Ich begleite Karl Schlögel, seine Frau Sonja Margolina und ein zweiköpfiges Team vom ZDF, die in der Partnerstadt von Frankfurt am Main ein Porträt des diesjährigen Friedenspreisträgers drehen werden. Grenzen (auch die im Kopf) überwinden und zeigen, dass Lemberg und die Ukraine Teil Europas sind und es auch immer schon waren – das ist das Ansinnen, ohne den Einfluss aus dem Osten zu ignorieren: die Beziehungen zu Russland, die auf Eis liegen, oder die aktuelle Hinwendung zur orthodoxen Kirche, obwohl zumindest die Westukraine lange katholisch geprägt war.
Es ist sieben Uhr morgens, wir sind allein an der Station. Unser Bus müsste jetzt abfahren, aber er ist noch nicht einmal da. Wir schauen auf unsere Tickets, um zu prüfen, ob die Uhrzeit stimmt. Dabei merken wir, dass als Abfahrtsort eine Haltestelle am Rande der Stadt angegeben ist. Als wir dort mit zwei eilig herbeigerufenen Taxis ankommen, ist der Bus natürlich längst fort. Gestrandet im Gewerbegebiet, gegenüber liegt ein amerikanisches Schnellrestaurant, wir sind ratlos.
Wir könnten doch zu Fuß über die Grenze gehen, schlagen die Taxifahrer uns vor, um dann auf der ukrainischen Seite einen Wagen zu suchen, der uns nach Lemberg fährt. Stefan Gagstetter, der Regisseur, zieht einen riesigen grünen Koffer hinter sich her, nachdem wir aus den Taxis gestiegen sind und nun tatsächlich zum Kontrollgebäude laufen. René Feldmann hat zwei Kameras und jede Menge Equipment dabei. Ich helfe ihm beim Tragen, während Karl Schlögel mit seinem kleinen Koffer leichtfüßig vor uns her geht. Auch Sonja Margolina hat sich nur auf das Nötigste beschränkt – als hätten sie geahnt, dass die Reise unbequem werden könnte.
Weil wir nun diesen mühsamen Weg auf uns nehmen müssen, befürchte ich, die beiden könnten ungehalten sein. Sonja Margolina nimmt es jedoch gelassen hin, Karl Schlögel ist sogar ein wenig euphorisch. Wie es ist, wenn man wie die vielen Geflüchteten so viel Ungemach auf sich nehmen muss, um eine Grenze zu passieren – diese Erfahrung saugt er geradezu in sich auf. Als Bewohner des Schengenraums ist es für uns ungewohnt, den Pass vorzuzeigen und den prüfenden Blick ins Gesicht auszuhalten. Und doch ist es nicht unangenehm, auf diese Weise ein Land zu betreten, das sich im Krieg befindet. Denn so herzlich, wie die Menschen uns begegnen, fühlen wir uns sofort willkommen.
Auf der ukrainischen Seite wirkt alles noch sehr improvisiert. Ich hoffe, dass das so bleibt, damit die Zäune und Barrikaden nicht zu einem festen Bestandteil dieses Grenzübergangs werden. Schengen liegt in Luxemburg, und doch sollte es auch hier sein. Keine Stunde später sind wir in Lemberg, drei Stunden früher als der Bus, den wir verpasst haben. Ungewollt haben wir alles richtig gemacht, selbst der riesige grüne Koffer hat in den Kleinbus gepasst.