Kunden erwarten Achtung vor dem Alter

 

Eine Investition in die Älteren werde oft abgetan, was allein schon ökonomisch alles andere als sinnvoll sei: „Wenn Sie einen 60-Jährigen als Kunden gewinnen, starten Sie eine 20-jährige Geschäftsbeziehung“. Denn habe die Lebenserwartung 1970 noch bei 75 Jahren bei den Männern und bei 79 Jahren bei den Frauen gelegen, so sei sie inzwischen auf 82,7 (Männer) und 87,1 (Frauen) gestiegen. Deutschland sei nach Japan das Land mit den zweitältesten Bewohnern der Welt. Meyer-Hentschel wies auf die Solvenz dieser Kundengruppe hin: Heute habe ein Rentnerpaar durchschnittlich rund 3000 Euro monatlich zur Verfügung.

Es gelte, auch das Thema Alter in der Buchhandlung offensiv anzugehen. Die Einstellung der Älteren sei ganz unterschiedlich und reiche von „Ich bin doch gar nicht alt!“ und „Alt werden nur die anderen…“ über „Nur nicht dran denken“ bis zu „Wir schaffen das schon“. „Und all diese verschiedenen Typen können Sie mit entsprechenden Buchtiteln abholen.“

Aber nicht nur der Experte vom Meyer-Hentschel-Institut in Saarbrücken und Zürich, das sich seit 1985 mit langfristigen Trends beschäftigt, die grundlegende Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft haben. hatte Anregungen parat. Auch die Sortimenterkollegen zeigten beeindruckende Beispiele zum Nachmachen.

 

Bestpractice- Beispiel 1: Lesezeichen und Donnerstagsfilme

Für ebenso außergewöhnliche wie witzige Ideen sind die Schwestern Ute und Sabine Gartmann von der Buchhandlung Schatulle in Osterholz-Scharmbek bekannt. 2013 erfanden sie besondere Lesezeichen: Die Mitarbeiterinnen haben sich in verschiedenen Rollen verkleidet, als Polizistin, Koch, Pastorin usw. So steht auf dem Lesezeichen mit der Polizistin: „Achtung, Achtung, hier spricht Ihre Buchhandlung!“ und weiterer Text. Neu sind die Donnerstagsfilme, 33 haben sie bereits gedreht, 52 sollen es werden. Jeden Donnerstag stellen sie einen Minutenfilm ins Internet, den eine Mitarbeiterin aufnimmt: Die beiden Inhaberinnen stehen vor dem Abholregal und weisen in einem Comedianartigen Dialog auf ein aktuelles Buch hin – das macht die Kunden neugierig und zieht sie in den Laden.

Bestpractice- Beispiel 2: Wohnzimmer und Ausstellungsvitrine

Vor fünfeinhalb Jahren hat Karin Tator die Bücherträume in Mühlheim an der Ruhr gegründet. Sie hat den Laden als Wohnung mit verschiedenen Zimmern eingerichtet: „Der Wow-Effekt ist immer die Küche, bei jeder Veranstaltung gibt es etwas zu essen, das erwartet inzwischen auch jeder.“ Es gibt die gute Stube, die Küche, das Wohnzimmer, das Kinderzimmer. Schnell umbauen ist hier jederzeit möglich, die Präsentationstische kann man auseinanderteilen , sie beinhalten Sitzkissen. Eine Vitrine im Laden vermietet Tator für zwei Monate an Kreative, in einer Vernissage wird die Vitrine eröffnet (Schmuck, Gemälde, Papierkunst, Produkte einer Sattlerin, einer Filzkünstlerin, eines Drechslers). Die Künstler machen auch Workshops bis hin zu Pralinenherstellen. „Irgendwann fragten Kunden, ob sie auch mal in der Buchhandlung lesen dürften und haben dann aus unterschiedlichsten lieferbaren Titeln Texte zu einem Thema zusammengestellt. Die Bücherträume kooperieren aber auch mit Firmen vor Ort, etwa mit einer Lampenfirma, mit einem Teehaus, wozu es auch Abende gibt.

