JVM-Podium zum Arbeitsrecht in Mainz

Praktikum + Volontariat = Prekariat?

27. April 2016
von Börsenblatt
Arbeitszeugnis, Pflichtpraktikum und Volontariat: Rund 70 Zuhörer informierten sich am Dienstag auf einer Veranstaltung der Jungen Verlagsmenschen in der Mainzer Universität über die Fallstricke beim Einstieg in die Buchbranche.

Haben Volontäre und Praktikanten ein Recht auf den Mindestlohn? Dürfen Unternehmen ihren Praktikanten ein Arbeitszeugnis verweigern? Wie viele Überstunden darf ein Praktikant schieben? Macht es Sinn, sich sein Pflichtpraktikum „aufzuheben“, bis man sicher ist, wohin die berufliche Reise im Verlag gehen soll?

Fragen gab es viele am vergangenen Dienstag im Georg-Forster-Gebäude an der Mainzer Gutenberg-Universität, was den Einstieg in die Buchbranche betrifft. 70 Zuhörer, die meisten von ihnen Studentinnen, waren der abendlichen Einladung des Nachwuchsnetzwerks Junge Verlagsmenschen gefolgt – und ihre Unsicherheit war zu spüren. Das wundert wenig, gilt die Materie Arbeitsrecht doch als beinahe so verwinkelt wie der universitäre Neubau auf dem Hochschulcampus.

Zur Aufklärung geladen hatte die AG Nachwuchsrechte der Jungen Verlagsmenschen, aus deren Reihen Cigdem Aker und Sarah Moser die rund zweistündige Veranstaltung kurzweilig und fokussiert moderierten. Cristina Bartz, Personalleiterin beim S. Fischer Verlag, und Arbeitsrechtlerin Katharina Gerstmann stellten sich den Fragen und Unsicherheiten ihrer Zuhörerschaft. Deren Zukunftsängste und Frustration kamen in mehreren Wortbeiträgen deutlich zum Ausdruck: Eine ausgebildete Buchhändlerin mit vielen Jahren Berufserfahrung und Studium will in den Verlag wechseln – „aber die Verlage nehmen mich nicht als Volontärin, weil ich kein spezifisches Praktikum habe. Was kann ich machen?“ Aufgerissene Augen bei der Personalleiterin der S. Fischer Verlage: "Warum wollen Sie mit so viel Erfahrung Volontärin werden? Bewerben Sie sich lieber auf eine reguläre Stelle, zum Beispiel im Vertrieb."

Eine andere Studentin wollte wissen, ob es sinnvoll sei, bei Initiativbewerbungen für einen freiwilligen Praktikumsplatz gleich anzugeben, dass man weniger als drei Monate bleiben wolle und auch keinen Mindestlohn verlange? Verhaltene Empörung bei den übrigen Zuhörern. Antwort vom Podium: Vielleicht in kleinen Häusern. „Große Unternehmen fokussieren sich heute ohnehin fast ausnahmslos auf Pflichtpraktikanten oder haben eigene Tarife“, stellte die Arbeitsrechtlerin Gerstmann klar.

Die Mindestlohn-Ausnahme

Gerstmann berichtete, dass die Ausnahme von Volontariaten und studentischen Praktika vom Mindestlohn inzwischen im Mindestlohngesetz festgeschrieben sei: „immer vorausgesetzt, dass der Ausbildungswert tatsächlich gegeben ist.“ Freiwillige Praktika hingegen seien für Unternehmen eine juristische Grauzone – dauern sie länger als drei Monate müsse der Mindestlohn (brutto: derzeit rund 8,50 € / Stunde) gezahlt werden – „und zwar auch rückwirkend.“ Ein Verlag darf also nicht drei Monate einen Praktikanten unterhalb des Mindestlohns vergüten und ab dem vierten Monat das gesetzliche Mindestgehalt zahlen. Wird verlängert, ist der Mindestlohn für das gesamte Beschäftigungsverhältnis fällig.

Als Faustformel gilt: Pflichtpraktika und Volontariate können unterhalb des Mindestlohns vergütet werden, freiwillige Praktika sind eine Grauzone: Dauern sie länger als drei Monate, ist der Mindestlohn aber immer fällig.

