Sitzung der Fachausschüsse

Der Kosten-Tsunami

12. November 2021
von Michael Roesler-Graichen

Der Buchbranche droht eine dramatische wirtschaftliche Entwicklung. Höhere Papier- und Energiepreise, der steigende Mindestlohn und politische Forderungen wie die nach einer Zwangslizenz für E-Books setzen die Branche unter einen ökonomischen Druck wie seit Jahren nicht. Dies war der Tenor der gemeinsamen Fachausschuss-Sitzung, die gestern im Frankfurter Haus des Buches stattfand.

Steigende Kosten für Papier (plus 20 Prozent), Energie und Lohn, Verzögerungen bei Produktion und Logistik sind Ausdruck einer Entwicklung, die alle Glieder der Wertschöpfungskette betrifft – angefangen bei den Verlagen. Nadja Kneissler, Vorsitzende des Verleger-Ausschusses nannte als ein Kardinalproblem die massiven Veränderungen im Papiermarkt: Altpapier und Zellstoff seien knapp, und die Papierproduzenten schwenkten zunehmend auf die Herstellung von Verpackungsmaterial um. Die Folge: Graphische Papiere für den Buchdruck sind in geringerer Menge verfügbar, Pappen für Bucheinbände und Boxen schwer zu beschaffen. "Wir müssen anders kalkulieren, längere Zeiträume für die Produktion einplanen, Auflagen früher disponieren", so Kneissler. Der Trend werde sich im nächsten Jahr fortsetzen.

Erhöht wird der wirtschaftliche Druck zugleich durch gesetzgeberische Initiativen, die eine Zwangslizenz für die Ausleihe von E-Books vorsehen. Das käme einer Teilenteignung gleich, so Kneissler. Die Verlage versuchen hier, gemeinsam mit Autor*innen und dem Buchhandel durch ihre Kampagne "Fair lesen" gegenzusteuern.

Kostentreiber Mindestlohn

Stephan Schierke, Vorsitzender des Ausschusses für den Zwischenbuchhandel, drückt der Schuh noch an einer anderen Stelle: Wenn der gesetzliche Mindestlohn um 25 Prozent auf 12 Euro steige, hätte dies für die Unternehmen eine wesentlich höhere Belastung zur Folge. Durch anteilige Kosten für Urlaub, Feiertage, Krankheit usw. müsse man de facto 20 Euro pro Stunde zahlen.

Dies sei nicht das einzige Problem. Viel gravierender sei, dass man keine "leistungswilligen Arbeiterinnen und Arbeiter" bekäme, die bereit seien, Bücher zu verpacken und körperlich harte Arbeit zu verrichten. "Hier droht eine dramatische Entwicklung", so Schierke. Für die Logistik käme erschwerend hinzu, dass die Kosten für Lagerbeheizung und Transport enorm steigen. Preisanpassungen seien teilweise nicht durchzusetzen, weil man Verträge mit Laufzeiten von bis zu fünf Jahren einzuhalten habe. "Auf uns rollt ein Tsunami zu", so Schierke.

Frequenzverschiebung in Innenstädten

Ein Tsunami, der auch den Buchhandel erreichen wird, merkte Christiane Schulz-Rother, Vorsitzende des Sortimenter-Ausschusses, an. Um höhere Kosten ausgleichen zu können, müssten die Bücherpreise steigen. Denn auch der Buchhandel müsse für Energie, Verpackung und Löhne erheblich mehr aufwenden.

Noch ein anderer Faktor erschwere die Situation des stationären Buchhandels, so Schulz-Rother: "Seit Beginn der Pandemie kommen weniger Leute in die Städte, und im Umfeld verschwinden Einzelhandelsgeschäfte. Der Online-Buchhandel gleicht zwar einiges aus, aber wir verkaufen die Bücher über das Internet mit weniger Marge als große Online-Händler." Eine Erhöhung der Buchpreise und eine Anhebung der Rabatte sei daher unumgänglich.

Höhere Buchpreise

"Die Buchpreiserhöhung muss kommen", unterstrich Nadja Kneissler die Forderung ihrer Sortimentskollegin. "Wir müssen der Öffentlichkeit und der Politik klarmachen, welchen Wert das Buch hat, und dass dieser Wert nicht nur am Verkaufspreis abzulesen ist." Wenn dies gelänge, könnte man auch höhere Preise durchsetzen. Auf der anderen Seite, so Kneissler weiter, müsse sich die Branche nach wie vor die Kostentreiber anschauen – ein Dauerthema ist etwa die hohe Zahl an Remissionen.

Höhere Buchpreise können aus kartellrechtlichen Gründen nicht im Zusammenschluss der Branchenteilnehmer beschlossen werden, so Kneissler. "Wir haben einen freien Wettbewerb, in dem auch der Preis ein Argument ist." Bei Fachbüchern gebe es eine Akzeptanz auch für hohe Preise; das Problem sei eher die Belletristik. Hier habe es zwar im vergangenen Jahr eine Preiserhöhung um rund vier Prozent gegeben – angesichts der zweistelligen Kostensteigerungen, die auf die Buchbranche zukommen, sei dies aber nicht ausreichend.

Christiane Schulz-Rother meinte, auch als Buchhändler*in könne man die Entwicklung beeinflussen, indem man etwa kein Taschenbuch unter zehn Euro mehr einkaufe.

Weniger Bücher?

Ist die Überproduktion mit Schuld an der gegenwärtigen Krise? Stephan Schierke könnte sich vorstellen, dass die Zahl der Bücher im Markt deutlich sinkt. "Es wäre für alle gut, wenn wir 500.000 Titel anbieten könnten, und nicht über eine Million." Laut Logistikumfrage würde jeder Titel im Schnitt an jeder 5. Verkaufsstelle einmal pro Jahr verkauft. Nur die Zahl der Novitäten zu senken, würde das Problem nicht lösen. "Man müsste dann auch die Backlist entsprechend reduzieren."

Aus den Sitzungen der Fachausschüsse

Am Nachmittag des 11. November kamen die drei Fachausschüsse zu ihren turnusmäßigen Einzelsitzungen zusammen. Stephan Schierke berichtete aus dem ZwiBu-Ausschuss unter anderem, dass Stefan Könemann (Barsortiment Könemann) zu seinem Stellvertreter gewählt worden sei. Ein anderes Thema sei die Diskrepanz bei bestimmten Branchenzahlen gewesen: In der Logistikumfrage und "Buch und Buchhandel in Zahlen" (Bubiz) sind unterschiedliche Zahlen zum Direktvertrieb der Verlage ausgewiesen. Dies liege daran, dass die Zahlen zum Direktgeschäft im Bubiz zum großen Teil Fachbücher und -zeitschriften beinhalten. Außerdem habe der Ausschuss eine Budgetempfehlung abgegeben: Die Wirtschaftsbetriebe sollten stärker renditeorientiert arbeiten und weniger riskante Projekte beschließen.

Im VA, so Nadja Kneissler, habe man den Wunsch für eine strukturelle Verlagsförderung nach dem Vorbild anderer europäischer Staaten artikuliert. In der aktuellen wirtschaftlichen Situation seien viele Verlage extrem belastet. Als wichtiger Bestandteil der Kulturwirtschaft müssten sie auf jeden Fall unterstützt werden. Der VA werde gemeinsam mit dem Hauptamt ein Konzept entwickeln und der Politik übermitteln.