Luxemburg

Servais-Preis 2023 geht an Jérôme Quiqueret

5. Mai 2023
von Börsenblatt

Einen der wichtigsten Literaturpreise in Luxemburg hat die Fondation Servais vergeben: Der mit 6.000 Euro dotierte Servais-Preis 2023 geht an Jérôme Quiqueret für sein Buch "Tout devait disparaître" (capybarabooks).

 Jérôme Quiqueret

Die Begründung der Jury: "In 'Tout devait disparaître' erzählt Jérôme Quiqueret die 'wahre Geschichte eines Doppelmordes, der im Spätsommer 1910 in Esch/Alzette begangen wurde'. Über das Interesse an der wahren Begebenheit hinaus, die die Leser:innen sowohl in den Alltag der Menschen als auch in die politischen und ideologischen Spannungen eintauchen lässt, die ihr Leben prägen, wird die Erzählung des Verbrechens zugleich zum Vorwand für ein lebendiges, facettenreiches Porträt der Stadt Esch/Alzette, einer Hochburg der Literatur in Luxemburg, die hier jedoch aus einem neuen Blickwinkel erscheint; durch die Beschreibung der gesellschaftlichen Übergänge und Brüche, die die Region, das Land oder der Kontinent erlebt haben; der Machtverhältnisse zwischen Individuen, Gesellschaften und Völkern; sowie des kulturellen Lebens und des Alltags der Bewohnerinnen und Bewohner. In diesen Verzweigungen kommen Menschen zum Vorschein, die der Autor mit einer Neugier und Empathie beschreibt, die poetisch über das historische Dokument hinausgehen.

Besonders angetan war die Jury von den vielen normalerweise unsichtbar bleibenden Figuren, die der Autor in 'Tout devait disparaître' dem Vergessen entreißt, und schließlich von dem untypischen Blick, den das Buch auf verschiedene Persönlichkeiten der Literaturgeschichte des Landes wirft. Jérôme Quiquerets Werk, das auf einer beeindruckenden Recherche beruht, bricht die Grenzen der literarischen Textgattungen auf: Seine Mischung aus journalistischer Erzählung, historischer Dokumentation und True Crime, die in einem fiktionalen Gerüst rekonstruiert wird, wie es in Luxemburg noch nie dagewesen ist und sich zugleich in die zeitgenössische Fluidität der literarischen Formen einfügt, stellt die narrativen, rhythmischen und kompositorischen Triebfedern des literarischen Schreibens grundlegend in Frage. Die Aktualität dieses Buches liegt letztlich in der metaskripturellen Fragestellung, zu der uns der Autor einlädt: Wie können wir die schriftlichen Spuren der Vergangenheit lesen, interpretieren und erzählen?"