 

Ausbildungscharakter und „kaltes Wasser“

Im Gegensatz zu Volontariaten im journalistischen Bereich sind Volontariate in Buchverlagen in der Regel weitaus weniger organisiert. Jedem Volontär hat laut Gesetz Anrecht auf einen Ausbildungsplan – der Ausbildungscharakter des Volontariats muss auch in der Realität zur Anwendung kommen. „Es ist egal, was im Vertrag steht“, erläutert Gerstmann. Laufe ein Volontär als billige Arbeitskraft „nur mit, was nach einer Umfrage der Jungen Verlagsmenschen leider wohl eher die Regel als die Ausnahme ist, gilt er als reguläre Arbeitskraft. Dann könnte der Volontär, nach erfolgreicher Klage vor dem Arbeitsgericht, dasselbe Gehalt wie seine Kollegen verlangen. Auch rückwirkend. Die Prüfung erfolge im Einzelfall und vor Ort durch einen Sachverständigen – jede Partei zahlt vor dem Arbeitsgericht ihren Anwalt aus eigener Tasche.  In der Buchbranche sind aber bislang keine Klagen bekannt geworden, wohl auch aus Angst vor den negativen Folgen im Falle des Erfolgs, sprich: sich einen schlechten Ruf zu erwerben. Gerstmann berichtete aber von einer Sammelklage von Museumsvolontären, die sich mit Erfolg gegen die öffentliche Hand behauptet hätten. Konkret seien im besagten Fall schon die Stellenausschreibungen verräterisch gewesen: Gesucht wurden Volontäre mit mehrjähriger Berufserfahrung, die eigenständig museumspädagogische Angebote erarbeiten und Ausstellungen kuratieren sollten.    

„Wir werfen alle ins kalte Wasser“, berichtete Cristina Bartz für die S. Fischer Verlage. Jeder Volontär bekomme so viel aufgebrummt, wie er bewältigen könne. Man muss jedoch wissen: Der Verlag gilt nicht nur in Sachen Bezahlung als Branchenprimus. Bartz versicherte glaubhaft, man nehme seinen Ausbildungsauftrag ernst – das gelte für Volontäre, die zwei Jahre im Haus bleiben und nach Tarif bezahlt werden, genauso wie für die Azubis. Praktikanten gibt es bei Fischer hingegen kaum. Erstmals sollen in diesem Jahr die derzeit acht Fischer-Volontäre vom Holtzbrinck-E-Learning-Programm profitieren, also gemeinsam Webseminare zum Thema Projektmanagement absolvieren. Auch außerhalb davon werden Fahrten organisiert, Forbildungen bezahlt oder die Volontäre und Azubis auf das Nachwuchsparlament geschickt. Die Azubis dürfen auch eine Zeitlang in der „FAZ“ Erfahrung sammeln. „Zumindest das Nachwuchsparlament kann jeder Verlag bezahlen, auch wenn er nicht weiß, woher die Miete für den nächsten Monat kommen soll. Den Nachwuchs nicht nach Leipzig zu schicken ist popelig“, empörte sich Bartz über die Berichte anwesender Studenten: Diese hatten daran erinnert, dass es im Vorjahr Klagen von Azubis auf den Buchtagen in Berlin gab, die keinen Sonderurlaub und keine Unterstützung erhalten hatten – oder erst gar nicht freigestellt wurden.

Arbeitsvertrag und Arbeitszeugnis

Gerstmann erläuterte, dass Praktikanten kein Recht auf einen schriftlichen Arbeitsvertrag hätten –  denn auch mündliche Verträge seien rechtens. Aber: Formal korrekte Arbeitszeugnisse sind Pflicht, ebenso wie Ausbildungsverträge. Balsam für die Ohren des Publikums waren Aussagen von Bartz, dass man keinen "kerzengeraden Lebenslauf" vorweisen müsse, sondern dass eine gute Vorbereitung auf das Vorstellungsgespräch und „das gewisse Etwas“ die wahren Türöffner seien. Sie legte potenziellen Bewerbern dringend ans Herz, Jobmessen und die einschlägigen Speedmeetings zu besuchen, etwa auf den Buchmessen in Frankfurt oder Leipzig.  Sie empfahl außerdem, eigene Wünsche frühestmöglich zu klären. „Schlucken Sie nicht alles runter! Auch Vorgesetzte sind mal im Tunnel.“ Gerstmann sprang bei: Der Umgang mit Überstunden (in Freizeit abgegolten oder ausbezahlt) sollte etwa bereits im Arbeitsvertrag geregelt werden. Pauschale Angaben („alle Überstunden“) seien dabei unzulässig. Bartz forderte mehr Mut vom Nachwuchs bei den Verhandlungen: Viele Personaler verfügen über einen Koffer mit „Goodies“, wie Bartz es nannte, helfen den Brancheneinsteigern mit Essensgeld oder Fahrkartenzuschüssen, Buchkontigenten oder anderen Dingen. Eine falsche Bescheidenheit sei fehl am Platz und helfe niemandem.

