"Verlagsfall"

Verleger in Moskau festgenommen

30. Mai 2025
Redaktion Börsenblatt

Mehrere Verleger stehen in Moskau unter Hausarrest. Die Anklage: Sie sollen sich an einer extremistischen Organisation beteiligt und die sogenannte "LGBT-Ideologie" über Buchhandlungen und Buchverkäufe verbreitet haben.

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Am 14. Mai 2025 haben russische Sicherheitskräfte in Moskau mindestens 10 Personen im Rahmen einer strafrechtlichen Untersuchung festgenommen und verhört. Zuvor fanden Durchsuchungen in ihren Wohnungen statt, häufig auf unnötig gewaltsame Weise, wie die StraightForward-Initiative, die sich gegen die Verfolgung von Autor:innen einsetzt, berichtet. 

Zu den Vorwürfen gehören die angebliche Beteiligung an der Tätigkeit einer "extremistischen Organisation", die Teilnahme an der Tätigkeit einer "extremistischen Organisation" und die Beteiligung, Teilnahme und Organisation der Tätigkeit einer "extremistischen Organisation“ unter Ausnutzung einer offiziellen Stellung. In der Nacht zum 15. Mai 2025 erhob die Behörde formell Anklage gegen drei Mitarbeiter des Verlags Eksmo, die zuvor bei den Verlagen Individuum und Popcorn tätig waren – gegründet von den heutigen StraightForward-Mitgliedern Aleksei Dokuchaev und Felix Sandalov. Individuum und Popcorn wurden im Sommer 2023 an Eksmo verkauft; Dokuchaev und Sandalov verließen das Unternehmen, das Personal blieb unter neuer Leitung tätig. Bei den angeklagten Verlegern handelt es sich um Artyom Vakhliev, Dmitry Protopopov und Pavel Ivano.

Vertrieb queerer Bücher als extremistische Handlung

Der Hintergrund der Anklage: Am 30. November 2023 hatte das Oberste Gericht Russlands die "Internationale LGBT-Soziale Bewegung" zu einer extremistischen Organisation erklärt - eine Organisation, die nicht existiert. Das Urteil trat im Januar 2024 in Kraft. Seitdem haben die russischen Behörden laut Amnesty International unter anderem 12 Strafverfahren eingeleitet, Razzien in LGBTI-Lokalen durchgeführt und und die Schließung von LGBTI-Interessensvertretungen erzwungen. 

Das Strafverfahren vom 13. Mai 2025 wurde mit der Begründung eröffnet, dass Mitarbeitende des Verlags eine sogenannte "LGBT-Ideologie" (ein Begriff, der in keinem russischen Gesetzt definiert ist) über Buchhandlungen und private Verkäufe von Büchern verbreitet hätten, die zwischen 2019 und 2022 beim Verlag Popcorn erschienen. Leser:innen der LGBT-Literatur würden zu Unterstützer:innen der angeblichen Bewegung werden können. Dabei wurde keines der betroffenen Bücher in Russland als "extremistisch" eingestuft und der private Besitz queerer Bücher ist nicht strafbar.

Unter denen im Fall genannten Büchern befindet sich "Ein Sommer im Pionierhalstuch" von Elena Malisova und Katerina Silvanova. Der Roman behandelt eine gleichgeschlechtliche Romanze zwischen zwei sowjetischen Teenagern. Die Autorinnen wurden im Februar 2024 willkürlich vom Justizministerium als "ausländische Agenten" eingestuft. Weitere Titel sind Alice Osemans "Heartstopper", Benjamin Alire Sáenz' "Aristoteles und Dante entdecken die Geheimnisse des Universums" sowie Becky Albertallis "Ein Happy End ist erst der Anfang", alle zwischen 2019 und 2022 von Popcorn Books veröffentlicht.

"Das erste Strafverfahren in Russland, das sich gegen die Verlagsbranche richtet"

Die Organisation StraightForward, die sich der Bekämpfung von Zensur in Russland widmet, kritisiert die Ermittlungen scharf. "Nach dem Gesetz von 2022, das "LGBT-Propaganda“ für alle Altersgruppen verbietet, hat der russische Staat begonnen, Strafverfahren wegen angeblichem "LGBT-Extremismus“ einzuleiten – eine Straftat, die weltweit einzigartig ist. Dies ist das erste Strafverfahren in Russland, das sich gegen die Verlagsbranche richtet, und das erste, in dem Personen nach Absatz 3 des Artikels 282.2 angeklagt werden – wegen der Verbreitung von Büchern, die weder verboten noch als extremistisch eingestuft sind", heißt es in einem Statement. "Seit der Einführung des "LGBT-Propaganda“-Gesetzes im Jahr 2013, und insbesondere nach der Einstufung der "Internationalen LGBT-Sozialen Bewegung“ als extremistisch im Jahr 2023, üben viele Redaktionen, Medien und Plattformen Selbstzensur – Filme werden geschnitten, ganze Szenen entfernt. Selbst die vorsichtigsten Anbieter wurden sanktioniert: 2024 wurde der Streamingdienst KinoPoisk zu 100.000 Euro Geldstrafe verurteilt, 2025 der Fernsehsender TVC zu 10.000 Euro – beide wegen "LGBT-Propaganda“. Doch der "Verlagsfall“ geht über Verwaltungsrecht hinaus und betrifft strafrechtliche Extremismus-Vorwürfe. Die Rechtslage ist vage, die Konsequenzen jedoch drastisch."

Wie StraightForward berichtet, arbeite die Organisation eng mit den Anwält:innen von Ivanov, Vakhliev und Protopopov zusammen, um internationale Aufmerksamkeit auf den Fall zu lenken.