Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises

"Sie gibt ihren Geschichten Raum"

27. November 2024
Andreas Trojan

Der russischen Journalistin Katerina Gordeeva wurde am 26. November der Geschwister-Scholl-Preis für ihr Buch "Nimm meinen Schmerz" über den Ukraine-Krieg verliehen. Das Besondere: Sie gebe den Menschen Raum, bleibe aber als Russin, die Verantwortung trägt, die ganze Zeit anwesend, heißt es in der Laudatio von Alice Bota.

Standing Ovations für Katerina Gordeeva

Katerina Gordeeva

Darf man als gebürtige Russin über das Leid von ukrainischen Menschen schreiben? Katerina Gordeeva hat es getan. Und sie hat für ihr Buch "Nimm meinen Schmerz. Geschichten aus dem Krieg" (Droemer) den diesjährigen Geschwister-Scholl-Preis erhalten. Gordeeva wurde 1977 in Russland geboren. Als ausgebildete Journalistin startete sie ihre Karriere beim russischen Fernsehen. 2014 verließ sie mit ihrer Familie Russland wegen der Krim-Annexion – kein leichter Schritt. Heute lebt sie in Lettland, betreibt einen eigenen YouTube-Channel und berichtet unermüdlich über den Ukraine-Krieg. Ihr Buch beinhaltet 24 Reportagen, Gespräche, die Gordeeva mit Flüchtlingen, meist Frauen, geführt hat. Neben Menschen aus der Ukraine kommen aber auch Russen zu Wort. In der Jury-Begründung heißt es daher: "Diese Haltung und ihr schonungsloses Schreiben über den Krieg stellen eine würdige Verbindung zum Widerstand der Geschwister Scholl und der Weißen Rose her, in deren Namen sie für ihr Buch ausgezeichnet wird."

Klaus Füreder

Verliehen wurde der diesjährige Geschwister-Scholl-Preis traditionsgemäß in der Großen Aula der Ludwig-Maximilians-Universität in München. In seiner Begrüßung meinte Oliver Jahraus, Vizepräsident der Universität, dass der Preis im Gedenken an die Weiße Rose um die Geschwister Scholl einerseits die Preisträgerin ehre, diese andererseits den Preis selbst, da so der Widerstandsmut von damals in die Gegenwart hinüberstrahle. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter verwies darauf, dass die ukrainische Hauptstadt Kyiv und die Landeshauptstadt München seit 1989 Partnerstädte seien. Reiters Telefonate mit Vitali Klitschko erschütterten ihn jedes Mal – und München helfe so gut es geht. Zu Gordeevas Buch hielt er fest: "Sie schreibt nicht über den Krieg, sondern beschreibt die Tragik der Menschen im Krieg." Klaus Füreder, Vorsitzender des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels – Landesverband Bayern e. V., gab die Impression seiner Lektüre wieder: "Es sind die verstörenden Bilder im Kopf, die beim Lesen entstehen, die eine viel größere Wirkung haben als Effekt heischende Bewegtbilder." Mit ihrem Buch habe die Autorin "ein Stück Geschichte geschrieben".

Und dennoch bleibt die Frage: "Darf eine Russin über das Leid schreiben, das Ukrainerinnen und Ukrainer in diesem Krieg erleiden?" Mit dieser Frage begann Alice Bota, Journalistin mit Schwerpunkt Ostmittel- und Osteuropa, ihre Laudatio. Gordeevas Buch sei nämlich erst einmal auf Russisch erschienen – also für ein Publikum im Land des Aggressors. Genau damit fördere die Autorin den Widerstand innerhalb ihres Heimatlandes. Das Besondere an der Art ihres Schreibens läge darin, dass sie die Menschen selbst zu Wort kommen lasse: "Sie gibt ihren Geschichten Raum." Zugleich verstecke sich Gordeeva nicht einfach hinter diesen Erzählungen des Grauens. – "Sie bleibt die ganze Zeit anwesend: als Filmemacherin, als Autorin, vor allem aber auch als Russin, die Verantwortung trägt."

Die Preisträgerin Katerina Gordeeva fand in ihrer Dankesrede sehr persönliche Worte: "Ich bin in einem Teil Russlands geboren und aufgewachsen, der an die Ukraine grenzt. Unsere Sprache ist dem Dialekt in der Südostukraine ähnlich.“ Doch heute gilt: "Die Orte meiner glücklichen Kindheit haben sich in ein blutiges Chaos verwandelt." Und sie zitierte aus dem Gedicht "Eine Frau von 79 Jahren" ihrer Freundin Schenja Berkowitsch: "Ihr bleibt nur der Pass / und ein Nervenzusammenbruch / und ein Bild ihres Enkels neben einem Panzer.“ Die russische Dichterin und Dramatikerin Berkowitsch ist vor einigen Monaten mit fadenscheiniger Begründung zu sechs Jahre Straflager verurteilt worden. Mit ihren Gedanken sprach Gordeeva einen wunden Punkt an. Denn viele Russen haben Verwandte und Bekannte in der Ukraine. Doch sie schweigen. Dafür und für den russischen Vernichtungskrieg bat die Autorin um Verzeihung – "eines fernen Tages, wann und wie ihr es könnt". "Aber ich möchte, dass Sie wissen – und das halte ich für wichtig – dass es nicht mein ganzes Land ist, dass sich diesem Wahnsinn ergeben hat", ergänzte die Preisträgerin. "Es gibt Menschen, die Widerstand leisten. Ich kann bezeugen, dass sie einen hohen Preis für ihren Widerstand zahlen, aber sie geben nicht auf und sie machen weiter.“ Auch in diesen Menschen schlägt das Herz der Weiße Rose um die Geschwister Scholl.