Nachrufe auf Vito von Eichborn

"Eichborn, das war pures Leben"

10. März 2023
von Börsenblatt

Eichborn war mehr als ein Verlag, es war eine familiäre Struktur fürs Leben. Weggefährten des am Montag verstorbenen Verlagsgründers Vito von Eichborn  zeichnen hier in ihren persönlichen Erinnerungen das Bild eines ganz besonderen Menschen.

Vito von Eichborn in seinem Haus in Malente 2013

Ein Mann mit scheunentorgroßem Herz

Eichborn, das war pures Leben. Vom Spontispruch bis zur ANDEREN BIBLIOTHEK, vom großen Boss bis Hesse/Schrader, vom Insektenkochbuch bis Aldidente, von Kobo Abe und Henning Boetius bis Weizsäcker und Walter Moers. Unvergessen die Mittwochsrunden, der Tischkicker, der schielende Uwe, Kierzeks Klemmereien, der schwarze, vor Besuchern berstende Messestand in Halle 4, das legendäre Messefest im Klosterkeller, wo irgendwann am Morgen das Kondenswasser von der Decke tropfte, das immerwährende learning by doing. Mittendrin & überall: Vito, immer da, wenn man ihn brauchte, quarzend, das Bier griffbereit, nie um unerwartete Ansichten und aus der Hüfte geschossene Sprüche verlegen. Kein Risiko scheuend, verwirrend entschlussschnell, so grandios wie gefährlich spontan. Einer, der sich nicht um Konventionen scherte, ein Mann mit scheunentorgroßem Herz, ein Möglichmacher par excellence. 

Danke Vito für alles!

Wolfgang Hörner

"Quatsch! Du bist ne Vertriebslady!"

Am ersten Tag meines Praktikums beim Eichborn Verlag fragte mich Vito, was ich denn mal so machen wolle. "Kunstbuchlektorin werden" war meine tiefe Überzeugung. "Quatsch! Du bist ne Vertriebslady!", kam's aus der Gitanes-Wolke. Danke Vito!
Gabi Rubner

Direktor des kreativen Flohzirkusses

Mit dem formidablen Direktor des kreativen Flohzirkusses - es lebe die Anarchie - und Verlagsmitarbeitern durch Orkanstarke Winterstürme von Dublin in die Bantry Bay den Weg verlieren ("Where the f**k is Durrus?") und wieder finden, lehrte mich: Man kann auch eher Bücher- als Kartenleser sein und trotzdem irgendwie ans Ziel kommen. Und manchmal ist der Umweg dann eben auch der Weg. Um es mit Flann O'Brien zu sagen: "Sláinte, Vito!"

Doris Engelke

Immer gut für Überraschungen

lieber vito, 

so ganz sicher bin ich nicht, ob  du nicht doch gleich wieder irgendwo auftauchen wirst. für überraschungen warst du mit deinem verschmitzten lachen ja immer gut. du anstifter zu vielem und besonders zu einer toleranten streitkultur; auch danke dafür!

hoffe, dass du auf uwe [Gruhle], axel [Hundsdörfer] und gü [Günther Domnick] triffst und hme [Hans Magnus Enzensberger] wird bestimmt auch flüchtig mal reinschauen und irgendwann sitzen wir dann  alle wieder zusammen, diesmal mit einer schönen aussicht!

Thomas Busch

Bis zur Erschöpfung argumentiert

Vitos Kommunikationsbedarf war unersättlich. Sein Chefzimmer stand immer offen, jeder konnte eintreten und losreden. Unter Unmengen Kaffee, Gitanes oder Selbstgedrehten wurde lautstark gestritten, ausprobiert, konzipiert – über jeden Einwand wurde bis zur Erschöpfung argumentiert. Wenn am nächsten Tag ein erneuter Zweifel etwa über das beschlossene Coverbild aufkam, dann ging‘s von vorne wieder los.

