Nina Hugendubels Gespräch mit der "SZ"

Diskussion um Hugendubel-Interview geht weiter

24. August 2021
von Börsenblatt

Nina Hugendubels Blick auf den Buchhandel der späten 70er Jahre hat eine Kontroverse ausgelöst. "Fassungslos" äußert sich Ruth Klinkenberg, "spektakulär" hingegen fand Matthias Ulmer die Innovationen, die ihm bei Hugendubel begegneten. Wir bringen einige Auszüge aus den Kommentaren.

Martina Bergmann (Buchhandlung Bergmann in Borgholzhausen) gehört zu den Kommentatorinnen, die sich über Nina Hugendubels Diktum, die Buchhandlungen in den 70ern seien "wie Apotheken" geführt worden, gewundert hat: "Ich bin keine Zeitzeugin, aber als Lesende und als Historikerin habe ich jeweils etliche Fundstellen parat, die es anders belegen als Frau Hugendubel sagt." Was Martina Bergmann von Filialisten-Statements hält, kommentiert sie auch in ihrer Kolumne auf boersenblatt.net

 

Jan Wiesemann schreibt: "Aus der nächstes Jahr 300jährigen Geschichte von Gräfe und Unzer ist bekannt, dass das Unternehmen in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts als 'Das Haus der Bücher' in Königsberg auf 4 Etagen, einem Personenaufzug und mit einem Lagerbestand von rund 300.000 Büchern zur größten Buchhandlung Europas wurde. Rechtzeitig zur Feier des 200jährigen Bestehens im Juli 1922 wurden die neuen Verkaufsräume eingeweiht."

Ulrike Schmidt-Huber, "selbst 'Zeitzeugin' seit den frühen 70er Jahren und immer schon als Leserin regelmäßige Kundin von Buchhandlungen unter anderem in Kassel, Würzburg, München und Tübingen", ist seit 1985 selbstständige Buchhändlerin in Schwäbisch Gmünd. "In all dieser Zeit habe ich kleinere und größere Buchhandlungen kennengelernt, die in keiner Weise dem von Nina Hugendubel gezeichneten Bild entsprachen." Die ihr bekannten Buchhandlungen hätten "zum Stöbern und Verweilen" eingeladen, mit Sitzgelegenheiten und freier Zugänglichkeit der Regale.

Buchhändler Dieter Dausien (Buchladen am Freiheitsplatz, Hanau) kann Nina Hugendubels Beobachtungen ebenfalls nicht teilen: "Wenn die Aussage so war, dass 'vor Hugendubel' die Bücher in den Buchhandlungen nicht offen zugänglich waren, so ist das schlicht kompletter Unsinn! Da ist die Hugendubel'sche Familienerinnerung scheinbar ziemlich schief gewickelt. Frau Hugendubel kannte in den 70ern vielleicht aufgrund ihres Alters noch nicht allzuviele Buchhandlungen . . . aber die Wirklichkeit sieht definitiv anders aus."

Detlef Bluhm war seit dem 1. Juli 1980 für den Verlag Haude & Spener als Verlagsvertreter in Westberlin unterwegs und hat nur eine einzige Buchhandlung kennengelernt, in der es tatsächlich einen Verkaufstresen gab, und viele Bücher dahinter in Regalen. "Eine von knapp 100! (Allerdings gab es auch in dieser Buchhandlung vor dem Tresen Regale und Tische mit Büchern, in denen man einfach stöbern konnte.) Es ist schon ein wenig peinlich, wie wenig sich Nina Hugendubel als Deutschlands umsatzstärkste Buchhändlerin in der jüngeren Geschichte ihrer eigenen Branche auszukennen scheint."

Verleger Matthias Ulmer konnte sich für die Hugendubelschen Innovationen begeistern, wie er im Rückblick schildert: "Die Neuerung von Hugendubel war doch weder die Fläche noch die Mehrgeschossigkeit noch die Selbstbedienung, sondern die Leseinseln zwischen den Etagen. Dass man sich einen Stapel Comics nehmen konnte und sich dort für ein oder zwei Stunden lesend niederlassen konnte, das war spektakulär. Das ging auch über die Sessel mit Leselampen in den Bücherstuben hinaus. Natürlich imponierte die Rolltreppe. Und das riesige Angebot. Und das moderne Design. Aber die Leseinseln waren nach meiner Erinnerung die Krönung." Natürlich habe es alles irgendwann schon einmal gegeben, relativiert Ulmer. "Nichts beginnt schlagartig, alles hat Vorläufer. Aber der Name Hugendubel war doch über einen langen Zeitraum Inbegriff für einen neuen Trend im Buchhandel, Taktgeber."