Merck-Preis an Ilma Rakusa
Am Beginn der feierlichen Veranstaltung stand die Vergabe des Johann-Heinrich Merck-Preises an Ilma Rakusa, die in ihrem weit ausgreifenden Werk Sprach- und Kulturgrenzen überschreite und als Essayistin und Rezensentin, Übersetzerin und Herausgeberin mannigfaltige literarische Landschaften erschließe, so die Jury. Katharina Raabe betonte in ihrer Laudatio die Wahrnehmungsintensität der Preisträgerin, ihre Zugewandtheit zu anderen Menschen und ihre Anteilnahme an den Weltereignissen; Eigenschaften, die überhaupt erst durch "unentwegtes Lesen und Schreiben" hervorgebracht werden.
In ihrer Dankrede stellte Ilma Rakusa heraus, dass Literatur zwar keine Kriege verhindern, auch nicht beenden, ihnen aber etwas entgegensetzen könne. Sie forderte zur Lektüre süd-, mittel- und osteuropäischer Literaturen auf, "die mit existentieller Dringlichkeit den Zusammenprall von Geschichte und Gegenwart, von Gewalt und Menschlichkeit vorführen." Ihre Rede war ein engagiertes Plädoyer für die Erkenntniskraft der Literatur, so die Mitteilung der Akademie.
Freud-Preis an Dan Diner
Als zweiter Preis wurde der Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa an den Historiker Dan Diner verliehen. Die Laudatio hielt Stephan Malinowski. "Die filigrane Beschreibung der Nichtzugehörigkeit und Verletzlichkeit von Menschen zwischen den Blöcken sowie die seismographische Aufmerksamkeit für das ungeschützte Leben" reichten bei Diner weit über die jüdische Geschichte hinaus, so Malinowski. Diners Werk zeichne sich durch ein kaleidoskopartiges Erzählen aus, das niemals abgeschlossen sei, bei Leserinnen und Lesern jedoch den Eindruck hinterlasse, im Text den entscheidenden Elementen begegnet zu sein.
Dan Diner bezog sich in seiner Dankrede auf das Romanfragment "Der erste Mensch" des algerisch-französischen Schriftstellers und Philosophen Albert Camus, das sich, so Diner, als Lehrstück anbiete. Dieser unvollendet gebliebene Text verleihe Camus‘ algerischem Dilemma Ausdruck: "zwischen der Liebe zu seiner Mutter, die offenbar auch für das verloren gehende französische Algerien zu stehen kommt, und der Vorstellung einer universell gültigen Gerechtigkeit", der er sich "zutiefst verpflichtet fühlte". Und die ihn "in Richtung der muslimisch-algerischen Bestrebungen zog", denen er sich gleichwohl "aus Gründen seiner Zugehörigkeit nicht ergeben konnte". Diner entzifferte das Fragment als den Versuch, eine Zukunft jenseits der »im Kampf miteinander verkeilten Kollektive« des Algerienkrieges zu denken.