Literaturblog-Award 2020 für Tino Schlench

Stilistisch kompromisslos

7. November 2020
von Sabine van Endert

Klassische Buchrezensionen gibt es schon genug, meint Tino Schlench, der in seinem Blog "Literaturpalast" deshalb ganz neue stilistische Formen ausprobiert. Dafür, für seine fantsievolle Bildsprache und überhaupt den hohen Grad der Professionalität seines Tuns, wurde er mit dem Buchblog-Award 2020 ausgezeichnet. Ein Interview. 

Tino Schlench, Literaturpalast

Tino Schlench, Literaturpalast

Mit welcher Intention betreiben Sie den Blog? Wie profitieren Sie davon persönlich?
Der „Literaturpalast“ – der Name spielt ironisch auf die Kultur- und Wissenschaftspaläste des ehemaligen Ostblocks an – konzentriert sich ausschließlich auf Veröffentlichungen, die den deutschen oder europäischen Osten betreffen. Diesen Literaturen möchte ich durch meinen Blog zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen. Das Aufspüren und Entdecken von Büchern und Autor*innen aus Osteuropa sowie das Verfassen von Beiträgen empfinde ich als eine große persönliche Bereicherung. Dies gilt ebenso für Moderationen oder meinen Podcast „Literaturpalast Audiospur“, den ich in Kooperation mit dem Netzwerk Traduki gestalte. Besonders wertvoll sind für mich zudem die engen Kontakte zu Blogger*innen, Autor*innen und Personen des literarischen Lebens.

Sie leben in Wien. Hat das einen Einfluss auf Ihre Arbeit?  Mein Wohnort beeinflusst meine Arbeit als Literaturblogger ganz maßgeblich. (Süd-)Osteuropa ist in Wien durch die geographische Lage, die einstige Habsburgermonarchie sowie durch spezifische Migrations- und Fluchtbewegungen sehr viel präsenter als in deutschen Städten. Das zeigt sich u. a. in der Bevölkerung, in der Sprache, auf der Speisekarte oder in den Programmen vieler hiesiger Verlage.

Sie betreiben Ihren Blog seit gut zwei Jahren. Wie hat sich der „Literaturpalast in dieser Zeit entwickelt? 
Der „Literaturpalast“ hat sich seit seinem Bestehen sehr stark gewandelt. Ich habe auf Instagram begonnen – in der Zwischenzeit kamen eine eigene Webseite und ein Podcast mit wechselnden Gästen hinzu. Vor allem stilistisch bin ich ein ganzes Stück kompromissloser geworden. Mitunter greife ich in meinen Beiträgen den Ton oder die Erzählperspektive eines Romans auf, spiele mit unterschiedlichen Textformen (Brief, Dramolett, Thesenpapier) oder bette Zitate und Anspielungen ein. Warum klassische Rezensionen schreiben, wenn es davon schon so viele gibt? Viele gute zudem. Ich möchte zu niemandem in Konkurrenz treten. 

Setzten Sie sich Ziele? Wie viele neue Posts wollen Sie pro Monat auf die Seite stellen?
Da ich langsam lese, noch langsamer schreibe und die Produktion einer Podcast-Folge sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, schaffe ich pro Monat nicht viel mehr als zwei bis drei Beiträge. Dementsprechend beziehen sich meine Ziele gar nicht so sehr auf die Quantität oder Frequenz. Die Fragen, die mich umtreiben, sind viel eher: Wie kann ich meine Leser*innen – und mich selbst - überraschen? Mit welchen Künstler*innen möchte ich für ein Buchfoto zusammenarbeiten? Welche Länder habe ich noch nicht abgedeckt? Wie kann ich mit meiner Literaturauswahl auf aktuelle politische Entwicklungen reagieren? Diese Dinge beschäftigen mich. 

Sie setzen die Bücher sehr gekonnt in Szene… Wie aufwändig ist das? 
Diese Arbeit ist sehr aufwändig. Ich sehe sie aber als integralen Bestandteil meiner Arbeit. Ich habe auf Instagram angefangen (was man meiner Webseite auch anmerkt). Dort fungiert ein Bild quasi als Überschrift oder als Eintrittskarte. Das heißt konkret: Gerade bei weniger bekannten Veröffentlichungen benötige ich ein ansprechendes Bild, um Interesse zu wecken. Dass Instagram vor allem über Fotos funktioniert, mag man für oberflächlich halten. Ich selbst sehe es als eine Herausforderung, mich auch auf visueller Ebene mit einem Werk auseinanderzusetzen. Im besten Fall ist ein Buchfoto mehr als nur ein nettes Beiwerk. 

Wie viel Zeit investieren Sie in Ihren Blog?
Das variiert. Aber man kann wohl von einem Halbtagsjob reden. 

Gibt es Vorbilder? Welche Buchblogs halten Sie für besonders gelungen? Warum? Was haben Sie von ihnen gelernt? 
Konkrete Vorbilder gibt es nicht. Dennoch orientiere ich mich sehr stark an anderen Literaturblogs und verfolge genau, über welche Bücher und Themen auf welche Weise berichtet wird. Besonders gut gefallen mir Blogs und Podcasts, die durch ihre Literaturauswahl, Schwerpunktsetzung und (Bild-)Sprache ein eigenes Profil entwickeln. Das möchte ich auch mit dem „Literaturpalast“ erreichen.

Wie ist die Zusammenarbeit mit den Verlagen? Sind noch Wünsche offen? 
Die Zusammenarbeit funktioniert gut. Dann und wann erhalte ich Rezensionsexemplare – mitunter verweisen die Verlage dann auf meine Texte oder meinen Podcast. Jedoch nur, wenn es darin um aktuelle Titel geht. Die allgemeine Konzentration auf Neuerscheinungen finde ich etwas schade, da gute Literatur kein Ablaufdatum besitzt. Die Kooperation mit Verlagen ist jedoch nur ein Aspekt meiner Tätigkeit als Blogger. Ebenso relevant ist die Zusammenarbeit mit Stiftungen, Vereinen und Institutionen im In- und Ausland. Diese möchte ich zukünftig noch weiter ausbauen. 

Wie ist die Resonanz auf Ihren Blog? (Leserbriefe, Zugriffszahlen, Verlagsangebote, Heiratsanträge …) 
Die Resonanz ist sehr positiv. Es freut mich, dass ich auch Leser*innen erreiche, die bisher nur wenig mit dem literarischen Osten in Berührung kamen. Kulturvermittlung ist mir ein großes Anliegen.

Auf welchen Beitrag gab es am meisten Resonanz?
Der Beitrag, der im vergangenen Jahr die größte Debatte ausgelöst hat, war keine Buchvorstellung, sondern der Reisebericht „Unterwegs nach Tschernobyl“. Darin schildere ich meine persönlichen Erfahrungen während einer geleiteten Tour in die Sperrzone rund um das havarierte Atomkraftwerk im Norden der Ukraine. Mein Text ist sehr nüchtern gehalten und verzichtet weitestgehend auf Bewertungen, beinhaltet aber einige Mehrdeutigkeiten. Den Wunsch, nicht zu moralisieren und mich in einigen Punkten nicht festzulegen, haben mir einige Leser*innen jedoch übel genommen.

Was machen Sie beruflich? / Was würden Sie beruflich gern machen?
Zuletzt war ich im wissenschaftlichen Lektorat tätig. Aktuell schlage ich mich mit Social-Media-Beratung, Moderationen, freien Lektoratstätigkeiten und Podcasting durch. Das ist genau das, was ich gerne machen möchte. Aber es wäre noch schöner, wenn ich auch davon leben könnte.

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