Nachruf auf Reinhard Kaiser

"Kenner, Gelehrter, Impresario"

5. Juni 2025
Redaktion Börsenblatt

In der Nacht vom 15. auf den 16. Mai ist Reinhard Kaiser in Frankfurt gestorben. Wolfgang Hörner, Programmleiter bei Galiani, würdigt den Übersetzer und Kulturmacher in einem Nachruf.

Reinhard Kaiser bei einer Lesung

Reinhard Kaiser 2008 bei einer Lesung in Frankfurt

Reinhard Kaiser war für mich schon ein Held, bevor ich ihn zum ersten Mal persönlich traf: Als Student hatte mich sein hocheleganter, sprachlich geschliffener aber auch wissensstrotzender Essay "Der Zaun am Ende der Welt" begeistert, ein Musterbeispiel dafür, wie man denkerische tiefe und faktensatte Texte leichtfüßig und elegant formulieren kann. Als ich dann Anfang Neunziger beim Eichborn Verlag mit einem Praktikum begann und mit der von Hans Magnus Enzensberger herausgegebenen ANDEREN BIBLIOTHEK in Berührung kam, erfuhr ich, dass Reinhard auch einen Gutteil der von mir so verehrten "Magazine" komponiert hatte (knapp 30seitige Text/Bild-Hefte zu dem jeweiligen Monatsband der ANDEREN BIBLIOTHEK, die frei in Buchhandlungen ausgelegt wurden, wahre Wundertüten an spannenden Hintergrundinformationen und -bildern).

Bis 1990 war Reinhard auch der Lektor fast aller Bände der Reihe gewesen – jetzt übersetzte er spannende Autoren aus dem Englischen und Französischen und schrieb (beim Schöffling Verlag) herrlich leichte eigene Romane, die der Leserschaft meist historische Figuren oder Ereignisse nahebrachten. Sein Handwerk hatte er als freier Lektor für Suhrkamp und Lektor beim Syndikat-Verlag gelernt, und er hatte philosophische und soziologische Texte von Susan Sontag, Robert K. Merton, Richard Rorty u.a. übersetzt.

Zudem, so hörte ich, war er auch der Mann gewesen, der die blitzschnelle Übertragung des fast eineinhalbtausend Seiten dicken Umweltberichts "Global 2000" für Zweitausendeins durch mehrere Übersetzer und Faktenchecker organisiert hatte – ein Report im Auftrag der amerikanischen Regierung, der massiv die Übernutzung der Erde aufzeigte. Durch ihn wurde aus unerwarteter Richtung bestätigt, was die damals immer noch angefeindete Umweltbewegung postulierte. Das Buch war ein Gongschlag, der die geistige Physiognomie einer ganzen Generation prägte.

Die deutschsprachige Leserschaft verdankt Reinhard Kaiser die Entdeckung und Verdeutschung der Bücher von Vivant Denon, der Mitford-Schwestern, Ian Flemings, Helene Holzmanns, Edwin Geists, Restif de la Bretonnes und vieler anderer; auch für Gegenwartsautoren wie Irene Dische war er eine Mischung aus Berater, Übersetzer und Lektor zugleich.

Mit herrlichem Enthusiasmus eignete Reinhard sich die von ihm entdeckten Autoren an und stets bildete er sich zu einer Mischung aus Kenner ihrer Werke, Gelehrter, Impresario und Diener zugleich. In Aufsätzen, Radioessays und bei wunderbar lebendigen Auftritten stellte er sie vor. Neugierig wie er war, begeisterte er sich ganz früh für die Möglichkeiten, die die technischen Neuerungen mit sich brachten – sein Buch "Der elektronische Schreibtisch" legt beredtes Zeugnis davon ab.

Die gemeinsame Arbeit mit Elena Balzamo an der Auswahl und Lesbarmachung einer alten Übersetzung des Renaissancegelehrten Olaus Magnus (der den Lesern die damals noch unbekannte Welt des Nordens aufs Herrlichste nahebrachte), ließ ihn auf die Idee kommen, auch deutsche Renaissance- und Barocktexte zu übersetzen – nämlich in ein modernes Deutsch, das aber den sprachlichen Reichtum des alten Sprachstandes nicht wegbügelt, sondern erst richtig zum Leuchten bringt. Bald übertrug er Grimmelshausens "Simplizissimus" in ein für heutige Leser zugängliches Deutsch – der Klassiker aus dem Barock landete nicht nur auf dem Besten-, sondern auch auf den Bestsellerlisten.

Er war die perfekte Mischung aus Enthusiast und detailversessenem Gelehrten, selbst schöpferisch, oft sich aber in den Dienst anderer stellend.

Reinhard war sowohl originell und sprachbegabt, als auch hervorragend organisiert, auf seine Terminangaben konnte man sich felsenfest verlassen. Zudem war er die perfekte Mischung aus Enthusiast und detailversessenem Gelehrten, selbst schöpferisch, oft sich aber in den Dienst anderer stellend; selbst Autor und zudem Entdecker, Freund und Vermittler spannender Autoren, ein großer Finder verborgener Schätze und ein brillanter Übersetzer und Herausgeber.

Zu all dem war er auch noch ein umgänglicher, hochangenehmer Mensch; mit ihm zusammenarbeiten zu dürfen war reine Freude. Und denen, die er schätzte, war er treu bis über den Tod hinaus: nie werde ich vergessen, wie er mir Jahre nach dem Tod eines gemeinsamen Freundes ein paar winzige Tomaten mitgab – eine seltene Sorte, die dieser Freund geliebt, Jahr für Jahr selbst aus Samen vermehrt und manchmal an Freunde weitergegeben hatte; Reinhard hatte diese Tradition nach seinem Tod weitergepflegt.

Jetzt ist er selbst in der Nacht vom 15. auf den 16. Mai im Alter von 75 Jahren gestorben. Verwandte, Freunde, Bekannte und die deutsche Buchwelt werden ihn schmerzlich vermissen.