Erfahrungsbericht vom ABA-Kongress in den USA

"Gegen Zensur und Rassismus"

17. April 2025
Redaktion Börsenblatt

Von Heidelberg nach Denver: Buchhändlerin Johanna Feil war als RISE-Stipendiatin beim Kongress der American Booksellers Association zu Gast. Resignation hat sie dort nicht gespürt – sondern jede Menge Widerstand.

Johanna Feil und Robert MacFarlane

Johanna Feil traf in Denver einen ihrer literarischen Helden: Schriftsteller Robert MacFarlane

Man konnte im Sheraton Denver Downtown keinen Aufzug, keinen Flur und auch keine der umliegenden Straßen betreten, ohne anderen Buchhändler:innen zu begegnen.

Johanna Feil, Buchhändlerin bei WortReich in Heidelberg

Ende Februar durfte ich dank eines Stipendiums von RISE Bookselling ( risebookselling.eu - EU-gefördertes Projekt zur Stärkung des Netzwerks von Buchhändler:innen weltweit ) zum Winter Institute der American Booksellers Association nach Denver reisen. 

RISE ermöglicht immer wieder Buchhändler:innen die Teilnahme an internationalen Handelsevents, organisiert seit mehreren Jahren eine eigene Bookselling Conference in wechselnden europäischen Städten, hat außerdem den großartigen Podcast "Let‘s Talk Bookselling", den ich nur empfehlen kann, er hat mich schon auf einigen Pendelfahrten begleitet und mich besonders in der stressigen Vorweihnachtszeit immer wieder daran erinnert, warum ich unseren Beruf so sehr liebe.

Zum 20. Geburtstag des großen ABA-Branchentreffens machten sich fast 1000 Buchhändler:innen, außerdem Hunderte Mitarbeiter:innen von Verlagen und Dienstleistern der Buchbranche, sowie Dutzende Autor:innen auf den Weg nach Denver. Die ABA hatte dort einen Großteil des Sheraton Denver Downtown reserviert und konnte man in den kommenden Tagen keinen Aufzug, keinen Flur und auch keine der umliegenden Straßen betreten, ohne anderen Buchhändler:innen zu begegnen. (Unschwer zu erkennen an den großen Taschen der Indieplattform bookshop.org, die man am Welcome Table abholen konnte. Aufschrift: "There‘s plenty of pie for everyone (if you don‘t let a Billionaire slice it)".

Programmheft des Winter Institute - und die Tasche von Bookshop.org

Unterwegs zu fünf Buchhandlungen

Das Event wurde zum ersten Mal mit der IGNITE: BIPOC Bookseller Pre-Con am Samstag eröffnet (mit Veranstaltungen wie „Empowering BIPOC Booksellers in White-Dominated Spaces“ und verschiedenen BIPOC Affinity Group Meetups).

Für viele von uns ging es am Sonntag auf verschiedene "Bookstore Tours", meine führte zu fünf Buchhandlungen in Denver und Umgebung:

  • zum zwei Jahre jungen queer & feminist bookstore „Petals&Pages“
  • zu „Rainbow Reva‘s“ - einem winzigem Pop-up-Store im Townhall Collective
  • nach Colorado Springs zum Laden „Poor Richard‘s“, der Buchhandlung, Spielwarengeschäft und Restaurant vereint und schon seit 1975 existiert,
  • zu „Sudden Fiction“ in Castle Rock, ebenfalls Teil eines Shop Collectives, das sich ein Gebäude teilt
  • zu „West Side Books“, das bis unter die Decke gefüllt ist mit einer exzentrischen Auswahl an neuen und gebrauchten Büchern.

Es war toll, diese unterschiedlichen Konzepte und Herangehensweisen an den Buchhandel zu sehen - und gleichzeitig die Begeisterung, die alle vereint.

Welche Rolle hat die Politik gespielt?

Die politische Lage war ein wichtiges Thema bei dem Kongress, sowohl in den Talks und Keynotes auf der Bühne als auch in den persönlichen Gesprächen zwischen den einzelnen Programmpunkten.

