Viele unbekannte Dokumente

Literaturarchiv Marbach erwirbt Rilke-Nachlass

1. Dezember 2022
von Börsenblatt

Die Nachfahren Rainer Maria Rilkes haben den Nachlass des weltberühmten Dichters dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach übereignet. Seit fast 100 Jahren befand er sich in Privatbesitz.

Rainer Maria Rilke: aus dem Entwurf zur 9. Duineser Elegie

Rilke zählt neben Kafka zu den weltweit wichtigsten deutschsprachigen Autoren der literarischen Moderne, so das Deutsche Literaturarchiv (DLA) in einer Pressemitteilung. Der Nachlass des Dichters ist erstaunlich vollständig erhalten, trotz Rilkes zahlreicher Umzüge; zudem sind große Teile der Papiere noch unbekannt. Mit dem Rilke-Archiv Gernsbach steht eines der bedeutendsten Autorenarchive des 20. Jahrhunderts jetzt der internationalen Forschung und Öffentlichkeit im Deut-schen Literaturarchiv Marbach zur Verfügung.

Der Nachlass Rainer Maria Rilkes umfasst insgesamt mehr als 10.000 handschriftliche Seiten mit Werkentwürfen und Notizen, etwa 8.800 Briefe und über 470 Bücher und Zeitschriften aus seiner Bibliothek, unter anderem in deutscher, französischer und russischer Sprache, die zwischen etwa 1897 und 1918 zusammenkamen und mit zahlreichen Annotationen, Marginalien und Widmungsgedichten versehen sind. Dazu kommen 131 bisher unbekannte Zeichnungen von Rilke, etwa 360 Fotografien aus allen Lebensphasen und weitere biografische Materialien.

Die Dokumente stammen aus allen Epochen seines Lebens: von ersten Fotos und Kinderzeichnungen des Vierjährigen über Kinder- und Schulbücher bis hin zum Gedicht "Komm du, du letzter den ich anerkenne", das er kurz vor seinem Tod in ein Taschenbuch schrieb. Zu nahezu jedem Werk Rilkes sind Handschriften erhalten. Vorarbeiten, Entwürfe und Reinschriften erlauben die Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte seiner berühmten Gedichtzyklen – "Stunden-Buch", "Buch der Bilder", "Neue Gedichte", "Duineser Elegien" und "Sonette an Orpheus" – und Prosabücher wie "Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke", "Worpswede", "Auguste Rodin" und "Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge". 86 bisher weitgehend unbekannte Skizzen- und Taschenbücher enthalten neben tagebuchartigen Aufzeichnungen Notizen, Exzerpte, Gedicht- und Briefentwürfe und geben damit neue Einblicke in biografische und werkgeschichtliche Kontexte.

Der Nachlass wird nach seiner archivarischen und bibliothekarischen Erschließung der internationalen Rilke-Forschung auch digital uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Um die Vielfalt der Materialien erstmals auch einem breiteren Publikum zu präsentieren, wird ab Ende 2025 im Marbacher Literaturmuseum der Moderne eine große Ausstellung Rilke auf neue Weise ins Gespräch bringen: als Zeitgenossen kultureller und politischer Bewegungen, die bis in unsere Gegenwart hineinwirken.

Die Erwerbung des Rainer Maria Rilke-Archivs Gernsbach wurde ermöglicht durch die gemeinsame Kraftanstrengung von öffentlicher Hand und privaten Stiftungen. Großzügige Unterstützung ist dem Land Baden-Württemberg durch die Baden-Württemberg Stiftung, der Kulturstiftung der Länder, der Wüstenrot Stiftung, der Berthold Leibinger Stiftung, der Staatsministerin für Kultur und Medien und der Carl Friedrich von Siemens Stiftung zu verdanken.