Der Tag endete erst dann, wenn Vito zwischen halb und sieben feststellte: "Ich muß ma' nen Happen essen, wo gehn wir hin?" Damit begann in der "Wielandstubb", im "Terrazino" oder im "Horizont" Teil zwei des Tagwerks. Pils statt Kaffee, Gitanesverbrauch verdoppelt - und dann ging‘s bis mindestens Mitternacht. Tauchte im Lokal ein bekanntes Gesicht auf, wurde die Runde zwanglos erweitert, und Vito prüfte sofort den neuen Gast, ob bei ihm nicht Potential für Buchideen zu finden war.

Work-Life-Balance war damals noch unbekannt. Auch für breit angelegte Beziehungsmarkterforschung fehlte Zeit. Aber dafür gab es einen intensiven Kommunikationsort- den Verlag. Und so entstanden mannigfaltige, oft erfreuliche Beziehungen zwischen Kolleginnen und Kollegen ... Manche halten bis heute!

Albert Christian Sellner

Ein gerüttelt Maß anarchische Freiheitsliebe

Vito war ein Original. Ein Querdenker – was zu seiner Zeit noch als Kompliment verstanden wurde, weil es Unangepasstheit, ein gerüttelt Maß anarchische Freiheitsliebe und "sapere aude!" ausdrückte. Vito hatte einen Querkopf und bezeichnete so auch den Publikumsprospekt des von ihm gegründeten Eichborn Verlags. Ich verdanke ihm, was zum Kostbarsten meines Lebens gehört. Sein Leben und Vorbild haben mich ermutigt, meinen Überzeugungen zu folgen. Er ermöglichte mir, eine berufliche Laufbahn in der Welt der Bücher zu beschreiten. Und – last but certainly not least - lernten mein Mann Albert und ich einander durch ihn kennen. Danke Vito! R.I.P.

Jutta Willand-Sellner

Kneipe in Buchhandlung verwandelt

Für mich bleibt Vito der ewig junge, dessen Schalk einfach nicht totzukriegen ist. Ich werde nie den Abend mit ihm in seiner Stammkneipe in Mallorca vergessen, die er natürlich im Handumdrehen auch in eine Buchhandlung verwandelt hatte.
Ulrich Faure

Vertreterkonferenz in der Hanauer Landstraße

Seit Vito mir 1991 nach Bodo Horns Ausscheiden handschriftlich "Du machst das jetzt!" auf die ausgerissene Branchenmeldung schrieb, machte ich es dann auch: die Vertriebsleitung. Erster Akt:  Vertreterkonferenz in den Verlagsräumen Meßmer-Haus auf der Hanauer Landstraße in Frankfurt. Meine erste als Dompteur. Die Vertreter weigern sich, ein Buch des Frühjahrsprogramm zu verkaufen. "Die Arschgeige", Adaption der Mund-Orgel mit deftigen Texten und Noten – für Vito das wichtigste Buch im Programm. Ich fand keine Kompromissformel. Verena Rannenberg kündigte spontan die Vertretung. Erst spät in der Nacht dann Befriedung durch HME [Hans Magnus Enzensberger] beim Rotwein im Café des TAT. Verena brauchte das Buch auf der Reise nicht zu verkaufen. Danach wurde es ruhiger.

Andreas Horn

Seit Montag gibt’s im Himmel einen Verlag

Seit Montag gibt’s im Himmel einen Verlag, sicher. Warum sollte Vito plötzlich was anderes machen? Viele Jahre habe ich erlebt, wie Vito Bücher machte - mit Sinn und Spaß. Ahoi und danke, lieber Vito, für alles, was ich von dir lernen durfte. Flieg schön weiter.

Imke Rötger

"Bitte mich anrufen"

"Bitte mich anrufen. Vito von Eichborn" - das stand auf der Walter Moers Postkarte (Best. No. 02212) und die spannendste und tollste Zeit meines Lebens begann. Danke, Vito.

