Folienverzicht: Interview mit Christian Schumacher-Gebler

"Ich finde, dass wir gemeinsam sehr weit gekommen sind"

27. April 2021
von Sabine Cronau

So schnell kann's gehen: Beim Hardcover hat sich die Branche inzwischen großflächig von der schützenden Plastikfolie verabschiedet. Christian Schumacher-Gebler, CEO bei Bonnier Media Deutschland, zieht im Interview Bilanz. Mehr zum Thema im Börsenblatt-Spezial Nachhaltigkeit vom 22. April.

Heute wird die überwiegende Anzahl der Hardcover-Novitäten in unserer Branche ohne Folie ausgeliefert.

Christian Schumacher-Gebler

Im Herbst 2018 hat Ullstein den Titel "Muttertag" von Nele Neuhaus ohne Schutzfolie ausgeliefert – damals ein Pilotprojekt für die Verlagsgruppe. Ist daraus inzwischen ein Standard für alle Bonnier-Verlage geworden?
Ja, alle Bonnier Verlage verzichten heute, wo immer das möglich ist, konsequent auf die Folie. Seinerzeit war es tatsächlich ein Pilotprojekt für unsere Verlage. Gewissermaßen auch für die gesamte Branche, denn damals gab es meines Wissens kein Hardcover mit Schutzumschlag in vergleichbarer Auflagengröße (ca. 300.000 Exemplare), das ohne Folie ausgeliefert wurde. Da wir dauerhaft etwas in unseren Verlagen verändern wollten, brauchten wir für den Anfang einen Leuchtturmtitel. Einen Leuchtturmtitel UND eine Autorin wie Nele Neuhaus, die diesen Schritt gemeinsam mit uns wagte. Mittlerweile wird die Folie bei den Bonnier Verlagen nur noch bei wenigen Titeln verwendet, die die Schutzfolie zwingend benötigen - wie beispielsweise die "Kritzkratz-Bücher" von arsEdition.

Wie sind Ihre Erfahrungen mit den Remissionen – im Rückblick auf die vergangenen zweieinhalb Jahre? Gab es Beschwerden aus dem Buchhandel oder Probleme mit länger lagernden Titeln in der Logistik?
Wir konnten in all den Jahren keinen Anstieg der Remissionen feststellen - jedenfalls keinen, der auf den Verzicht der Plastikfolie zurückzuführen gewesen wäre. Unsere Partner in den Druckereien, der Auslieferung und dem Buchhandel standen dennoch vor der ungewohnten Herausforderung, diese nicht eingeschweißten Bücher behutsamer zu befördern. Das scheint sich in all den Monaten immer besser eingespielt zu haben.

Bei Titeln, die aufgrund der Materialempfindlichkeit des Produkts eingeschweißt werden müssen, experimentieren wir mit kompostierbarer Folie.

Christian Schumacher-Gebler

In der Corona-Krise wurden und werden Bücher vielfach verschickt, vom Buchhandel zum Teil persönlich noch weiter an die Kunden geliefert. Klappt das problemlos? Oder war das eine besondere Herausforderung?
Ich habe den Eindruck, dass mittlerweile sehr viele Verlage der Überzeugung sind, dass man auf die Folie im Hardcover verzichten kann. Wir waren auch damals keineswegs die Einzigen, die mit dem Verzicht auf Folie experimentierten. Einige Verlage hatten bereits erste Erfahrungen gesammelt, andere folgten unmittelbar nachdem wir 300.000 Exemplare von "Muttertag" ohne Folie erfolgreich ausgeliefert hatten. Heute wird die überwiegende Anzahl der Hardcover-Novitäten in unserer Branche ohne Folie ausgeliefert. Darauf scheinen sich aus meiner Sicht mittlerweile alle Beteiligten – auch beim Thema der Direktlieferung an den Leser – eingestellt zu haben.

Wie hat sich das "Frische-Siegel" bewährt, mit dem Sie Ihre Bücher anfangs verschlossen haben? Wird es noch gebraucht?
Das "Frische-Siegel" erschien uns in der Übergangszeit in zweierlei Hinsicht sinnvoll.

  • Erstens: Dem Buchkäufer, der Wert auf ein "verschlossenes" Buch legte, konnte dieses mit Hilfe des "Frische-Siegels" angeboten werden.
  • Zweitens: Ohne das Siegel hätten weder Buchhändler noch Leser nachvollziehen können, weshalb unsere Bücher nicht in Folie eingeschweißt sind.

Die gute Absicht, auf den aus unserer Sicht unnötigen Plastikmüll zu verzichten, hätte allein daran scheitern können, dass wir nicht gut genug kommunizierten. Und eben für jene Kommunikation erschien uns das Siegel in der Übergangsphase ein gutes Vehikel zu sein. Noch heute wird das "Frische-Siegel" hin und wieder verwendet, um auf den Aspekt der "Folienfreiheit" hinzuweisen.

Denken die Bonnier-Verlage auch über den Einsatz kompostierbarer Folien nach?

Bei Titeln, die aufgrund der Materialempfindlichkeit des Produkts eingeschweißt werden müssen, experimentieren wir mit kompostierbarer Folie. Ansonsten sind wir froh, wenn wir auf Verpackungsmaterial verzichten können, das uns unnötig erscheint. Das gilt auch für kompostierbare Folie, die man aus unserer Sicht weglassen sollte, wenn sie nicht unbedingt erforderlich ist.

Der Verleger-Ausschuss des Börsenvereins hat im Dezember 2018 an alle Verlage appelliert, "bei Neuproduktionen so weit wie möglich auf Einschweißfolien zu verzichten". Sind Sie mit der Branchenresonanz zufrieden – oder geht da noch mehr?
Als wir im Herbst 2018 auf die Folie verzichteten, verbanden wir damit die große Hoffnung, dass die Hardcover im deutschsprachigen Raum dauerhaft von der Einschweißfolie befreit werden könnten - so wie das in anderen Ländern ja bewährte Praxis ist. Insofern habe ich mich ganz persönlich über jeden Verlag gefreut, der für sich die Entscheidung traf, seine Bücher nicht mehr einzuschweißen. Ich finde, wir sind gemeinsam – dank vieler Unterstützer in vielen Verlagen – sehr weit gekommen.

Gerade höherpreisige Titel werden von vielen Verlagen nach wie vor eingeschweißt. Unnötigerweise?

Es gibt sicher Gründe, die das sinnvoll erscheinen lassen. Dennoch glaube ich nach wie vor daran, dass der Traum einer folienfreien Buchproduktion irgendwann Wirklichkeit wird. Der Verzicht auf die Einschweißfolie ist und war ja lediglich ein Aspekt auf dem mühsamen – gleichwohl unermesslich wichtigen – Weg der nachhaltigen Produktion unserer Bücher. Aber es war damals ein sehr sichtbarer und vielseitig diskutierter Aspekt. In den Bonnier Verlagen hat das meines Erachtens positive Energien freigesetzt und viele Kolleg*innen animiert, weitere Möglichkeiten der umweltfreundlicheren Produktion zu erproben. 

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