Gastspiel von Dieter Dausien zum Systemwechsel bei VLB-TIX

"Enorme Komplexität"

8. Juli 2021
von Börsenblatt

Der Systemwechsel bei VLB-TIX kommt später, das zehre erneut an der Aktzeptanz des Produkts, meint Dieter Dausien. Dennoch plädiert er dafür, die Weiterentwicklung mit allen Kräften voranzutreiben.

Die Wellen schlagen mal wieder hoch um ein MVB-Projekt. Nach heißen Debatten der letzten Jahre über libreka! und buchhandel.de geht es jetzt um das digitale Großprojekt der Branche, mit dem der Novitäteneinkauf des Buchhandels revolutioniert werden soll(te): VLB-TIX, das gerade komplett neu gebaut wird. Und dessen Start soeben von August auf Dezember für Buchhandlungen und auf nächsten Sommer für die Verlage verschoben wurde. Und wer hat’s mal wieder mal versiebt? MVB! So einfach ist das – oder nicht?

Erinnern wir uns: Entstanden ist VLB-TIX aus der Idee der Metadatenbank, die mehr von den Büchern zeigen sollte als bibliographische Angaben. Da lag es nahe, aus den angereicherten Daten eine digitale Vorschau-Plattform zu entwickeln, die Print-Kataloge mit all ihren Nachteilen über kurz oder lang ersetzen kann. Schluss also mit dem teuren Druck und Versand der Hefte, die dann im Buchhandel aussortiert und größtenteils dem Altpapier überantwortet werden. Die Vorschauen werden nach Hause geschleppt und wieder in den Laden und just, wenn der der Vertreter in der Tür steht, ist gerade die benötigte Vorschau noch irgendwo unterwegs. Alles Schnee von gestern, der Buchhandel sollte sich freuen und scharenweise auf das neue System umschwenken. Leider ist das nicht so und der Teufel steckt auch hier im Detail.

Möglicherweise hat MVB die Komplexität des Vorhabens anfangs unterschätzt. Denn nach einer gefühlt angemessenen Entwicklungszeit sind die Erwartungen hoch. Und mannigfaltig. Das Dilemma: die Wünsche der Branche aktiv einzuholen, sinnvoll und ehrenwert, führt unweigerlich auch zu Enttäuschungen. Nicht alles kann gleichzeitig erfüllt werden und z. T. widersprechen sich die Anforderungen, so wie die gerade entstehenden Nutzungsgewohnheiten auseinandergehen. Ob man zu fünft arbeitet oder allein, auf dem Tablet oder am Rechner, tastatur- oder mausorientiert, ob Independent oder Filialunternehmen, all das macht natürlich einen Unterschied. Dasselbe spielt sich auf Seiten der Verlage ab, die das System befüllen -  und auch bezahlen. Damit ist VLB-TIX zwar ein fantastisches Projekt, wird aber gleichzeitig zu einer permanenten Enttäuschung. Kein gutes Omen, wenn man Menschen dazu bewegen muss, sich mit einem neuen System zu beschäftigen, was immer erstmal jede Menge Energie kostet. Der Wille, dranzubleiben, ist ein sehr scheues Reh – zumal, wenn’s bisher ja auch ohne ging.

VLB-TIX ist zwar ein fantastisches Projekt, wird aber gleichzeitig zu einer permanenten Enttäuschung.

Dieter Dausien

Quell für Ärger sind auch die andauernden Performance-Probleme. Wenn der Seitenaufbau oder das Erstellen von Listen die Arbeit ausbremsen, kommt keine Freue auf. Schon gar nicht, wenn die Vertreterin dabeisitzt und alle auf ein sich unablässig drehendes Rädchen schauen. Derlei Problemen wurde von MVB mit immer neuen Zeitplänen, Milestones und Roadmaps begegnet, ohne dass die Wahrnehmung der Anwenderinnen und Anwender sich wesentlich besserte – auch das hat zum Verdruss beigetragen.

In dieser Gemengelage sehe ich das Projekt in ernster Gefahr. Und das tut mir persönlich weh, als involvierter Sortimenter und als, ja wirklich, ziemlich begeisterter Nutzer seit der ersten Stunde. Im Buchladen am Freiheitsplatz arbeiten wir zu acht gut und gerne mit dem System und wickeln von der Durchsicht bis zur Übertragung in unsere Warenwirtschaft alles in VLB-TIX ab. Es funktioniert wunderbar, sofern der Server zügig antwortet. Es ist nicht „nichts“, was wir da haben, sondern es ist ein zu 90 Prozent tragfähiges, funktionierendes und für mich nicht mehr wegzudenkendes Arbeitsmittel.

Mit dem neuen VLB-TIX ab August sollten wir uns nicht nur über eine verbesserte Usability freuen, sondern auch der Performance-Probleme enthoben sein. Das dies nun so kurzfristig verschoben wurde, ist wirklich bitter, denn es zehrt erneut an der Akzeptanz des Systems in der Branche. Und das ist das letzte, was VLB-TIX brauchen kann. Und, was wir alle brauchen können. Denn es führt doch kein Weg vorbei an einem funktionalen digitalen Vorschausystem, und zwar mit Betonung auf „einem“! Verlage und Sortiment brauchen einen gemeinsamen Standard, mit dem sie arbeiten können, nicht mehrere, die alle das Rad neu erfinden wollen. Und bei denen sich am Ende Verlag A auf System X präsentiert, Verlag B auf System Y etc. Die Komplexität des Unterfangens ist enorm und wir sollten uns alle voll auf das eine konzentrieren, das schon verdammt weit gekommen ist. Deshalb sehe ich keinen anderen Weg, als den, Schmerz wegzuatmen, aus Fehlern zu lernen und die Weiterentwicklung mit allen Kräften voranzutreiben.