Die Book Bans an staatlichen Schulen beispielsweise (auf https://pen.org/report/beyond-the-shelves/ gibt es Statistiken zu den letzten Jahren und der massiven Zunahme von Bans speziell von Büchern mit POC Charakteren und LGBTQ+-Themen), und allgemeiner: die seit Trump’s Amtsantritt immer stärker gefährdete Demokratie.

Beim Rep Picks Speed Dating (jemand bezeichnete es sehr treffend als „Waterboarding, but with books“ - Verlagsvertreter:innen wechseln im Viertelstundentakt von Tisch zu Tisch und stellen Buchhändler:innen die Neuheiten aus ihren jeweiligen Verlagen vor) waren neben belletristischen Verlagen auch solche mit politischem Sachbuch-Schwerpunkt vertreten, so dass diese Themen auch dort immer wieder zur Sprache kamen.

Leseexemplare im Ballsaal des Sheraton

Leseexemplare im großen Ballsaal des Sheraton

Neben kiloweise Leseexemplaren nahmen alle eine dringend benötigte Portion neuer Hoffnung mit nach Hause.

Johanna Feil

Resignation oder Widerstand: Wie war die Stimmung?

Von Resignation keine Spur, dafür umso mehr Widerstand.

Die Tage waren geprägt von einem Gefühl der Verbindung und Gemeinschaft, von der Überzeugung, dass alle in die gleiche Richtung wollen, dass es wichtig ist, gegen Rassismus und Zensur und für Diversität und Inklusion einzustehen.

Ich glaube, neben kiloweise Leseexemplaren, die die Verlage in einem der großen Ballsäle des Sheraton bereitlegten (beeindruckend, dieses gigantische Selbstbedienungsbuffet voller shiny new books!), nahmen alle eine dringend benötigte Portion neuer Hoffnung mit nach Hause. Das Gefühl, eine Community hinter sich zu haben, die Rückhalt bietet in diesen unsicheren Zeiten.

Und vielleicht ist dieser enge Zusammenhalt in den USA spürbarer als bei uns, weil er so viel unabdingbarer ist, gerade angesichts der aktuellen Entwicklungen.

Ein schönes Bild für die Unnachgiebigkeit des Buchhandels fand Brian Selznick, der vor seiner Karriere als Illustrator und Autor selbst viele Jahre Buchhändler war, in seiner Closing Keynote: 

"Wir haben einen sehr langen Weg vor uns, aber wir werden es überstehen. (…) Die ganzen Kisten zu schleppen, hat uns stark gemacht, aber die Geschichten in diesen Kisten machen uns noch stärker."

Was liest Du gern? Das ist eine Frage, die Neugier über Dogma, Entfaltung über Einschränkung stellt.

Autor Ocean Vuong beim ABA-Kongress

Was ich für meine Arbeit mitnehme

"Möge euch diese Woche daran erinnern, wie wichtig euer Job ist", ist ein Satz, der mich durch die Tage in Denver begleitete, und tatsächlich habe ich seither häufiger über unseren Beruf und seine Bedeutung nachgedacht.

Was der Zugang zu und die Sichtbarkeit von unterschiedlichen Erfahrungswelten in der Literatur selbst und in unseren Läden bedeutet, wie wichtig Vielfalt ist, und dass Buchhandlungen Orte für Austausch, Kommunikation und Gemeinschaft sein sollten, in denen sich alle willkommen fühlen.

Dabei spielt definitiv schon die Auswahl der Titel eine Rolle, die in Schaufenstern präsentiert werden - weil sie erster Blickfang und gleichzeitig eine Einladung sind.

Zu den wichtigsten und schönsten Botschaften der Tagung gehört für mich die von Ocean Vuong (bei uns besonders bekannt seit seinem Roman „Auf Erden sind wir kurz grandios“). Seit 2022 unterrichtet er als Professor für Creative Writing an der New York University (NYU). Mit einer beeindruckenden Keynote ließ er das Publikum im Saal schon kurz nach dem Frühstück eine ganze Palette an Emotionen durchleben.

