Serienroman per Crowdfunding

Erst Geld, dann Text

2. März 2017
von Stefan Hauck
Mit einer Crowdfunding-Aktion hat Tim Krohn die Arbeit des Schriftstellers auf den Kopf gestellt – und einen Serienroman kreiert.

Normalerweise schreibt ein Autor zuerst – und bekommt dann sein Honorar und Prozente von jedem verkaufte Exemplar seines Werks. Tim Krohn hat den Spieß umgedreht und private Geldgeber dazu gebracht, auf ­einer Crowdfunding-Plattform literarische Texte von ihm zu bestellen. Sein Schlüssel zum Erfolg: Gefühle.

Von "aalglatt" bis "zynisch": Krohn versammelte mehrere Hundert "Menschliche Regun­gen", so der Name des Projekts, auf der Plattform wemakeit.ch. Für 250 Franken (235 Euro) konnte man sich eines der ­Gefühle aussuchen, dazu drei Wörter nennen und Krohn legte mit dem Schreiben los: "Die Begriffe treiben mich, es formt sich rasch eine Welt, in der die Ge­schichten entstehen", so der Deutsch-Schweizer, der die Feuilletons 1998 mit seinem Roman "Quatemberkinder" begeisterte.

Den Finanziers bot Krohn neben den Texten auch ausgetüftelte "Belohnun­gen" in unterschiedlichen Preiskategorien an, bis hin zur Hotelzimmerlesung (siehe unten). Das Konzept "schlug ein wie eine Bombe", so der 52-Jährige, "innerhalb von einem Monat hatte ich für 50.000 Franken Geschichten verkauft".

Der Text darf im privaten Rahmen frei verwendet und vervielfältigt werden; die professionellen Nutzungsrechte hält Krohn. Gibt es eine Typologie der Geschichten-Besitzer? "Ich habe ja nur einen Teil persönlich kennengelernt", meint Krohn: "Aber vom Alter her sind die meisten zwischen 35 und 60, abenteuerlustig, auch Kollegen waren dabei."

Pro Tag eine Geschichte zu schreiben war sein Ziel, 197 hat er bis jetzt im Laptop. Die ersten 65 sind vergangene Woche bei Galiani unter dem Titel "Herr Brechbühl sucht eine Katze" (480 S., 24 Euro) erschienen; im Herbst und im Frühjahr 2018 folgen weitere Bände. Galiani-Verleger Wolfgang Hörner fand bereits die Idee reizvoll, "den Leser in den Schreibprozess zu integrieren – Schreiben wird hier zu einem gesellschaftlichen Akt". Das Projekt läuft weiter: www.menschliche-regungen.ch.

Wer nun argwöhnt, diese Art des Schreibens könne doch niemals einen richtigen Roman ergeben, der irrt. Denn Krohn versteht sein Handwerk als Erzähler. Er hat die Geschichten in einem Haus mit acht Wohnungen angesiedelt. Elf Bewohner, darunter Studenten, ein Rentnerpaar, eine alleinerziehende Lektorin und eine Schauspielerin, bevölkern den kleinen Kosmos. Die Menschen werden dem Leser von Geschichte zu Geschichte immer vertrauter. Man fiebert mit, wie es ­weitergeht. Klar setzt der clevere Krohn auch "Cliffhanger" ein, aber eher en passant – im Mittelpunkt der im Schnitt sechs Seiten langen Miniaturen steht das jeweilige Gefühl, das oft überraschend umgesetzt wird. Durch bestimmte Sätze bringt Krohn das Kopf­kino zum Laufen, man lacht und leidet mit den Protagonisten: ein großartiger Serienroman mit Suchtfaktor.



Tim Krohns "Belohnungen" für Auftraggeber (Auswahl)

250 Schweizer Franken: eigene Geschichte, die dem Finanzier mit Widmung zugesandt wird, namentliche Erwähnung im Buch

1.000 Schweizer Franken: drei Geschichten für eine Buchhandlung, die auch im Buch erwähnt wird. Krohn kommt vorbei, liest (exkl. Reise- und Übernachtungskosten), plus drei Exemplare mit Widmung

2.500 Schweizer Franken: Geschichte plus Philosophieren bei einem Wandertag mit Krohn im Münstertal inkl. zwei Übernachtungen für zwei Personen und Kamingespräch. Der Finanzier erscheint namentlich im Buch und erhält zehn Exemplare mit Widmung

5.000 Schweizer Franken: Geschichte plus einwöchige Privat-Schreibwerkstatt für zwei Personen in Sta Maria Val Müstair mit abschließender Lesung