Reinhard Kaiser war für mich schon ein Held, bevor ich ihn zum ersten Mal persönlich traf: Als Student hatte mich sein hocheleganter, sprachlich geschliffener aber auch wissensstrotzender Essay "Der Zaun am Ende der Welt" begeistert, ein Musterbeispiel dafür, wie man denkerische tiefe und faktensatte Texte leichtfüßig und elegant formulieren kann. Als ich dann Anfang Neunziger beim Eichborn Verlag mit einem Praktikum begann und mit der von Hans Magnus Enzensberger herausgegebenen ANDEREN BIBLIOTHEK in Berührung kam, erfuhr ich, dass Reinhard auch einen Gutteil der von mir so verehrten "Magazine" komponiert hatte (knapp 30seitige Text/Bild-Hefte zu dem jeweiligen Monatsband der ANDEREN BIBLIOTHEK, die frei in Buchhandlungen ausgelegt wurden, wahre Wundertüten an spannenden Hintergrundinformationen und -bildern).
Bis 1990 war Reinhard auch der Lektor fast aller Bände der Reihe gewesen – jetzt übersetzte er spannende Autoren aus dem Englischen und Französischen und schrieb (beim Schöffling Verlag) herrlich leichte eigene Romane, die der Leserschaft meist historische Figuren oder Ereignisse nahebrachten. Sein Handwerk hatte er als freier Lektor für Suhrkamp und Lektor beim Syndikat-Verlag gelernt, und er hatte philosophische und soziologische Texte von Susan Sontag, Robert K. Merton, Richard Rorty u.a. übersetzt.
Zudem, so hörte ich, war er auch der Mann gewesen, der die blitzschnelle Übertragung des fast eineinhalbtausend Seiten dicken Umweltberichts "Global 2000" für Zweitausendeins durch mehrere Übersetzer und Faktenchecker organisiert hatte – ein Report im Auftrag der amerikanischen Regierung, der massiv die Übernutzung der Erde aufzeigte. Durch ihn wurde aus unerwarteter Richtung bestätigt, was die damals immer noch angefeindete Umweltbewegung postulierte. Das Buch war ein Gongschlag, der die geistige Physiognomie einer ganzen Generation prägte.
Die deutschsprachige Leserschaft verdankt Reinhard Kaiser die Entdeckung und Verdeutschung der Bücher von Vivant Denon, der Mitford-Schwestern, Ian Flemings, Helene Holzmanns, Edwin Geists, Restif de la Bretonnes und vieler anderer; auch für Gegenwartsautoren wie Irene Dische war er eine Mischung aus Berater, Übersetzer und Lektor zugleich.
Mit herrlichem Enthusiasmus eignete Reinhard sich die von ihm entdeckten Autoren an und stets bildete er sich zu einer Mischung aus Kenner ihrer Werke, Gelehrter, Impresario und Diener zugleich. In Aufsätzen, Radioessays und bei wunderbar lebendigen Auftritten stellte er sie vor. Neugierig wie er war, begeisterte er sich ganz früh für die Möglichkeiten, die die technischen Neuerungen mit sich brachten – sein Buch "Der elektronische Schreibtisch" legt beredtes Zeugnis davon ab.
Die gemeinsame Arbeit mit Elena Balzamo an der Auswahl und Lesbarmachung einer alten Übersetzung des Renaissancegelehrten Olaus Magnus (der den Lesern die damals noch unbekannte Welt des Nordens aufs Herrlichste nahebrachte), ließ ihn auf die Idee kommen, auch deutsche Renaissance- und Barocktexte zu übersetzen – nämlich in ein modernes Deutsch, das aber den sprachlichen Reichtum des alten Sprachstandes nicht wegbügelt, sondern erst richtig zum Leuchten bringt. Bald übertrug er Grimmelshausens "Simplizissimus" in ein für heutige Leser zugängliches Deutsch – der Klassiker aus dem Barock landete nicht nur auf dem Besten-, sondern auch auf den Bestsellerlisten.