Erste Stimmen zur Mehrwertsteuer-Senkung

"Der Aufwand würde den Ertrag übersteigen"

17. Juni 2020
von Börsenblatt

Der Koalitionsausschuss hat am 3. Juni beschlossen, dass die Mehrwertsteuersätze bis zum Jahresende abgesenkt werden. Wie sinnvoll ist das für die Buchbranche? Erste Stimmen.

Hanser-Verleger Jo Lendle: 
"Auch wenn ein spezielles Interesse Karl Valentins für Steuerfragen nicht überliefert ist, lässt sich sein bekanntes Kunst-Bonmot leicht zu neuer Blüte bringen: Temporäre Mehrwertsteuersenkungen sind schön, machen aber viel Arbeit. In einer Branche mit festen, eingedruckten Ladenpreisen zöge das Hin und Her so viel Arbeit nach sich, dass der Aufwand den Ertrag überstiege. Wir werden daher die Preise unserer lieferbaren Titel beibehalten und höchstens bei Neuerscheinungen eigentlich notwendige Erhöhungen moderater ausfallen lassen. Den Vorteil teilen sich alle Beteiligten – egal ob verfassend, verlegend oder verbreitend. Wenn alle mal kurz 2% mehr Luft bekommen, trifft es nicht die Falschen. Immerhin gilt nach wie vor: Bücher zeigen ihren inneren Wert viel zu selten außen."

Iris Hunscheid, Buchhandlungen Hoffmann in Achim und Jost in Bonn, Sprecherin der IG Unabhängiges Sortiment: 
"Als Buchhändlerinnen können wir am gebundenen Ladenpreis ja glücklicherweise nichts ändern, aber Jo Lendle hat absolut recht: Der riesige Aufwand bei Preisänderungen stünde in keinem Verhältnis zum Ertrag - also Finger weg davon. Der Kunde merkt die Mehrwertsteuersenkung eher in anderen Bereichen wie beim Tanken. Vielleicht werden große Konzerne Lockangebote machen, damit ihre Flächen wieder besser frequentiert werden, aber wir kleineren Sortimente haben das Problem ja gar nicht, uns haben die Kunden sehr treu zur Seite gestanden, die kommen ja alle in die Läden. Insgesamt wird die Mehrwertsteuersenkung aber vermutlich Lust machen, wieder mehr einkaufen zu gehen. Sinnvoll finde ich die Senkung auf jeden Fall, als ein eine Art Ausgleich für die Kosten, die in den vergangenen Monaten entstanden sind.

Joachim Rau, Vertriebsgeschäftsführer Gräfe und Unzer:
"Die Info zur Senkung ist ganz frisch, wir werden in den nächsten Tagen prüfen, wie und in welcher Form wir damit umgehen können. Grundsätzlich begrüßen wir diesen Impuls, da er helfen wird, das gesamte Konsumklima stabil zu halten."

Antje Kunstmann und Moritz Kirschner, Verlag Antje Kunstmann:
"Wir können gar nicht für ein halbes Jahr auf eine reduzierte Mehrwertsteuer so reagieren, dass wir sie an die Kunden weitergeben. Zum einen sind die Bücher, die bereits auf dem Markt sind, gesetzlich preisgebunden. Zum anderen macht es gar keinen Sinn, für ein halbes Jahr die Preisgestaltung der Bücher zu verändern, das erfordert einen bürokratischen Aufwand, der sich überhaupt nicht rechnet. Davon abgesehen sind Bücher länger als ein halbes Jahr im Handel und dann gilt ja wieder der übliche Mehrwertsteuersatz – und alles müßte  wieder zurückgefahren werden. Wie sollte man so ein Handeln an die Endkunden vermitteln?  Die Preise der Bücher generell anzuheben, ist bei uns nicht geplant, wir werden also bei unserer derzeitigen Preisgestaltung bleiben."

Katharina Hokema, Geschäftsführerin, Michael Müller Verlag: 
"Die temporäre Kürzung der Mehrwertsteuer von 7 Prozent auf 5 Prozent wird der Michael Müller Verlag nicht weitergeben. Hintergrund ist, dass sich diese kleine Minderung letztendlich in Cent-Beträgen auswirkt − und für unsere Leser/innen nur minimal spürbar wäre. Die Arbeiten, um diese 2 Prozent auszuweisen, würden allerdings einen enormen Aufwand nach sich ziehen: Alle Titel in der Auslieferung als auch im Sortiment der Buchhandlungen müssten umetikettiert werden … Ganz abgesehen davon vermitteln uns die Buchhändler/innen immer wieder den Wunsch nach sanften Ladenpreiserhöhungen."