Woche der Meinungsfreiheit: Interview mit Sabeth Vilmar

"Die Welt brennt"

7. März 2024
von Sabine Cronau

Die Woche der Meinungsfreiheit steht in diesem Jahr unter dem Motto: "Demokratie wählen. Jetzt!". ­Warum sollte sich der Buchhandel engagieren? Für Sabeth ­Vilmar von der Berliner Buchhandlung Kunst-Buch Kollwitzplatz liegt die Antwort darauf in den Regalen.

Sabeth Vilmar

Zu all den drängenden Fragen unserer Zeit gibt es hervorragende Bücher - analytisch und aufklärend, erzählerisch oder kunstvoll..

Sabeth Vilmar, Inhaberin der Berliner Buchhandlung Kunst-Buch Kollwitzplatz und Mitglied in der IG Meinungsfreiheit des Börsenvereins

Ist es im Wahljahr 2024 besonders wichtig, Flagge für Demokratie und Meinungsfreiheit zu zeigen, auch im Buchhandel?

Der Buchhandel sollte unbedingt Flagge zeigen – und kann das auch, weil es ein Fundament dafür gibt: das Buch. Unerträgliche Kriege, Klima­wandel, Streiks gegen soziale Ungleichheit, Demonstrationen für die Demokratie, der Ruf nach Friedensverhandlungen: Zu all den drängenden Fragen unserer Zeit gibt es hervorragende Bücher, analytisch und aufklärend, erzählerisch und kunstvoll.

Haltung zeigen: Glauben Sie, dass das ein Auftrag der Buchbranche ist?

Als Gründungsmitglied der IG Meinungsfreiheit im Börsenverein setze ich mich seit Jahren für Meinungsfreiheit, demokratische Rechte, soziale Gleichheit auch für Geflohene ein.

Gerade in den vergangenen drei Jahren hat sich die politische und soziale Situation extrem zugespitzt: Die Welt brennt. Und ich glaube, dass die Buchbranche und der Buchhandel ideale Foren dafür sind, Meinungen austauschen, Diskurse anzuregen und Leser:innen zum Handeln zu ermutigen. 

Politische Lieblingsbücher: So feiert Kunst-Buch Kollwitzplatz die Woche der Meinungsfreiheit

Buchtipps vor der Ladentür

Lesung vor der Ladentür...

Buchtipps von Verleger Edmund Jacoby

... mit Verleger Edmund Jacoby

Sie engagieren sich mit Veranstaltungen bei der Woche der Meinungsfreiheit. ­Müssen solche Aktionen aufwendig sein?

Nein, wir machen sehr gute Erfahrungen mit einer Veranstaltung, die relativ einfach zu organisieren ist. Zwei Stunden lang stellen Journalist:innen, Autor:innen und Verleger:innen Bücher zu aktuellen politischen Themen vor – und zwar draußen vor der Ladentür.

Edmund Jacoby, Verleger von Jacoby & Stuart, war schon mit von der Partie ebenso die Autorin Tanja Dückers. In Berlin können wir bei der Prominenz natürlich aus dem Vollen schöpfen. Das Besondere ist allerdings, dass wir auch unsere Kund:innen via Mail oder Newsletter dazu einladen, Lieblingsbücher zu präsentieren. Das sorgt für einen spannenden Mix.

Warum findet die Aktion vor der Ladentür statt? Und was passiert bei Regen?

Vor der Ladentür erreichen wir auch das Laufpublikum. Es ist einfach mehr los. Und zum Glück sind die Bürgersteige in Berlin breit genug, um auch ein paar Stühle aufzustellen. Regen hatten wir bisher nur einmal, das war 2023. Da haben wir die Veranstaltung kurzerhand in den Laden verlegt, als literarisch-politische Mittagspause. Aber draußen ist es schöner.

Auch einen Büchertisch bauen wir auf. Denn wir machen bei der Veranstaltung durchaus Umsatz – noch dazu mit Büchern, hinter denen wir voll und ganz stehen können. Kurzum: Es lohnt sich in jedem Fall, Zeit und Ideen in die Woche der Meinungsfreiheit zu investieren.

Lassen Sie sich auch im Ladenalltag auf politische Diskussionen mit Kund:innen ein? Und läuft das immer friedlich ab?