Ulrike Bettermann

Deine Fliege ist unsterblich

Lieber Vito...,

für mich bist du auf ewig der Mann mit der Kaffeetasse und der Zigarette am Ende der Treppe eines wild umwachsenen Hauses. Du sagst: "Ok, ich mache dein Buch." Dann wurde aus meinem Leben ein bockstarkes Märchen.  Noch heute tragen alle meine Bücher Deinen Namen ... Deine Fliege ist unsterblich und umsurrt mich noch immer.

Tausend Dank

Annegret Held

Immer voller Ideen und Tatendrang: "Caramba!"

Ich kann mich noch gut an den Moment erinnern, wie wir Vito zu seinem 50. Geburtstag 50 Gartenzwerge mit seinem Gesicht ins Büro gestellt haben. Er war gar nicht amüsiert ...
In den letzten Jahren hab ich noch das eine oder andere für seinen Verlag vitolibro gemacht. Seine Lust am Büchermachen, egal in welchem Rahmen, war unbändig. Es gab natürlich auch schwierige Phasen: "Bin pleite, suche Aufträge (Lektorat etc.) … Alles scheiße …"  Noch im letzten November schrieb er mir:  "Wie immer werkele ich an diesem und jenem – hab grade Bauer Willi für Westend lektoriert – hab seit heute eine Pop-up-Buchhandlung in Malente im Visier – träume von zwangloser Zeit zum Schreiben." So war er immer: voller Ideen und Tatendrang! "Caramba!"

Christoph Steinrücken

Aufgeweckte Augen zwischen Rauchschwaden

Lieber Vito,

meine erste Begegnung mit dir fand auf einer der legendären Vertreter*innenkonferenzen statt. Ich trat in den Raum und zwischen den Zigaretten-Rauchschwaden blitzten deine immer aufgeweckten Augen und die der vielen tollen Kolleg*innen, die du für unseren Verlag gefunden hast. Danke, dass du den Mut und die Abenteuerlust hattest, diesen einmaligen Verlag zu gründen, und über lange Zeit mit deiner Handschrift zu prägen. Jetzt mach da oben mit Axel und Gü ein ordentliches Fass auf und schick uns ein paar der Fliegen runter, die die (Buch-) Welt braucht.

Bettina Domzalski

Eine familiäre Verbundenheit, die bleibt

Lieber Vito,
durch Deinen Verlag hatte ich die einmalige Chance, mich in allen Vertriebssparten zu tummeln, vom Kleinen Arschloch bis zur Anderen Bibliothek. Ich habe viel gelernt. Und immer noch haben wir alle, die damals bei Eichborn dabei waren, eine familiäre Verbundenheit, die wir bei unseren Treffen auf den Messen aufleben lassen. Ich sehe Dich und Hans Magnus Enzensberger auf einer Wolke heftig debattieren, machs gut.
Thomas Schneider

Viel arbeiten und gleichzeitig viel Spaß haben

Das meiste, was ich übers Büchermachen weiß, hab ich von Vito gelernt. Außerdem, dass man viel arbeiten und gleichzeitig viel Spaß haben kann, dass man Fehler machen und zugeben darf – "Man wird doch wohl noch mal nachdenken dürfen ..." –  und dass es immer irgendwie weitergeht, bis es zu Ende ist. Ahoi Vito, gute Reise!

Dagmar Fretter

Um ihn herum Berge von Papier, Büchern und Krempel

Zum ersten Mal traf ich Vito 1991 bei einer Führung durch den Eichborn-Verlag in der Hanauer Landstraße während meiner Zeit auf der Buchhändlerschule. Der Rundgang mit meiner Berufschulklasse (ich machte eine Ausbildung zur Buchhändlerin) fand am späten Nachmittag statt, und da saß er: die Tür seines Büros sperrangelweit offen, er telefonierte, rauchte und um ihn herum lagen Berge von Papier, Büchern und Krempel. Henning Boetius stand im Flur neben dem Kopierer, an dem ein Mitarbeiter sein Manuskript kopierte. 

