Kommentar zur Wiederöffnung des Buchhandels

Das politische Upgrade

4. März 2021
von Torsten Casimir

Das für die Branche wichtigste Ergebnis einer langen politischen Nacht: Der Buchhandel gehört ab sofort zum "Einzelhandel des täglichen Bedarfs". Eine Beförderung von großer Bedeutung, meint Börsenblatt-Chefredakteur Torsten Casimir. 

Die Nacht zum 4. März 2021 könnte als historisch in die Geschichte des Buchhandels eingehen. Weniger wegen des für sich genommen schon erfreulichen Öffnungsbeschlusses der Bundeskanzlerin und der Länderchefs und Chefinnen, demzufolge ab dem kommenden Montag bundesweit alle Buchhandlungen die Menschen wieder vor Ort mit guten Büchern und gutem Bücherrat versorgen dürfen. Der entscheidende Satz im 13-seitigen Beschluss steht auf Seite 7 oben: Buchhandlungen werden "zukünftig einheitlich in allen Bundesländern dem Einzelhandel des täglichen Bedarfs zugerechnet".  

Das ist ein weitreichender, so nicht zu erwarten gewesener kulturpolitischer Fortschritt – nur eine Fußnote vielleicht im Kontext der dramatischen Pandemie, aber ein Paradigmenwechsel in der politischen Bewertung der Rolle von Kultur für die Gesellschaft. Jedenfalls soweit es die Buchkultur betrifft.

Denn die hat es nun regierungsamtlich schwarz auf weiß: Eine fachkundige Versorgung mit Büchern ist kein kulturelles Luxusbedürfnis, dessen Befriedigung das Leben zwar bereichern mag, auf das sich aber notfalls auch verzichten ließe. Bund und Länder erkennen die Unentbehrlichkeit von Buchkultur für den Alltag der Menschen an. Ab Montag haben Deutschlands Buchhändlerinnen und Buchhändler die Chance, nach vielen kümmerlichen Wochen wieder Einkaufserlebnisse zu kreieren, für Inspiration zu sorgen, persönlich zu werden. Ein schöner Moment, auf den die allermeisten von ihnen sehnlichst gewartet haben. Und die Kundschaft auch.

Klar, es wäre naiv zu glauben, dass der Beschluss einer Ewigkeitsgarantie gleichkäme. Falls irgendwann Umstände eintreten sollten, die sehr viel striktere Lockdown-Regeln erforderlich machten als zurzeit, wird man sich auf die Bund-Länder-Konferenz vom 3. März nicht berufen können. Dennoch steht ab sofort etwas sehr Wertvolles auf der Habenseite des Buchhandels: Die Vereinbarung gilt flächendeckend. Eine Rolle rückwärts föderal gestimmter Individualisten unter den Länderchefs wäre stark begründungspflichtig. Die drei Länder, die auch im Lockdown den Buchhandel geöffnet hielten, haben die Beweisführung ermöglicht, dass ein verantwortlicher, die Hygieneregeln streng umsetzender Geschäftsbetrieb gelingen kann.

Wer sind die Mütter und Väter dieses politischen Erfolgs? Man wird zuallererst Monika Grütters nennen müssen, die Kulturstaatsministerin. Ihre Nähe zur Bundeskanzlerin; ihre bisweilen die nervliche Belastbarkeitsgrenze von Kabinettskollegen erkundende Nimmermüdigkeit, mit der sie die Vitalfunktionen der Kultur (übrigens aller Sparten!) für eine freie, demokratische Gesellschaft betont und begründet; ihre authentische Begeisterung für Bücher – das alles wirkt. Nicht von heute auf morgen, aber irgendwann und schlussendlich. In diesem Fall: heute Nacht.

Respekt verdient das politische Engagement aus der Buchwirtschaft, insbesondere aus dem Handel. Im Verein mit anderen Handelsverbänden haben Buchhändler*innen in den vergangenen Wochen den öffentlichen Druck erhöht, haben Argumente beigesteuert, haben ein strategisch begleitetes politisches Handeln eingefordert, das intelligenter gesteuert werden möge als bloß durch banges Schauen auf Inzidenzwerte. Diese "Pressure Group" des Handels war aktiv auf allen Kanälen und Bühnen, in Berlin, in den Landeshauptstädten, vor Ort an den jeweiligen Standorten. Das wird nicht unbeachtet geblieben sein in Bund und Ländern und Kommunen.

Und ja, das kulturpolitische Upgrade für den Buchhandel verdankt sich nicht zuletzt der professionellen Lobbyarbeit des Börsenvereins. Diese Arbeit findet naturgemäß nicht ständig öffentlich statt. Sie richtet ihre Phonstärke nicht nach dem Bedarf des Publikums, sondern nach der Empfänglichkeit des Adressaten. Diese Arbeit, in der Takt und Taktik wichtige Erfolgsfaktoren sind, basiert auf gewachsenen, achtsam gepflegten persönlichen Kontakten des Börsenvereinshauptamts zu den politischen Entscheider*innen: von Alexander Skipis, dem Hauptgeschäftsführer, insbesondere zu Monika Grütters; von Birgit Reuss und ihrem Team im Berliner Büro zu Abgeordneten und Ministerien, ebenso von Kyra Dreher; von Christian Sprang und seinem Team in der Rechtsabteilung zu den politischen Arbeitsebenen; von Thomas Koch und seinen Kolleginnen zu den Medien und Meinungsmacher*innen der Republik.

Für sein Wirken im politischen Hintergrund wird der Börsenverein selten öffentlich gelobt. In aller Unabhängigkeit: Ich dachte, ich mach’s hier einfach mal, wann, wenn nicht heute!? Die Evidenz scheint mir größer als meine Nähe zum Verein. (Und die ist groß.)

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