Ein schwarz-weiß-Foto liegt vor mir. Im Wüstensand steht ein Standard Vanguard, auf dem Dach festgeschnürtes Gepäck. Es ist das Auto der Familie Mair. Die Aufnahme stammt von einer Afrika-Expedition der Familie, den Eltern Hilde und Kurt Mair mit den Zwillingen Isolde und Volkmar aus dem Jahr 1951. Volkmar Mair, 20 Jahre alt, ist am rechten Vorderrad beschäftigt, das Auto hatte sich im Sand festgefahren.
Als ich 2016 Dr. Volkmar Mair kennenlernte, brachte er mir einen von seiner Tochter Dr. Stephanie Mair-Huydts herausgegebenen Bildband mit. "Pioniere des Reisens: vom Unterwegssein – der Weg einer Familie und eines Unternehmens", darunter dieses Foto. Die Aufnahme ist für mich symbolisch für Vieles im Leben von Volkmar Mair: Reisen, Neues, Abenteuer erleben, nach Lösungen suchen, tatkräftig umsetzen. Die Afrika-Expedition war nicht die erste Reise der Familie. Kurt und Hilde Mair waren schon seit den 20er Jahren viel unterwegs, in den Alpen, auf dem Balkan, in Nordafrika. Kein Wunder, dass Volkmar Mair das Reisen im Blut hatte, zu Lande, aber mit großer Leidenschaft auch auf dem Wasser. Gesegelt ist er bis zum Schluss, auf dem von ihm so geliebten Bodensee lag sein Boot. Im Sommer lud er gerne zu Verwaltungsratssitzungen in sein Haus oberhalb des Sees ein. Es wurde intensiv am langen Tisch gearbeitet – das Unternehmen stand für ihn an erster Stelle –, in den Pausen war Volkmar Mair ein wunderbarer Gastgeber, mit seiner Begeisterung für das Segeln und das Reisen in die Ferne konnte er als geborener Erzähler die Runde fesseln – charismatischer Unterhalter durch und durch.
Volkmar Mair kam 1931 in Innsbruck zur Welt. Vier Jahre später zog die Familie nach Stuttgart, der Vater war Geschäftsführer des Hallwag-Verlages geworden. Nach dem Krieg gründete Kurt Mair 1948 das Kartografische Institut Kurt Mair. Straßenkarten, vor allem genaue, gab es bis dahin praktisch nicht. Zwei Jahre später kam der erste Shell-Atlas heraus, vier Jahre später die deutsche Generalkarte. Pioniere des Reisens – um genaue Karten herzustellen mussten die Straßen abgefahren und dann von Hand kartografiert werden.
1957 starb Kurt Mair mit nur 55 Jahren. Volkmar Mair, der im Jahr zuvor das Studium der Betriebswirtschaft in München und Paris abgeschlossen hatte und an seiner Doktorarbeit saß, übernahm im Alter von 26 Jahren die Leitung des Familienunternehmens. In den Jahrzehnten bis 2010, das Jahr, in dem er die Verantwortung an seine älteste Tochter Stephanie übergab, formte er den größten Reiseverlag in Deutschland – Baedeker, Falk, Kompass, die deutschen Ausgaben von Lonely Planet, Hallwag Kümmerly+Frey. 2004 kamen die Reiseführer von DuMont dazu und damit auch die Umfirmierung in MairDumont.
Zuvor, 1991, war Volkmar Mair wieder Pionier: Die Kompaktreiseführer Marco Polo kommen auf den Markt, 39 in der ersten Auflage, schnell Marktführer, heute sind es über 260 Titel. Konsequenterweise liegt auch das Verlagshaus in Ostfildern an der Marco Polo Straße 1. Keine Verwaltungsratssitzung, bei der er nicht nach Verkaufszahlen und Marktanteilen von Marco Polo fragte, jeden Relaunch der letzten Jahre hat er intensiv mitverfolgt und mit großer Freude und Dankbarkeit begleitet.
Volkmar Mair war ein großer Unternehmer, Reisepionier und Verleger. Sein Interesse galt aber immer auch den Menschen, an erster Stelle denen in seiner großen Familie. Die Lebenswege seiner Kinder und Enkel begleitete er mit Stolz und Freude. Spürbar wichtig waren ihm seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, seine Geschäftspartner, seine Freunde. Er erzählte gerne von den persönlichen Begegnungen neben den geschäftlichen: mit wem er verhandelt hatte, wer vom Geschäftspartner zum Freund geworden war, wen er besonders schätzte, und das waren viele, wen er weniger schätzte, dennoch ganz bewusst mit Respekt und Wertschätzung behandelte. Jede Begegnung mit ihm in den fast zehn Jahren, die ich ihn kennen durfte, begann mit der Frage, ob es mir gut gehe und ich gut schlafe. Solange es ging begleitete er mich nach den Verwaltungsratssitzungen aus dem Haus und selbstverständlich bis zum Auto. Ihn umgab ein deutliches, aber sehr feines Selbstbewusstsein: Vom Bundesverdienstkreuz, das ihm 1996 verliehen wurde, hat er mir beispielsweise nie erzählt.
Am 25. April 2025 ist Volkmar Mair kurz vor seinem 94. Geburtstag am Bodensee gestorben. In einem Brief, den ich von ihm zu Weihnachten 2023 bekam, zitierte er Honoré de Balzac: "Man lebt zweimal: das erste Mal in der Wirklichkeit, das zweite Mal in der Erinnerung."