Literaturhaus Leipzig

"Wir müssen den Mietvertrag zeitnah kündigen"

27. November 2025
Sabine van Endert

Dem Literaturhaus in Leipzig geht das Geld aus, ein Antrag auf ständige städtische Förderung droht zu scheitern. Ohne strukturelle Unterstützung ist 2027 nach 37 Jahren Schluss, sagen Stephanie Jacobs, Vorsitzende des Literaturhauses, und Geschäftsführer Thorsten Ahrend. Ein Interview über die prekäre Lage. 

Thorsten Ahrend, Stephanie Jacobs im Porträt

Thorsten Ahrend und Stephanie Jacobs

Das Literaturhaus Leipzig braucht Geld. Was hat sich geändert?

Stephanie Jacobs: Das Leipziger Literaturhaus hat als einziges Haus dieser Größe in Deutschland seine exzellente Programmarbeit fast 30 Jahre lang ohne jede institutionelle Förderung durch die Stadt bestritten. Seit der Eröffnung des Hauses 1996 war klar, dass das aus Geldern aus dem DDR-Kulturministerium gespeiste Vereinsvermögen irgendwann aufgebraucht sein wird. Nur dank eines sehr sparsamen Einsatzes der anvertrauten Gelder und einer so intensiven wie erfolgreichen Einwerbung von Drittmitteln konnte das Vermögen so lange gestreckt werden. Nun ist das Geld alle. Und wir müssen zeitnah den Mietvertrag mit dem Börsenverein kündigen.

Soweit mir bekannt ist, gibt es kein Literaturhaus in Deutschland, der Schweiz und Österreich, das ohne eine öffentliche Grundförderung arbeitet.

Ein Literaturhaus ohne institutionelle Förderung von Land oder Stadt ist eine Seltenheit. Wie haben Sie das geschafft?

Thorsten Ahrend: Soweit mir bekannt ist, gibt es kein Literaturhaus in Deutschland, der Schweiz und Österreich, das ohne eine öffentliche Grundförderung arbeitet. Im Falle Leipzigs gab es wie gesagt Mittel des Kulturministeriums der DDR, von denen wir lange gezehrt haben. 5.000 Veranstaltungen, mehr als 200 Ausstellungen, Hunderte literarische Projekte in allen möglichen Kontexten, 300.000 Besucher - das ist eine ansehnliche Bilanz. Dass institutionelle Förderung erst in dem Moment einsetzen kann, wenn das Geld zu Ende geht, ist sehr verständlich, der ist jetzt da.

Haben die allgegenwärtigen Kostensteigerungen für Energie, Dienstleistungen, Honorare usw. die aktuelle Lage beschleunigt?

Stephanie Jacobs: Natürlich treffen solche Kostensteigerungen Kultureinrichtungen mit ihren notorisch engen Budgets besonders hart. Aber durch eine weitsichtige Planung, durch ein verlässliches Netz an Kooperationspartnern und Projektförderungen konnten die Löcher in der Vergangenheit auch immer wieder gestopft werden. Aber jede Kompensation hat irgendwann ein Ende. Und gerade die allgegenwärtigen und explodierenden Kostensteigerungen nach den Coronajahren – man denke nur an Reise- und Übernachtungskosten für Autor:innen! - haben auch uns sehr zugesetzt.

Wurde das Literaturhaus von den Leipziger:innen angenommen? Wie ist die Auslastung des Literaturhauses? Wie viele Veranstaltungen finden pro Jahr statt?

Thorsten Ahrend: Es finden etwa 150 Veranstaltungen im Jahr statt, dazu 6 bis 7 Ausstellungen. Wir arbeiten mit zweieinhalb Stellen. Unser Durchschnittsbesuch liegt bei 70 Gästen, dabei muss man aber bedenken, dass etwa bei Schreibworkshops für Kinder nur eine kleine Gruppe angesprochen wird, und wir natürlich auch Lyrikabende machen, zu denen eher nur ein speziell interessiertes Publikum kommt; das liegt in der Natur der Sache, auch wenn es den Durchschnitt drückt. Aber es gibt andererseits Veranstaltungen, die wir extern – z.B. in dem riesigen Saal des Paulinums in Leipzig abhalten und die viele Hundert Menschen anlocken. Und – ganz wichtig: Wir haben ein sehr treues und neugieriges Stammpublikum.

Ihr Antrag auf ständige städtische Förderung in Höhe von – für ein Literaturhaus eher bescheidenen – 205.000 Euro pro Jahr droht in der Buchstadt zu scheitern.

Stephanie Jacobs: Sie sagen es: Die beantragte Summe ist im Vergleich zur Ausstattung anderer Literaturhäuser vergleichbarer Programmdichte geradezu lächerlich – man schaue nur nach Hamburg oder Frankfurt am Main; aber auch Wiesbaden oder Basel sind mit einem erheblich höheren Budget ausgestattet als unser Antrag benennt.

