Büchner-Preis überreicht

"Schreiben begleitet die Zeit"

3. November 2025
Redaktion Börsenblatt

Am 1. November hat die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung im Staatstheater Darmstadt ihre drei Preise verliehen, unter anderem den mit 50.000 Euro dotierten Georg-Büchner-Preis 2025 an die Schriftstellerin Ursula Krechel.

Foto von Ursula Krechel bei der Büchnerpreisverleihung

Ursula Krechel

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung im Staatstheater Darmstadt ihre drei Preise: den Georg-Büchner-Preis an die Schriftstellerin Ursula Krechel, den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa an den Historiker Dan Diner und den Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay an die Schriftstellerin und Kritikerin Ilma Rakusa. Eröffnet wurde die Veranstaltung der Mitteilung zufolge durch Akademiepräsident Ingo Schulze. Das Grußwort sprach Kulturstaatsminister Wolfram Weimer.

Büchner-Preis an Ursula Krechel

Bei der Vergabe des Georg-Büchner-Preises 2025 an Ursula Krechel, sagte ihre Laudatorin Sabine Küchler: "Wir finden uns nicht ab, scheinen Ursula Krechels Bücher zuzurufen, wir finden uns nicht ab mit dem falschen Einverstandensein, den Lebenslügen einer Gesellschaft, die sich für aufgeklärter und gerechter hält als sie ist. Ursula Krechel nennt unmissverständlich die Dinge beim Namen, die gesellschaftlichen Zustände und realen Machtverhältnisse, die ungeschriebenen Gesetze, die anerzogenen Rollen und gläsernen Wände, mit denen kein denkender und fühlender Mensch einverstanden sein sollte."

Unter dem Titel "Zählen, erzählen und: Wer nicht zählt" entwarf Ursula Krechel in ihrer Dankrede ausgehend von Georg Büchner und Luise Büchner ihr literarisches Programm: "Schreiben begleitet die Zeit, stolpert, rennt atemlos vor ihr weg oder hinkt ihr nach. Schreiben heißt: Denken, Beobachten, auf Töne und Misstöne achten, Schlüsse ziehen mit weitreichenden Folgen. Schreiben heißt: Lesen und auch das Unscheinbare auflesen. Schreiben heißt: den Tod, den gewaltsamen Tod denken, an Lebensbedingungen erinnern, die töten." Ursula Krechel beharrt darauf, dass Schreiben den Stummen und stumm Gemachten nicht nur eine Stimme geben müsse, es müsse dieser Stimme Glaubwürdigkeit verleihen – "Schreiben heißt in diesem Fall: Kunst."

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer sagte in seinem Grußwort: "Wir brauchen Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Ursula Krechel mit radikal subjektiven Sprach- und Denkfiguren, die die Grenzen des Denkbaren und Sagbaren ausloten und damit auch Möglichkeitsfenster für ihre Leserinnen und Leser öffnen. Auf erzählerisch virtuose Weise reflektiert Ursula Krechel in ihrem aktuellen Roman 'Sehr geehrte Frau Ministerin' Macht und Deutungsmacht: Wer darf sprechen? Wer darf über wen schreiben? Gibt es überhaupt die Hoheit über die eigene Biografie? Und nicht zuletzt: Wem steht politische Macht zu? So entstehen auf mehreren Ebenen ineinander verschlungene Narrative über Ohnmacht und Selbstbehauptung, über limitierende Rollenerwartungen und weibliche Selbstermächtigung."

Wir brauchen Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Ursula Krechel mit radikal subjektiven Sprach- und Denkfiguren, die die Grenzen des Denkbaren und Sagbaren ausloten und damit auch Möglichkeitsfenster für ihre Leserinnen und Leser öffnen.