Henne-Ei-Problematik beim Brancheneinstieg

Die Einführung des Mindestlohns hat vor allem dazu geführt, dass inzwischen fast ausnahmslos Stellen für Pflichtpraktika ausgeschrieben werden. „Das Volumen von freiwilligen Praktika hat massiv abgenommen“, ist auch die Arbeitsrechtlerin Gerstmann überzeugt. Besonderes Problem: An vielen Hochschulen wie bei den Buchwissenschaftlern in Mainz ist gerade einmal ein einziges Pflichtpraktikum mit einer Dauer von vier Wochen vorgesehen. Unternehmen dürfen, das stellte Gerstmann klar, studentische Pflichtpraktikanten nicht „verlängern“ oder „zu lange“ beschäftigen ohne den Mindestlohn zu zahlen. Dass die wenigsten Personalreferenten sich eine Studienordnung aushändigen lassen, sondern mit einem Studiennachweis zufrieden seien, liege wohl an einer Unwissenheit über die Rechtslage. Viele Verlage seien sich ihrer im juristischen Sinne offenen Flanke gar nicht bewusst.

Trotzdem, lässt sich feststellen, hat sich die Henne-Ei-Problematik in der Buchbranche weiter verschärft: Möglichkeiten für Schnupperpraktika haben seit der Einführung des Mindestlohns deutlich abgenommen. Ohne aussagekräftige Praktika fühlen sich die Bewerber für Volontariatsstellen nicht qualifiziert oder rechnen sich im Kampf gegen „die Masse an Bewerbern“ kaum Chancen aus. Leider empfehlenswert sei es, so Gerstmann, sich sein Pflichtpraktikum „für den Wunschverlag aufzusparen.“ Entspannter ist die Lage der Studenten an Fachhochschulen wie der HTWK Leipzig oder HDM Stuttgart, die in der Regel mehr Praxiserfahrung mitbringen und für die mindestens ein halbjähriges Pflichtpraktikum vorgesehen ist – denn viele Verlage suchen Halbjahrespraktikanten, die keinen Mindestlohn verlangen.

Doch der Konkurrenzdruck erreicht am Ende alle, die sich als Volontär in der Buchbranche bewerben: Da viele Nachwuchskräfte sich mit prekären Arbeitsverhältnissen abfinden („für zwei Jahre ist es halt in Ordnung“), sehen die Unternehmen wenig Anlass, ihre Angebote nachzubessern.

Was tun, wenn’s knallt?

Gibt es während der Ausbildung (Praktikum, Volontariat) doch einmal Streit, empfiehlt die Arbeitsrechtlerin Gerstmann unbedingt die Angelegenheit „betriebsintern“ zu lösen. Erst danach sollte der Weg vor das Arbeitsgericht beschritten werden. „Eine langfristige Weiterbeschäftigung in diesem Unternehmen ist dann wohl eher ausgeschlossen, wenn Sie zum Beispiel einen höheren Lohn einklagen.“ Hilfe könne auch vom Betriebsrat kommen oder einer Gewerkschaft – in der man allerdings Mitglied sein muss. Dann profitiere man oft auch von einer Rechtschutzversicherung, „aber gerade Nachwuchskräfte sind teilweise auch über ihre Eltern noch Rechtschutzversichert, ohne es zu wissen.“

Prinzip Hoffnung

„Fake it til you make it“, ist eine Catching Phrase, die auch für die Buchbranche gelte, könnte das Resümee des Abends lauten. Doch mit einem breitschultrigen „Das kann ich!“, das Recht auf Ausbildung einzufordern - damit tut sich der Nachwuchs schwer. Der Mindestlohn hat dazu geführt, dass niedrigschwellige Einstiegsmöglichkeiten abgebaut wurden. Cristina Bartz machte den Nachwuchskräften aber Hoffnung: „Viele Häuser brauchen Impulsgeber und müssen sich unbedingt verjüngen. Heute hängen die Arbeitnehmer nicht mehr so sehr an einem Unternehmen, sind schwerer zu halten. Auch die Verlage müssen darum beweglich sein und ihre Instrumentenköfferchen in der Personalabteilung immer wieder anpassen.“ Nicht repräsentativ, aber wahr ist folgende Geschichte: Gerade hat S. Fischer melden können, dass zwei Mitarbeiter in Festanstellung gegangen sind, die als Praktikanten im Haus begonnen und dann vom Praktikum ins Volontariat rekrutiert wurden.