Wolf Biermanns Konzert zum 80. im Berliner Ensemble

"Nur wer sich ändert, bleibt sich treu"

19. November 2016
von Börsenblatt
An den Ort, an dem Wolf Biermann seine Leidenschaft für Gesang und Dichtung entdeckte, lud der Ullstein Verlag zum Konzert anlässlich seines 80. Geburtstags ein: ins Berliner Ensemble. Ein großer Abend für einen außergewöhnlichen Menschen mit einem großen Herzen.

Polizei und Personenschützer vor dem Berliner Ensemble: ein deutliches Zeichen dafür, dass sich auch prominente Gäste aus dem politischen Berlin zu Wolf Biermanns Geburtstagskonzert angesagt hatten. Hausherr Klaus Peymann nahm persönlich Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihren Mann Joachim Sauer in Empfang, es kamen Innenminister Thomas de Maizière, Finanzminister Wolfgang Schäuble, der frühere Bundespräsident Horst Köhler, Ex-Innenminister Otto Schily und weitere Politiker. Joachim Sauer, der die Festrede auf den Jubilar hielt, begrüßte zudem die Witwen von Biermanns Weggefährten Jürgen Fuchs, Lilo Fuchs, und Robert Havemann, Katja Havemann, und erinnerte an den vor vier Wochen verstorbenen Biermann-Freund Manfred Krug. Unter den Gästen waren auch der Friedenspreisträger des Jahres 2012, Liao Yiwu, und der Büchnerpreisträger Volker Braun.

Siv Bublitz, die Geschäftsführerin der Ullstein Buchverlage, begrüßte die Festgemeinde im bis auf den letzten Platz besetzten Berliner Ensemble – an dem Ort, an dem Wolf Biermann 60 Jahre zuvor seine Berufung zu Literatur, Gesang und Theater entdeckte, in dem Haus, in dem Bertolt Brecht inszenierte, und das nach seinem Tod von seiner Frau Helene Weigel weitergeführt wurde. Bei ihr war Biermann Regie-Eleve. Und fast auf den Tag genau fand das Geburtstagskonzert 40 Jahre nach dem berühmten Konzert Wolf Biermanns in Köln statt, nach dem er aus der DDR ausgebürgert wurde.

Joachim Sauer, der anschließend Biermann würdigte, deutete zunächst die Verbindung zwischen ihm und Biermann an. Als Chemieprofessor an der Humboldt-Universität kannte er natürlich Robert Havemann, Biermanns engen Freund, der damals an der HU ebenfalls Chemie lehrte. Sauer erinnerte in seiner teilweise launigen Rede noch einmal an den Wendepunkt, den Biermanns Ausbürgerung vor 40 Jahren bedeutete: Es war nicht der bürokratische Akt selbst, sondern die Welle des Protests in der DDR, die den allmählichen Untergang der DDR einleitete. Doch auch im Westen war Biermann nicht immer willkommen: Klaus Bölling, der damalige Regierungssprecher, erklärte 1976: „Wolf Biermann ist zwar nicht unser Freund, wir mögen ihn zwar nicht, aber hier kann er frei singen.“

Dass sich dieser Blick auf Biermann gewandelt hat, dafür standen zahlreiche Ereignisse seitdem: die Anerkennung des liederdichtenden Sängers durch die Büchnerpreisverleihung 1991 (Reich-Ranicki, so Sauer, hätte Biermann einmal ein „Gesamtkunstwerk“ genannt), der Abschied vom Kommunismus und einiges mehr. Heute jedenfalls könne man sagen: „Wir mögen ihn, er ist unser Freund, und nun möge er singen.“ Doch bevor er das tat, stimmte das Publikum spontan ein „Happy Birthday“ auf den "lieben Wolf" an.

Und dann sang er endlich, und sang – und sang. Angefangen mit der „Ballade von der Buckower Süßkirschenzeit“ bis zu dem Lied, das sein Lebensmotto ist: „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu“. Zum mehr als zweistündigen Programm gehörte auch die berühmte Stasi-Ballade, deren Strophen immer mit dem Vers schließen „und die Stasi ist mein Ecker-, ist mein Ecker-, ist mein Eckermann“. Eine Strophe, die ein Goethe-unkundiger Stasi-Knecht im Abhörprotokoll einmal deutete als „die Stasi ist mein – Henkersmann“. Ein realsozialistischer Witz, den sich Biermann auch gestern wieder auf der Zunge zergehen ließ.

Nach dem Solo-Gesang auf der geliebten Weisgeber-Gitarre gab es noch eine musikalische Steigerung: Biermann sang einige Lieder mit der legendären Free-Jazz-Formation Zentralquartett, die sich Anfang der 70er Jahre in der DDR gegründet hatte. Auf der Bühne neben Biermann: der großartige Luten Petrowsky am Altsaxophon, Christoph Teves an der Posaune, Uli Gumpert am Piano und Günter Baby Sommer, der temperamentvolle Drummer am Schlagzeug. Begleitet wurde Biermann zudem von seiner Frau Pamela. Nach dem letzten Stück konnten sich die Biermanns und die Zentral-Jazzer nicht vor Beifall retten und mussten (mussten) drei Zugaben spielen – die letzte schon im Vorgriff auf das nächste große Konzert im Hamburger Thalia Theater. Eines der Zusatzstücke war seine berühmte „Ermutigung“, die über die Zeiten hinweg immer wieder Menschen aufrichtet. Es waren Töne und Verse, die ans Herz gingen.

Beim anschließenden Empfang für geladene Gäste trafen sich Politik, Kultur, Freunde und Verwandte Biermanns zu freundlichen, vertrauten und auch sehr emotionalen Gesprächen. Und immer mittendrin, auch Tete-à-tete mit Biermann: Angela Merkel, die am selben Tag noch Barack Obama und fünf weitere Regierungschefs beim Abschiedsgipfel für den US-Präsidenten zu Gast gehabt hatte.