Es ging um die Wichtigkeit einer spezifischen Frage, die ihm in Buchhandlungen immer wieder gestellt wird, im Gegensatz dazu aber nie im akademischen Kontext, der fixiert ist auf literarischen Kanon und Bücher, die „man gelesen haben muss“ - die er aber zugleich als leuchtenden Nordstern für jegliche Art von Bildung empfindet:

Diese Frage lautet: "Was liest Du gern?"

Für Vuong eine Frage, "die Neugier über Dogma stellt, Entfaltung über Einschränkung, und vielleicht am allerwichtigsten, persönliche Freiheit und innere Freude über die Angst, falsch zu liegen und unterlegen zu sein -  beides eine ständige Sorge der Machthaber.“

(„What do you like to read? A question which privileges curiosity over dogma, expansion over reduction, and perhaps most important of all, personal freedom and inner delight over the fear of being wrong and inferior, both of which are the perennial anxiety of those in power.“)

Was ich mitnehme: Die Erkenntnis, auf welch vielfältige Art Neugier unsere Arbeit prägt, und wie uns Offenheit und Interesse bereichern.

Das ist Johanna. Sie gewinnt den Wettbewerb um die weiteste Anreise.

Schriftsteller Robert MacFarlane bei der Verlagsparty

Woran ich mich immer erinnern werde

Es gibt so viele Momente, die mir im Gedächtnis bleiben werden - aber besonders dankbar bin ich für das Treffen mit einem meiner literarischen Helden, Robert Macfarlane. Seine Bücher lese und empfehle ich seit vielen Jahren mit großer Begeisterung, weil sie nicht nur mein Interesse am Nature Writing geweckt haben, sondern auch mit solchem Feingefühl (menschlich und sprachlich gleichermaßen) geschrieben, und so voller Begeisterung für die Welt sind, dass es die reinste Freude ist.

Eine wunderbare Bekanntschaft im Rahmen des Buddy Programs (Winter Institute Veterans, die teilweise schon seit 20 Jahren dabei sind, nehmen sich der Erstlinge an, teilen ihre Erfahrungen und geben ein paar Tipps…), führte dazu, dass ich zu einer kleinen Party seines amerikanischen Verlags eingeladen wurde.

Zuerst fand an diesem Abend aber die große Author Reception statt - die Autor:innen sitzen dabei  an kleinen Tischen in einem weiteren Ballsaal voller Bücher, und die Teilnehmenden können sich Exemplare signieren lassen und mit ihren Favorit:innen unterhalten. Ein witziger Anblick waren dabei die Verlagsmenschen, deren Aufgabe darin bestand, die jeweiligen Bücher hochzuhalten und uns in Fluglotsenmanier zu signalisieren, in welcher Schlange wir uns anstellen mussten.

Später brachte mich ein Uber-Taxi quer durch die Stadt zur Bar/Brauerei, in der die Verlagsparty stattfand, und ich hatte einen Abend mit schönen Gesprächen und gutem Bier. Neben den Norton-Autor:innen waren weitere Buchhändler:innen, Verlagsvertreter:innen, und Verlagsmitarbeiter:innen da und die Stimmung war - wie schon an den Tagen zuvor - familiär und entspannt, da sich viele schon jahrelang kannten.

Wie absurd-schön, dort dann ausgerechnet von Robert einigen Leuten vorgestellt zu werden.

„This is Johanna. She wins the longest travel distance competition!“

Dass ich neben dem imaginären Pokal für die längste Anreise auch eine Menge beglückter Erinnerungen nach Hause trage, sieht man dem gemeinsamen Foto definitiv an.

Mehr über Rise

  • EU-gefördertes Projekt zur Stärkung des Netzwerks von Buchhändler:innen weltweit – etwa durch die Teilnahme an internationalen Treffen und durch eigene Konferenzen in Europa
  • Die jüngste Rise Bookselling Konferenz fand am 23. und 24. März in Riga statt. 
  • Save the date: Das nächste RISE-Treffen ist am 19. und 20. April 2026 in Verona
  • Mehr: risebookselling.eu
  • Den RISE-Podcast "Let‘s Talk Bookselling" kann Johanna Feil nur empfehlen: "Er hat mich besonders in der stressigen Vorweihnachtszeit immer wieder daran erinnert, warum ich unseren Beruf so sehr liebe."