In Leipzig ist die Lage derzeit besonders angespannt, der Kulturetat verfügt über keinerlei Spielraum - es müsste also eine andere Institution der freien Szene aus der institutionellen Förderung herausfallen.

Die Spielräume der Kommunen für Kulturförderung werden zunehmend enger. Gibt es für Ihren Antrag noch Hoffnung?

Stephanie Jacob: Unser Antrag fällt in eine Zeit, in der das Geld gerade in den Kommunen so knapp ist, dass jeder Euro für neue Ausgaben zehnmal umgedreht wird. In Leipzig ist die Lage derzeit besonders angespannt, der Kulturetat verfügt über keinerlei Spielraum - es müsste also eine andere Institution der freien Szene aus der institutionellen Förderung herausfallen. Dennoch ist es unbegreiflich, dass die Buchstadt Leipzig, die sich 2025 anlässlich des 200. Geburtstags des Börsenvereins mit einem „Themenjahr Buch“ feiert, ihr Literaturhaus nicht unterstützen sollte. Wir sind trotz allem noch hoffnungsvoll, dass es eine Lösung geben wird - und sehen uns durch Kulturdezernat und Stadtspitze auch in unserem Ansinnen unterstützt.

Zuletzt gab es im Mai für das Literaturhaus Geld aus dem Programm „Übermorgen – Neue Modelle für Kulturinstitutionen“ aus dem Bund. Wären solche Fördertöpfe eine Möglichkeit?

Thorsten Ahrend: Zusammen mit den Leipziger Städtischen Bibliotheken haben wir uns in dem Projekt „Übermorgen“ beworben und sind, worüber wir sehr stolz sind, durch die ersten drei Runden gekommen, wodurch uns nun eine Beratungsleistung zugutekommt. Allerdings bedeutet das nicht, dass ein Cent in die Programmarbeit des Literaturhauses geflossen ist: momentan wird evaluiert und werden Vorschläge entwickelt, ob irgendwann Geld fließt, hängt davon ab, ob wir in die nächsten Runden kommen. Erstmal ist es Arbeit. Aber natürlich ist die Arbeit mit Partnern sehr wichtig: Im Jahr 2025 etwa haben wir mit 50 Kooperationspartnern zusammengearbeitet. Von ihnen wurden projektbezogen Veranstaltungen finanziert oder mitfinanziert. Ohne solche finanziellen Unterstützungen wäre es undenkbar, dass das Literaturhaus so lange durchgehalten hätte.

Ließe sich die Drittmittelakquise möglicherweise weiter ankurbeln?

Stephanie Jacobs: Es passiert auf dem Gebiet der Drittmittel, das sehr personalintensiv ist – einwerben, Anträge schreiben, abrechnen, Kooperationspartner suchen…- , schon sehr viel. Wenn wir bedenken, dass die personelle Ausstattung des Hauses ebenso auf Naht genäht ist wie die budgetäre - die Geschäftsstelle ist mit nur zweieinhalb Stellen ausgestattet, alles andere läuft ehrenamtlich - ist das Ende der Fahnenstange auch bei der Projektakquise erreicht. Jeder weitere Aufgabenzuwachs wäre bei der Personaldecke definitiv Ausbeutung.

Wir kommen noch bis ins Jahr 2027, dann sind nach 37 Jahren und im 30 Jahr nach Öffnung des Hauses des Buches die Mittel aufgebraucht. 

Wie lange können Sie den Betrieb ohne Förderung noch aufrechterhalten?

Thorsten Ahrend: Wir kommen noch bis ins Jahr 2027, dann sind nach 37 Jahren und im 30 Jahr nach Öffnung des Hauses des Buches die Mittel aufgebraucht, wenn es nicht gelingt, eine Grundförderung aufzustellen.

Ihre Meinung: Welche Rolle und Bedeutung haben Literaturhäuser heute?

Stephanie Jacobs: Bei der Literaturvermittlung geht es heute mehr denn je um sehr viel mehr als ästhetisches Vergnügen an Texten. Nein: Literaturförderung ist immer auch Demokratieförderung, egal ob es um Kinder und Jugendliche geht oder um den offenen Diskurs über unterschiedliche oder gar unvereinbare Denkbewegungen. Mit Literatur und ihrer integrativen Kraft lässt sich nicht zuletzt demokratische Streitkultur lernen. Und das einzige Literaturhaus in Sachsen trägt hier eine besondere Verantwortung. Leipzig darf sein Literaturhaus nicht aufgeben!

Info

Stephanie Jacobs ist Direktorin des Deutschen Buch und Schriftmuseums (DBSM) der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig und erste Vorsitzende des Literaturhauses Leipzig. 

Thorsten Ahrend ist Programmleiter und Geschäftsführer des Literaturhauses Leipzig und Programmleiter Belletristik im Wallstein Verlag. 

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