"Wessen Wahrheit zählt?": Aladin El-Mafaalani auf der Buchmesse

Warum das große Misstrauen um sich greift

18. Oktober 2025
Sabine Cronau

Ein spannendes Lehrstück über Verschwörungstheorien und die Erosion der Demokratie gab es am Messe-Samstag auf der Centre Stage in Halle 4.1: Soziologe Aladin El-Mafaalani sprach über "Misstrauensgemeinschaften" und zentrale Thesen seines neuen Buches. 

Wessen Wahrheit zählt? Diskussion auf der Centre Stage

Misstrauen ist nicht gleich Misstrauen: Einerseits ist Misstrauen wichtig, damit eine Gesellschaft funktioniert und das System verbessert werden kann. Ermittler und Journalistinnen, die anderen blind vertrauen, würden jedenfalls keinen guten Job machen. Andererseits gibt es aber auch eine destruktive Form des Misstrauens, die allem und jedem misstraut. Dieses Misstrauen will das bestehende System zerstören und ist damit auch Kernelement einer populistischen Politik.

Nicht umsonst flute der "Trumpismus" die USA mit Desinformation und Widersprüchlichkeiten, so der Soziologe Aladin El-Mafaalani, der sich in seinem neuen Buch mit "Misstrauensgemeinschaften" (Kiepenheuer & Witsch, Anfang November, 16 Euro). Mit ihm auf der Messebühne: Die stellvertretende KiWi-Verlegerin Helga Frese-Resch, beim Börsenverein Co-Sprecherin der IG Meinungsfreiheit. Warum haben Verschwörungstheorien so eine Anziehungskraft – und welche Folgen hat das für die Demokratie? Das waren Fragen, die das Duo unter der Überschrift "Wessen Wahrheit zählt?" auf der Centre Stage diskutierte (mit Unterstützung der ZEIT Stiftung Bucerius).

Gemeinschaft macht das Ungemütliche des Misstrauens ein bisschen gemütlicher.

Aladin El-Mafaalani, Soziologe und Autor

Die digitale Dynamik

Misstrauen, auch das destruktive, habe es zu jeder Zeit gegeben, so El-Mafaalani: "Der Unterschied zu früher ist, dass sich die, die misstrauen, heute in der digitalen Welt sehr schnell zusammenfinden". Die einzigen, denen die Misstrauenden noch vertrauen, sind dann die, die ebenfalls misstrauen. Wer einmal in diesem Kreislauf gefangen ist, findet schwer wieder heraus. Und hat, weil permanentes Zweifeln ganz schön anstrengend ist, mitnichten ein leichtes Leben: "Gemeinschaft macht das Ungemütliche des Misstrauens ein bisschen gemütlicher."

Wissenschaft und Journalismus: Das sind für den Soziologen zwei wichtige Säulen einer funktionierenden Demokratie – weil sie Wissen sammeln und vermitteln: "Es ist kein Zufall, dass Trump in den USA beides unter Druck setzt." Das Problem: Wenn die sogenannten alternativen Fakten und Fake News erst einmal den Diskurs bestimmen und sich die Gesellschaft nicht mehr auf eine gemeinsame Wahrheit verständigen kann, "dann funktioniert das demokratische Aushandeln von Kompromissen nicht mehr."

Stellen Sie sich nur mal vor, was passieren würde, wenn die Deutsche Bahn drei Monate lang pünktlich wäre!

Aladin El-Mafaalani

Politik der falschen Versprechen

Für den Soziologen haben sich auf diese Weise nach und nach ganze "Misstrauensstrukturen" auf nahezu allen Ebenen der Gesellschaft gebildet – alternative Medien, alternative Parteien, alternative Währungen (wie die Kryptowährungen, die nach der Finanzkrise aufkamen).

Die Abwendung von der Gesellschaft und den vorhandenen Strukturen sei dabei nur bedingt auf unterschiedliche Bildungsniveaus oder soziale Ungleichgleichheit zurückzuführen, meint El-Mafaalani. Die Gründe würden eher in einer immer komplexer werdenden Welt liegen, in der manchmal sogar die Expert:innen den Überblick verlieren – und in einer Politik der falschen Versprechen.

Politiker hätten schon immer das eine gesagt, um dann das andere zu tun, so der Soziologe. Heute jedoch sei der Vertrauensverlust, der dadurch entstehe, verheerend. Was aus seiner Sicht auch daran liegt, dass staatliche Strukturen nicht mehr so funktionieren wie sie sollten und viele Menschen keine positiven Erwartungen mehr an die Zukunft hätten.

Wichtig: eine funktionierende Gegenwart

Wie lässt sich Vertrauen wieder herstellen? Erstens: nur ganz, ganz langsam. Zweitens: durch eine Politik, die tut, was sie sagt, und die Handlungsfähigkeit des Staates erhält: "Stellen Sie sich nur mal vor, was passieren würde, wenn die Deutsche Bahn drei Monate lang pünktlich wäre!"

Anders formuliert: Eine funktionierende Gegenwart und positive Erwartungen an die Zukunft sind vertrauensbildende Maßnahmen für eine demokratische Gesellschaft, wie El-Mafaalani deutlich machte. Helga Frese-Resch reagierte auf ihre Weise auf das Podiumsgespräch: Sie kündigte an, dass Buch "Misstrauensgemeinschaften" an möglichst viele Politiker:innen schicken zu wollen.

Weiterdiskutiert wird spätestens bei der nächsten Woche der Meinungsfreiheit, die der Börsenverein gemeinsam mit vielen Partnern vom 3. bis zum 10. Mai 2026 veranstaltet. Diesmal unter dem Motto: "Was ist wahr?". Mehr dazu hier.