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer
Foto der drei Prämierten auf der Bühne (v.l.): Dan Diner, Ilma Rakusa und Ursula Krechel

Die drei Prämierten (v.l.): Dan Diner, Ilma Rakusa und Ursula Krechel

Diese zwei weiteren Akademiepreise wurden überreicht

Merck-Preis an Ilma Rakusa

Am Beginn der feierlichen Veranstaltung stand die Vergabe des Johann-Heinrich Merck-Preises an Ilma Rakusa, die in ihrem weit ausgreifenden Werk Sprach- und Kulturgrenzen überschreite und als Essayistin und Rezensentin, Übersetzerin und Herausgeberin mannigfaltige literarische Landschaften erschließe, so die Jury. Katharina Raabe betonte in ihrer Laudatio die Wahrnehmungsintensität der Preisträgerin, ihre Zugewandtheit zu anderen Menschen und ihre Anteilnahme an den Weltereignissen; Eigenschaften, die überhaupt erst durch "unentwegtes Lesen und Schreiben" hervorgebracht werden.

In ihrer Dankrede stellte Ilma Rakusa heraus, dass Literatur zwar keine Kriege verhindern, auch nicht beenden, ihnen aber etwas entgegensetzen könne. Sie forderte zur Lektüre süd-, mittel- und osteuropäischer Literaturen auf, "die mit existentieller Dringlichkeit den Zusammenprall von Geschichte und Gegenwart, von Gewalt und Menschlichkeit vorführen." Ihre Rede war ein engagiertes Plädoyer für die Erkenntniskraft der Literatur, so die Mitteilung der Akademie.

Freud-Preis an Dan Diner

Als zweiter Preis wurde der Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa an den Historiker Dan Diner verliehen. Die Laudatio hielt Stephan Malinowski. "Die filigrane Beschreibung der Nichtzugehörigkeit und Verletzlichkeit von Menschen zwischen den Blöcken sowie die seismographische Aufmerksamkeit für das ungeschützte Leben" reichten bei Diner weit über die jüdische Geschichte hinaus, so Malinowski. Diners Werk zeichne sich durch ein kaleidoskopartiges Erzählen aus, das niemals abgeschlossen sei, bei Leserinnen und Lesern jedoch den Eindruck hinterlasse, im Text den entscheidenden Elementen begegnet zu sein.

Dan Diner bezog sich in seiner Dankrede auf das Romanfragment "Der erste Mensch" des algerisch-französischen Schriftstellers und Philosophen Albert Camus, das sich, so Diner, als Lehrstück anbiete. Dieser unvollendet gebliebene Text verleihe Camus‘ algerischem Dilemma Ausdruck: "zwischen der Liebe zu seiner Mutter, die offenbar auch für das verloren gehende französische Algerien zu stehen kommt, und der Vorstellung einer universell gültigen Gerechtigkeit", der er sich "zutiefst verpflichtet fühlte". Und die ihn "in Richtung der muslimisch-algerischen Bestrebungen zog", denen er sich gleichwohl "aus Gründen seiner Zugehörigkeit nicht ergeben konnte". Diner entzifferte das Fragment als den Versuch, eine Zukunft jenseits der »im Kampf miteinander verkeilten Kollektive« des Algerienkrieges zu denken.

Das Programmheft, in die Lehne eines roten Klappsitzes gesteckt

Das Programmheft, in die Lehne eines roten Klappsitzes gesteckt

"Sie feiern das Denken im Ausdruck"

Timon Gremmels, Hessischer Minister für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur, sagte: "Die Preisträgerinnen und Preisträger eint eine tiefe Liebe zur Sprache. Sie feiern das Denken im Ausdruck, nicht das laute, schnelle Wort. Sigmund-Freud-Preisträger Dan Diner macht wissenschaftliches Schreiben lebendig. Johann-Heinrich-Merck-Preisträgerin Ilma Rakusa bezaubert uns mit feinem und hellhörigem Schreiben. Und Ursula Krechel, Gewinnerin des Georg-Büchner-Preises, präsentiert uns pointierte Analysen der Gesellschaft. Ihre scharfen Beobachtungen beeindruckten auch bei ihrem Auftritt an unserem Gemeinschaftsstand Literatur in Hessen bei der Frankfurter Buchmesse 2025."

  • Der Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay ist mit 20.000 Euro dotiert und wird vom Wissenschafts- und Technologieunternehmen Merck finanziert.
  • Der Sigmund-Freud-Preis ist mit 20.000 Euro dotiert und wird von der ENTEGA Stiftung finanziert.
  • Der Georg-Büchner-Preis Preis ist mit 50.000 Euro dotiert und wird finanziert von dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur und der Stadt Darmstadt.