Auftakt der Frankfurter Buchmesse 2025

"Im Zentrum von allem"

14. Oktober 2025
Jule Heer

Zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse sprach die scheidende Börsenvereinsvorsteherin Karin Schmidt-Friderichs von KI als "größter Herausforderung unserer Zeit" und warnte vor einem Bildungsnotstand. Es kamen auch internationale Stimmen zu Wort: Vanina Colagiovanni (Argentinien) und Mehar Anaokar (UK) gaben Einblicke in das neue Förderprogramm Frankfurt Global Network.

v.l.n.r.: Torsten Casimir, Karin Schmidt-Friderichs, Mehar Anaokar und Vanina Colagiovanni

v.l.n.r.: Torsten Casimir, Karin Schmidt-Friderichs, Nora Haddada, Mehar Anaokar und Vanina Colagiovanni

"Mein Name ist Torsten Casimir und ich sehe nichts", eröffnet der Sprecher der Frankfurter Buchmesse, geblendet vom Scheinwerferlicht im Frankfurt Studio im Foyer der Halle 4.0, die Eröffnungspressekonferenz am Messevortag. „Aber es ist mir eine große Freude, Sie in so großer Zahl nicht zu sehen.“ Der Saal ist gut gefüllt, zahlreiche Kameras klicken, und über Kopfhörer wird simultan übersetzt – ansonsten herrscht gespannte Stille.

Bedauerlicherweise könne der frisch gekürte Literaturnobelpreisträger László Krasznahorkai aus gesundheitlichen Gründen nicht wie geplant persönlich anwesend sein. Dafür sprachen bei der Pressekonferenz Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse, Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Vanina Colagiovanni Publishing Director bei Gog & Magog, Argentinien, und Mehar Anaokar, Editor bei Serpent’s Tail Classics / Profile Books, UK, sowie Nora Haddada, Autorin.

Ort des Diskurses

"Warum machen wir das hier noch in Zeiten des Digitalen? Sind wir nur noch aus Tradition hier?", fragte Karin Schmidt-Friderichs – und antwortete sich gleich selbst: "Ich glaube nicht." Denn: Mit dem Eintrittsticket zur Frankfurter Buchmesse würden sich die Besucher:innen für Vielfalt, Entdecken und Erleben, für Diskussion und Diskurs entscheiden. "Auf der Frankfurter Buchmesse, einer der wichtigsten Kulturveranstaltungen der Welt, geht es um nicht weniger als die Frage, wie wir miteinander leben wollen. Wie wollen wir uns informieren? Wie unsere Meinung bilden? Auf welcher Basis entscheiden? Wer darf entscheiden, welche Informationen uns zur Verfügung stehen? Und was heißt das für unser Miteinander in Demokratie und Freiheit?"

Buchbranche vor großen Herausforderungen

Die Buchbranche behaupte sich aktuell in einer schwierigen Wirtschaftslage, so der Verband. Der Branchenumsatz stieg 2024 im Vergleich zum Vorjahr um 1,8 Prozent. Befördert werde die positive Entwicklung am Buchmarkt weiterhin durch die Buchbegeisterung junger Menschen zwischen 16 und 29 Jahren, für die die Branche "attraktive und passgenaue Angebote" mache. Trotz allem stehe die Branche zahlreichen Herausforderungen gegenüber, etwa dem ungehemmten Content-Raub durch Big-Tech-Firmen, dem anhaltenden Kostendruck, überbordenden Bürokratie-Anforderungen und einem wachsenden Defizit bei der Lesekompetenz, so der Verband.

Größte Herausforderung für die Zukunft unserer Gesellschaft sei, so Karin Schmidt-Friderichs, der Umgang mit Künstlicher Intelligenz: "Die Grundsäulen einer demokratischen Gesellschaft müssen auch im KI-Zeitalter geschützt werden. Neben all den positiven Effekten birgt KI, wie jede bahnbrechende Technik, auch Gefahren. Wir dürfen dieses mächtige Werkzeug nicht einer Handvoll Big-Tech-Firmen überlassen. Die Politik muss die großen Tech-Unternehmen endlich durch klare Regeln zu Fair Play verpflichten, damit KI dem Menschen und der Gesellschaft dient – und nicht umgekehrt."

