Lachen gegen den Krieg: Satire-Produktion in der Ukraine

Humor zum Geräusch von Explosionen

9. August 2022
von Börsenblatt

Gehören Satire und Humor auch zu den Verlusten des Krieges in der Ukraine? Oder verhält es sich umgekehrt – und der satirische Blick auf die Welt hilft dabei, sie zu ertragen? Beobachtungen des ukrainischen Schriftstellers Mykola Savchuk.

Mykola Savchuk

Der ukrainische Schriftsteller und Humorforscher Mykola Savchuk ist wegen des Krieges in seiner Heimat nach Deutschland geflohen. Daheim ließ er seine Privatbibliothek von 4.000 Büchern zurück, eine Sammlung mit den Schwerpunkten Humor, Satire, Karikatur. Seit Mitte März lebt der 63-Jährige mit seiner Familie in Frankfurt. Im Juni schrieb er eine Mail an die Redaktion des Börsenblatts: ob wir Interesse hätten an einem Bericht über die Satire-Produktion in Kriegszeiten. Hier kommt nun sein Beitrag, übersetzt hat den Text sein Freund Mykola Kapatruk. Auch wenn hierzulande die meisten der genannten Namen nicht geläufig sein dürften – sie geben beeindruckend Zeugnis von einem literarischen Freiheitskampf in existentiell bedrohlicher Lage.

Lachen gegen den Krieg

Seit dem russischen Angriff auf die Krim 2014 werden in den Zeitungen „Literaturukraine“ und „Ukrainische Literaturzeitung“ scharfe satirische Gedichte und Aphorismen von Serhij Borschtschevskyi, Serhij Koval, Pylyp Jurik und anderen zum Thema des russisch-ukrainischen Krieges veröffentlicht. Sie werden auch in der einzigen ukrainischen Humor- und Satirezeitschrift „Pepper“ herausgegeben, die seit 2019 nur noch in elektronischer Form erscheint. Für ukrainische Soldaten wurden mehrere illustrierte humoristische und satirische Zeitschriften zum Thema Krieg herausgegeben: „Pepper on the Frontline“, „Satirical Blockpost“, „Die Junta Zeitung“. Eine Reihe von ukrainischen Komikern veröffentlichen regelmäßig ihre eigenen aktuellen satirischen, poetischen und prosaischen Werke zum Thema Krieg auf ihren Facebook-Seiten: Mykola Vozijanov aus Charkiw, Mykola Bilokopytov aus Saporischschja, Jurij Bereza aus Riwne, Jurij Chmelevskyj aus Tultschyn und andere.

Im Jahr 2015 erschien in Reaktion auf die Krim-Annexion das kleine Buch „200 ironische Ansichten über Russen“. Dies ist eine Sammlung von satirischen Miniaturen, die von Vasyl Vasylyk arrangiert wurde. Drei Jahre später erschien eine illustrierte Sammlung von Humor und Satire von Autoren aus den Ukrainischen Karpaten unter dem Titel „Geheimwaffe“, die für Soldaten bestimmt war und an die Front geschickt wurde. Dem Thema des russisch-ukrainischen Krieges ist auch ein Kapitel im Humor- und Satire-Almanach des vergangenen Jahres gewidmet.

Im Jahr 2020 erschien in der Stadt Kropywnyzkyj ein Buch voller Sarkasmus und Ironie, „Fronttagebuch. Grabengeschichten". Sein Autor Dmytro Stepanenko nahm selbst am Krieg teil. Im selben Jahr veröffentlichte der Freiwillige Vitalij Zapeka aus der Region Poltawa einen Roman über den Krieg im Donbass „Heroes, heroes and not so much“. Seine Hauptfigur ist Shramko, ein Freiwilliger, der 2014 zur Verteidigung der Ukraine aufbrach. Basierend auf diesem Buch entstand das Drehbuch für die satirische Komödie „Die Abenteuer des tapferen Soldaten Shramko“, die am Nationaltheater von Dnipro uraufgeführt wurde.

Nasar Rozlutskyj, Oleksandr Friemen und Oksana Jakubovytsch haben ein fantastisch-satirisches Buch „PR für Leibeigene“ (Lira, Kiew 2020) veröffentlicht, in dem sie darüber nachdenken, warum Russen so sind, wie sie sind, und nicht wie andere. 2021 veröffentlichte der Kriegsteilnehmer Artem Popyk ebenfalls in Kiew ein 81-seitiges Buch voller Ironie und Sarkasmus mit dem Titel „Über den Kessel und andere Geschichten“. Darin spricht er über die Beziehungen unter Soldaten, zwischen Soldaten und Offizieren und über andere Realitäten des militärischen Lebens.

Pylyp Jurik aus Saporischschja hat vor kurzem seine scharfe Satire "Niesen auf den Nabel" vorgestellt. Der in seiner Heimat berühmte Autor hat seine Werke wiederholt ukrainischen Soldaten an der Front präsentiert, er ist mit den politischen und militärischen Realitäten des nationalen Lebens bestens vertraut. Der talentierte ukrainische Humorist Vitalij Krasniuk (1969-2022), der zur Verteidigung der Ukraine auszog und im Gebiet von Tschernihiw fiel, konnte zu diesem Thema etwas Originelles schaffen. Ewige Erinnerung an ihn!

Millionen ukrainische Menschen haben ihre Heimat verlassen, Millionen sind im Ausland, Millionen in Angst und Sorge, und Hunderttausende kämpfen an der Front. Wie sie auf Humor und Satire zum Thema Krieg reagieren – niemand hat dies untersucht und wird das offensichtlich in naher Zukunft auch nicht tun. Ich habe Kontakt zu einigen Schriftstellern. Zum Beispiel blieb der von mir erwähnte 85-jährige Mykola Voziyanov, ein wunderbarer Dichter, Lyriker, Humorist und Satiriker, in Charkiw. Er lebt allein in einem großen Haus, aus dem alle geflohen sind. Er schrieb, dass er wie eine Trommel lebe, aber dennoch Gedichte und Humor kreiere, oft zum Geräusch von Explosionen. Obwohl er keine Bücher veröffentlicht. Ein anderer satirischer Dichter, Pylyp Yuryk, lebt in großer Angst in Saporischschja, das ebenfalls von feindlichen Truppen angegriffen wird.

Die meisten Autoren, die humoristische und satirische Bücher auf Ukrainisch zum Thema Krieg veröffentlicht haben, sind der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt, sie gehören der Generation der vor dem Zweiten Weltkrieg Geborenen an. Ukrainische Kriegslyrik und -lieder scheinen in dieser Generation am stärksten vertreten zu sein.

Die oben aufgeführten Publikationen im Bereich Humor und Satire enthüllen das Wesen des russisch-ukrainischen Krieges und beschreiben auch das Innenleben der ukrainischen Armee. Zu wünschen wäre dieser kreativen Produktion eine internationale Aufmerksamkeit. Eine Sammlung ukrainischen Humors und Satire zum Krieg, großzügig illustriert mit brillanten Karikaturen von solchen ukrainischen Meistern des Pinsels und Bleistifts wie Oleh Smal, Jurij Zhuravel, Volodymyr Solonko, Oleksij Kustovskyj wäre zeitgemäß. Ich glaube, ein solches Buch würde nicht nur Ukrainer interessieren ...