Bestpractice- Beispiel 3: Stumme Verkäufer, Non-Books und Zusatztitel-Tipp

Bei der Vergrößerung der Büchergalerie in Lohne 2014 hat Iris Schumacher neu eingerichtet und auf sogenannte „stumme Verkäufer“ geachtet: Von jedem Mitarbeiter gibt ein großes Foto, dazu dessen persönliche Tipps. Die Regalbeschriftung erfolgt auf Schiefertafeln, in jeder Ecke gibt es Rückzugsorte mit Sesseln. Schumacher verändert immer wieder die Tische und hat in zwei Glasvitrinen Artikel von Butzon & Bercker sowie ein sehr großes Non-Book-Angebot: „Ich bin immer auf der Suche nach Start-ups und nach Artikeln, die in Deutschland hergestellt werden und besonders sind.“ Schumacher unterstützt ebenso Produkte aus Entwicklungsprojekten von recyceltem Material aus Südafrika bis Südostasien „Aber: Man muss die Produkte ansprechend präsentieren und die Geschichte dazu erzählen.“ Bei den Laufwegen muss der Kunde den großen Präsentationstisch mit den HCs umrunden, um zu den TBs zu gelangen – das steigert den HC-Verkauf. Ein weiterer guter Tipp von Schumacher: Noch während sie ein Buch einpackt, schreibt sie rasch einen weiteren Buchtitel auf die Visitenkarte der Buchhandlung und sagt: „Wenn Ihnen dieses Buch gefällt, haben Sie vermutlich auch Freude an jenem Buch.“ Sie schaltet Anzeigen, macht einen eigenen Schuljahresplaner, richtet Golfturniere aus – „das kostet alles nicht die Welt“.

Bestpractice- Beispiel 4: Mehr Umsatz mit Kalendern und Manga

Eine Art „Zweigstelle“ hat die Buchhandlung Kayser in Rheinbach eingerichtet: Das nach eigenen Angaben einzige Sortiment im linksrheinischen Raum, das christliche Literatur führt, hat eine große Auswahl an Kalendern – „aber wohin mit den vielen Kalendern?“, fragte sich Inhaber Christoph Ahrweiler. „Früher gab’s die Eisdielen, die im Winter leerstanden. Ich hatte ein kleinen Laden für den Winter angemietet, aber, logisch, der Vermieter wollte ja ganzjährig vermieten. Also ganz oder gar nicht – und wir haben uns ein Konzept für einen Laden mit Non-Books, Manga und MA überlegt.“ Es habe Bedenken gegen Manga im Hauptgeschäft gegeben, so dass die Bücher im Kleinen Kayser (75 qm) präsentiert werden – mit umsatzsteigernden Folgen: „Wir sehen plötzlich Kinder und Jugendliche in dem Laden, die wir nie in unserem Hauptgeschäft gesehen haben“, ist Ahrweiler begeistert. Manga seien ein wichtiges Standbein geworden, die auch nicht verräumt werden, wenn die Kalender Einzug halten. Er macht inzwischen Manga-Zeichenwettbewerbe, Events für Cosplayer, japanisches Kochen mit 20 Jugendlichen, alle sechs bis acht Wochen Zeichenkurse – „die werden dann von den jungen Leuten geleitet, die bei den Zeichenwettbewerben gezeigt haben, was sie alles können“.