"Hier will ich hin!", dachte ich schon während der Führung und bewarb mich nach meiner Lehre für ein Herstellung-Praktikum … aus 3 Monaten wurden 11 Jahre. Ich blieb. Auch während meines Studiums und danach. Herstellung, Werbung, "Messebau" und schließlich Umschläge. Was ein Glück. 

Ich werd’ mich immer an Vitos Lachen erinnern, wenn er sich diebisch freute oder anderer Meinung war, oder wenn er einen (mich) in Verantwortung geschubst hat, mir Aufgaben zugetraut hat, die ich mir selbst nicht zutraute. Weggelacht hat er die Bedenken. Ausprobieren, rausfinden. Er wirkte so angstfrei. Wenn er sich für etwas begeistern konnte, dann gab es kein Entkommen. Das war für mich eine unglaublich wichtige, prägende und glückliche Zeit. Dank ihm, hab ich viele tolle Menschen kennengelernt, mit ihnen arbeiten dürfen, hab so viel gelernt und gelesen, aber noch wichtiger: einige Freunde fürs Leben gefunden. 

Danke lieber Vito!!
Moni Port

"Er hat uns machen lassen und groß gemacht"

Mit "Menschen in Berlin" zur 750-Jahrfeier fing es 1987 an, wir waren gerade mit diesem Projekt beim Fischer-Verlag rausgeflogen. Vito wollte das Fotobuch und wir versprachen ihm, dann noch einen Bestseller wie das Testtrainingsbuch zu schreiben. Es wurden über 200 Bücher und darunter sehr viele Hesse/Schrader-Bestseller. Er hat an uns geglaubt, uns machen lassen und groß gemacht - in seiner immer offenen und humorvollen, gleichzeitig inspirierenden Art. 

DANKE Vito!  

Jürgen Hesse und Hans Christian Schrader

"Originell, manchmal unverschämt, immer unverwüstlich und voller Ideen"

Ahoi und olé Vito,

was war das für eine einmalige, schrecklich-herrliche, manische Zeit als Matrosin auf deinem legendären Verlagsschiff. Für mich warst du immer "larger than life", originell, manchmal unverschämt, aber immer unverwüstlich und voller Ideen, Energie und Sofort-Machen-Drang. Und mit dem norddeutschen Schalk im Nacken warst Du immer wieder für Überraschungen gut. Für mich beruflich und privat war diese Zeit ein Glücksfall.

Von Herzen, muchas gracias Vito! (und grüß' mir bitte unbedingt die anderen Piraten - you know who!).

Nureeni Träbing

"Wörterbücher bräuchte er, Schimpfworte und Liebesschwüre"

Aus einer Sehr-Viel-Bier-Laune entstand eine Buchidee: Vito plus der damalige Chefredakteur des Börsenblatts plus ich vertrieben uns Ende der 80er Jahre die Langeweile auf einem der Buchmessen-Empfänge, blödelten rum und hatten den Einfall, ich solle mir doch für die 5-Mark-Bücher von Eichborn was einfallen lassen – und ehe ich dazu kam, war Vito schneller. Wörterbücher bräuchte er, Schimpfworte und Liebesschwüre in Englisch. Ich kam dann noch mit Französisch, Italienisch und Spanisch und nach sechs Wochen hatten wir die 8 neuen Titel. Weit über eine Million hat Eichborn in den folgenden Jahren davon verkauft.

Der Schlüssel zum Erfolg eines Verlags ist, immer für eine Überraschung gut zu sein. Vorschau für Vorschau. Lange, bevor ein anderer Verlag den Slogan propagierte (…-Bücher sind weniger langweilig) hat es uns Vito von Eichborn vorgemacht. Er war von uns allen der am wenigsten langweilige Verleger.

Klaus Humann

Erinnerungen

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