Was heißt das konkret? Karin Schmidt-Friderichs: "Bei den Inhalten, die KI ausgibt oder zurückhält, müssen auf politischer Ebene zentrale Fragen in Bezug auf Transparenz, Nutzungsrecht, Verantwortlichkeiten und Haftung geklärt werden. Nur so können Big Tech und die Kreativbranche nachhaltig ineinandergreifen und nur so kann freie Meinungsbildung stattfinden."

Bei den Inhalten, die KI ausgibt oder zurückhält, müssen auf politischer Ebene zentrale Fragen in Bezug auf Transparenz, Nutzungsrecht, Verantwortlichkeiten und Haftung geklärt werden.

Karin Schmidt-Friderichs

Mangelnde Medienkompetenz, mangelnde Lesekompetenz

Außerdem müsse Medienkompetenz in Verbindung mit Leseförderung stärker in der Gesellschaft und besonders im Lehrprogramm der Schulen verankert werden. Karin Schmidt-Friderichs sagte dazu: "Aktuell kann nicht einmal jedes vierte Kind nach der Grundschule sinnerfassend lesen und jeder fünfte Erwachsene liest auf dem Niveau eines zehnjährigen Kindes. Wie kann man ohne diese grundlegende Kompetenz beurteilen, ob eine KI halluziniert bzw. manipuliert oder nicht. Wir brauchen dringend eine Lösung für den dramatischen Bildungsnotstand in Deutschland."

Frankfurt Global Network

Im Anschluss sprach Ines Bachor, PR-Managerin der Frankfurter Buchmesse, mit Vanina Colagiovanni, Publishing Director bei Gog & Magog (Argentinien), und Mehar Anaokar, Editor bei Serpent’s Tail Classics / Profile Books (UK). Beide nehmen am neuen Programm Frankfurt Global Network teil, das internationale Fachbesucherinnen vom 5. bis 20. Oktober 2025 mit dem deutschsprachigen Buchmarkt vernetzt. Es beinhaltet Verlags- und Buchhandlungsbesuche, Marktpräsentationen, Führungen, Matching-Veranstaltungen und zahlreiche Networking-Möglichkeiten. Die 14 Teilnehmerinnen präsentieren ihre Verlage an einem Gemeinschaftsstand, in diesem Jahr mit Schwerpunkt auf Belletristik.

"Ich fühle eine große Verantwortung, hier zu sein, um Gog & Magog zu repräsentieren", sagte Vanina Colagiovanni. "Hier zu sein bedeutet, im Zentrum von allem zu sein – von all den guten Dingen." Sie sehe auf der Messe Menschen aus der ganzen Welt, die voneinander lernen können. Es sei eine große Ehre, Teil des Programms zu sein, das es ermögliche, die Besonderheiten unterschiedlicher Buchmärkte kennenzulernen und einzuordnen.

Mehar Anaokar hob als persönlichen Höhepunkt den gemeinsamen Besuch bei S. Fischer hervor – genau an dem Tag, an dem László Krasznahorkai, dessen Bücher bei S. Fischer in deutscher Übersetzung erscheinen, als Literaturnobelpreisträger bekannt gegeben wurde. "Wir haben alle gespannt auf die Verkündung gewartet – und uns dann riesig über die Entscheidung gefreut", berichtete sie. Solche Begegnungen seien für sie zentral bei der Arbeit im Verlagswesen.

"Eine Waffe, die gegen vieles gewappnet ist"

Nora Haddada, Autorin aus Berlin, sprach über die Angst, sich in politisch angespannten Zeiten offen in Presse und Literatur zu äußern. "Shit is really going down", sagte sie mit Blick auf Gaza, die Ukraine und den politischen Rechtsruck. Angst, so Haddada, sei der kleine Bruder der Feigheit – "aber wir müssen nicht feige sein, wir können provozieren". Literatur sei eine Waffe, "die gegen so vieles gewappnet ist". Durch literarische Mittel könne man Dinge sagen, ohne sich direkt angreifbar zu machen. Literatur vermittle Empathie, lehre, hart miteinander zu sein – aber mit Liebe – und Verantwortung zu übernehmen.