Büchersendungen und Veranstaltungen zu Meinungsfreiheit

Maren Ongsiek und Kyra Dreher vom Börsenverein informierten die unabhängigen Sortimenter über die Versuche, einen reduzierten Mehrwertsteuersatz auch für E-Books in der EU zu erreichen, über Geoblocking (wenn das Unternehmen online verkauft, muss sie die E-Books europaweit verkaufen, was die Webshopkosten explodieren lässt), über ein dritte Umfrage zu Büchersendungen (Buchhändler würden aber nicht mehr Porto zahlen, wenn die Post Büchersendungen schneller als in vier Tagen transportieren würde), über Büchergeschenkpakete der Post für die Sortimente, über den Deutschen Buchhandlungspreis mit aktuell 502 Bewerbungen und über die Lesetütenaktion, an der sich in diesem Jahr 570 Buchhandlungen mit 125.000 Lesetüten beteiligen.

„Ohne Meinungsfreiheit gäbe es nicht den Buchhandel so, wie wir ihn heute haben“, erklärte Veit Hoffmann (Buchhandlungen Hoffmann in Achim und Jost in Bonn-Kessenich), der von der Gründung der IG Meinungsfreiheit berichtete. Die IG will eine Veranstaltungsreihe konzipieren, die Buchhändler übernehmen für einen schmalen Euro übernehmen können. Ein Ergebnis der IG lag schon auf den Tischen im Tagungssaal: eine von Rainer Groothuis gestaltete Broschüre „Für das Wort und die Freiheit“, die auch in den Buchhandlungen ausgelegt werden können (Bestellungen an steinmark@boev.de).

LG Buch-Vorstand Michael Fürtjes hielt am Samstagabend noch eine Überraschung bereit: Die Buchhandlung Beidek aus Müllheim im Markgräflerland, konnte er verkünden, ist in diesem Jahr die Suhrkamp-Buchhandlung des Jahres.

Fürtjes führte als Stichwortgeber auch ein launiges Interview mit Hejo Emons; Emons ist der LG Buch-Verlag des Jahres, mit jährlich 300 Novitäten und 30 Mitarbeitern – „es sind Stellen besetzt worden, von denen ich vorher gar nicht wusste, dass es sie gab“, meinte Emons. Der Verleger betonte auch die wachsende Bedeutung von Regionalliteratur: „Jeder Mensch ist regional, wohnt in einer Region – und in Zeiten äußerer Bedrohung bedeutet Region Heimat.“

Zum Ausklang des Tages luden das Börsenblatt und das Buchjournal die Buchhändler zum Sektempfang. In Anknüpfung an Christine Westermanns Rede vom Buchhändler als Kulturförderer wies Börsenblatt-Redakteur Stefan Hauck auf den offenbar ewigen Spagat hin, den schon Kurt Tucholsky vor mehr als 100 Jahren benannt hatte: "Es klafft der Zwiespalt, Geld verdienen zu müssen und Kultur fördern zu wollen. Das Buch ist Ware. Gegen diesen Satz sträuben sie sich alle noch immer", so Tucholsky im Januar 1914.

Das hat sich zum Glück geändert, auch wenn Bücher immer noch eine besondere Ware sind. Im selben Artikel von Tucholsky erfuhr man übrigens, dass sich "die Buchhändler auch gegen eine öffentliche Ausgabe ihres Börsenblattes" sträubten - der Grund: So hätten die Endkunden die Nettopreise der Bücher erfahren können... Christiane Rustemovski vom Vertrieb des Buchjournals dankte ebenfalls den unabhängigen Buchhändlern für ihre Treue und machte deutlich: "Sie sind die Mehrheit."

Am morgigen Sonntag stehen Wahlen zum IGuS-Sprecherkreis an. Turnusgemäß enden die Amtszeiten von Irene Nehen (Buchhandlung Melchers in Bremen) und von Uwe Sigismund (Bendorfer Buchladen). Nehen stellt sich zur Wiederwahl, weiterhin kandidiert Daniel Lager (Bücherstube am Krohnstieg in Hamburg). Am zweiten Tag der IGuS-Jahrestagung geht es um die Woche der unabhängigen Buchhandlungen WUB, den Kalenderverkauf im Buchhandel und Einkaufsoptimierungen. Zudem liest Melanie Raabe und berichtet von ihrer Arbeit als Autorin.