Wir diskutieren im Grunde täglich mit Leser:innen über politische Fragen, die sich aus den ständig neuen Nachrichten und den Büchern ergeben. Dabei wird auch kräftig gestritten – aber genau das ist es, was viele unserer Kundinnen und Kunden gut finden: Gespräche über Fragen, die ihnen auf den Nägeln brennen, und über Bücher, die hier richtungsweisend sein können.

Wo stößt Meinungsfreiheit an Grenzen?

Für mich gilt es, die Freiheit der Kunst zu verteidigen, ohne Zensur und Verbote. Das gilt auch auf politischer Ebene: Wir müssen der AfD inhaltlich das Wasser abgraben, durch eine soziale, gerechte, klare Politik – und nicht durch ein Verbot.

In Berlin sind derzeit zwei wichtige historische Ausstellungen zu sehen, die von hervorragenden Büchern begleitet werden. Sie regen dazu an, Kunst als Mittel des sozialen Widerstands, als Spiegel politischer Verhältnisse zu sehen.

  • Zum einen das Buch zur Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie: »Zerreißprobe. Kunst zwischen Politik und Gesellschaft 1945 – 2000« (Hirmer, bis 28. September 2025). Nach dem 2. Weltkrieg begann eine Zeit des Aufbruchs, unterschiedliche Emanzipationsbewegungen entstanden, die Kunst richtete sich neu aus. Die Teilung Deutschlands und Berlins führte zu einer doppelten Sammlungsstruktur, die in dieser Ausstellung großartig dargestellt wird. Alle Kunstgattungen, neue künstlerische Techniken, Abstraktion und Figuration, Farben und Formen und die Konfrontationen zwischen Ost und West werden hier gezeigt. Natürlich sind Werke namhafter Künstler:innen vertreten, etwa von Marina Abramovic, Rebbecca Horn, A.R. Penck, Willi Sitte und Andy Warhol. Ein fantastisches Buch.
  • Zum anderen das Buch zur Schau im Kupferstichkabinett: »Die Aktion Entartete Kunst 1937« (Lukas Verlag, Ausstellung: „Die gerettete Moderne. Meisterwerke von Kollwitz bis Kirchner“, bis 21. April 2024). Ausstellung und Buch würdigen die mutige Leistung des damaligen Kustos Willy Kurth, der im Sommer 1937 zahlreiche Werke der Moderne vor der Vernichtung durch die Nazis rettete. Darunter waren Arbeiten von Ernst Ludwig Kirchner, Käthe Kollwitz, Erich Heckel, Franz Marc, Picasso, Edvard Munch und vielen anderen. Erstmals werden diese Rettung und die Aktion "Entartete Kunst" deutschlandweit gezeigt, dokumentiert und kommentiert. Das Buch liest sich wie ein Krimi und ist herausragend - auch für alle, die sich die Schau nicht ansehen können.
Schriftzug "Demokratie wählen. Jetzt" auf blauem Hintergrund mit Europa-Sternen

WOCHE DER MEINUNGSFREIHEIT

  • Termin: 3. – 10. Mai (vom Welttag der Pressefreiheit bis zum Gedenktag für die Bücherverbrennung)
  • Auftakt: Am 3. Mai im Literaturhaus Frankfurt am Main mit der Debatte »Freies Wort – freies Europa?«, Gäste: Jan-Pieter Barbian, György Dalos, Petra Reski, Moderation: Shelly Kupferberg
  • Literaturliste: Die IG Meinungsfreiheit des Börsenvereins hat 33 Titel für Schaufenster und Büchertisch zusammengestellt (über VLB-TIX oder am Ende des Artikels und hier als Download).
  • Werbemittel: Gratispakete können bis zum 8. März bestellt werden (zwei DIN-A3-Plakate, drei mal 30 Postkarten, ein Aufkleber »Ort der Meinungsfreiheit«). Alle Motive auch kostenlos als Download.
  • Veranstaltungskalender: Verlage und Buchhandlungen können ihre eigenen Termine einpflegen unter 
    woche-der-meinungsfreiheit.de.

Ausgewählte Bücher zur Woche der Meinungsfreiheit