Das Unheil, das Putins Russland über die Ukraine gebracht habe, hat für Schlögel viele Namen: Imperialismus, Revisionismus, Mafia-Staat, Faschismus, Raschismus. Dennoch habe es in Deutschland erstaunlich lange gedauert, all das zu begreifen:
"Wieviel einfacher und bequemer war es doch, der Nato oder gleich dem kollektiven Westen die Schuld zu geben: Bis auf den heutigen Tag ist die Suche nach einem tieferen Sinn in der Putinschen Politik nicht zur Ruhe gekommen. Genannt werden: Demütigung der einstigen Supermacht, Einkreisungsängste, Sicherheitsbedürfnis, Kampf um Anerkennung. Dem entspricht die Vorstellung, dass sich im argumentativen Diskurs mit ihm Missverständnisse ausräumen und Deals aushandeln lassen. Die Vorstellung, dass Putin sich an Argumente oder gar Verfahrensregeln halten würde, hat er jedoch von Anfang an widerlegt."
Denn Putin, ergänzte Schlögel, habe den Tisch, an dem Verhandlungen und Gespräche nach bestimmten Spielregeln stattfinden sollten, einfach umgestoßen und mit Bravour die Regelverletzung zum System erklärt:
"Er war und ist der Meister der Eskalationsdominanz, der wohl kalkulierten Verschärfung von Konflikten, den kalkulierten Bruch des Nukleartabus eingeschlossen. Die Angst ist seine wichtigste Waffe, und in der Bewirtschaftung der Angst besteht sein wahres Talent."
Dass der Krieg nicht nur mit Waffen geführt wird, zeigt sich an Putins Propaganda-Maschinerie. Putin führe auch einen Krieg um Köpfe, mit Stimmungen, mit Ängsten, mit Ressentiments, mit Nostalgien - oder "als verlockendes Angebot, zu business as usual zurückzukehren."
Die Ukrainer:innen dagegen würden wissen, dass sich ein zu allem entschlossener Aggressor nicht mit Worten aufhalten lasse: "Sie sind Realisten, die sich keine Illusionen leisten können. Weil sie nicht Opfer sein wollen, wehren sie sich. Sie sind auf alles gefasst (...) . Sie sind in einer postheroisch gewordenen Welt Helden, ohne davon Aufhebens zu machen."
Und von diesen modernen Helden, das machte Karl Schlögel sehr deutlich, kann das restliche Europa einiges lernen:
"Die Bürger und Bürgerinnen der Ukraine lehren uns, dass das, was geschieht, nicht Ukraine-Konflikt heißt, sondern Krieg. Sie helfen uns zu verstehen, mit wem wir es zu tun haben: mit einem Regime, das die Ukraine als unabhängigen Staat vernichten will und das Europa hasst. Sie zeigen uns, dass dem Aggressor entgegenzukommen nur dessen Appetit auf noch mehr steigert und dass Appeasement nicht zum Frieden führt, sondern den Weg in den Krieg ebnet."