Urheberrechts-Wissensgesellschaftsgesetz: SPD und Union handeln Kompromiss aus

Bildungs- und Wissenschaftsschranke kommt wohl - befristet bis 2023

27. Juni 2017
von Börsenblatt
Schlechte Nachrichten für die Buchbranche: Die Koalitionsfraktionen haben sich an diesem Dienstag offenbar auf einen Kompromiss beim umstrittenen Urheberrechts- und Wissensgesellschaftsgesetz verständigt. Das teilt die SPD-Fraktion im Bundestag mit. Danach soll der Gesetzentwurf nun doch noch in dieser Woche im Bundestag verabschiedet werden - mit einer Befristung bis Februar 2023. 

Während die SPD-Fraktion den Kompromiss in ihrer Mitteilung "als großen und wichtigen Schritt in Richtung moderne Wissensgesellschaft" bezeichnet, hatte der Börsenverein heute erneut an die Bundesregierung appelliert, den umstrittenen Entwurf zu stoppen, weil er rund 600 Bildungs- und Wissenschaftsverlage in Deutschland enteigne und damit verfassungswidrig sei. Das geplante Gesetz ist morgen Thema im Rechtsausschuss des Bundestags und wird nach der jetzigen Einigung wohl Ende der Woche vom Parlament beschlossen werden.

SPD: "Die Schranke hat Vorrang"

Die SPD-Fraktion verweist in ihrer Pressemitteilung darauf, dass der Gesetzentwurf die gesetzlichen Schranken für Bildung, Wissenschaft und Forschung grundlegend neu strukturiere und von den Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen einhellig begrüßt werde. Den von Verlegern geforderten Lizenzvorrang werde es nicht geben, Dozenten müssten künftig nicht mehr prüfen, ob es ein "angemessenes Lizenzangebot" gebe: "Die Schranke hat Vorrang", so die SPD. Das sei der Kern der Reform, den die SPD gegenüber der Union durchgesetzt habe, wie es in der Stellungnahme wortwörtlich heißt (hier geht es zur entsprechenden Pressemitteilung des rechtspolitisischen Sprechers und des Berichterstatters in der SPD-Fraktion).

In ihrem Kompromiss haben sich SPD und Unionsparteien allerdings auf eine zeitliche Befristung geeinigt: Die zentralen Regelungen für Unterricht und Wissenschaft sollen zunächst bis Ende Februar 2023 gelten. "Die Bundesregierung wird die Regelungen vier Jahre nach Inkrafttreten der Reform evaluieren", so die SPD-Bundestagsfraktion. Sie zeigt sich zugleich überzeugt davon, "dass sich die zentralen Regelungen in der Praxis bewähren und durchsetzen werden und an einer Entfristung der Regelungen – wie schon beim geltenden Paragrafen 52a Urheberrechtsgesetz – letztlich kein Weg vorbei führen wird."

Appell des Börsenvereins verhallt

"Stoppen Sie jetzt das verfassungswidrige Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz": Mit diesem eindringlichen Appell hatten sich 350 Verlage erst heute erneut an Bundeskanzlerin Angela Merkel und ­Vizekanzler Sigmar Gabriel gewandt. Der Aufruf sollte in letzter Minute die Verabschiedung des umstrittenen Gesetzentwurfs kurz vor der Sommer­pause verhindern.

Der Gesetzgeber entscheide in diesen Tagen über das Schicksal der rund 600 ­Bildungs- und Wissenschaftsverlage in Deutschland, machen der Börsenverein und die unterzeichnenden Verlage darin deutlich: "Die geplanten Regelungen enteignen Verlage und bedrohen eine lebendige, weltweit vorbildliche Publikationslandschaft."

Bis zu 15 Prozent eines Buches sollen künftig laut Gesetzentwurf von Bildungseinrichtungen ohne Rücksprache mit Verlag oder Autor digitalisiert, heruntergeladen und ausgedruckt werden können. Angemessene Lizenz­angebote von Verlagen müssten von den Hochschulen nicht mehr berücksichtigt werden. Der Börsenverein schlägt stattdessen den Aufbau einer zentralen Online-Lizenzierungsplattform vor, über die Bibliotheken und Bildungseinrichtungen einfach Lehrbücher und andere Lehrmedien der Verlage lizenzieren können.

Rückstellung hat sich überholt

Auf den Buchtagen Berlin hatte die Branche Mitte Juni mit Bundesjustizminister Heiko Maas über die Reformpläne diskutiert. Verlegerin Reinhilde Ruprecht betonte damals, gerade in den Geisteswissenschaften sei die partielle Nutzung von Werken üblich. Wenn 15 Prozent eines Werks genutzt würden, sei diesem bereits die wirtschaftliche Grundlage entzogen. Zwischenbuchhändler Stefan Könemann wies bei der Debatte darauf hin, das die erweiterte Nutzung von Inhalten im Handel zu Volumen-Einbußen führe.

Ob das Gesetz wie geplant Ende Juni vom Bundestag verabschiedet werde, hatte Heiko Maas damals noch offen gelassen - mit dem Hinweis, dass es noch Widerstand beim Koalitionspartner gebe, so dass auch eine Rückstellung des Gesetzesvorhabens nicht auszuschließen sei. Das scheint sich nach dem Kompromiss überholt zu haben.

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