Belletristik

Nachholbedarf

14. Januar 2021
von Matthias Glatthor und Stefan Hauck

In diesem Frühjahr werden viele Werke von Schriftstellerinnen wiederentdeckt. Kein Zufall, sondern auch ein Zeichen dafür, dass sich etwas verändert. Nicht nur im Literaturbetrieb.

Vor einem Jahr hatte das Projekt #vorschauenzählen die Frühjahrsnovitäten 2020 unter die Lupe genommen: Wie viele Autorinnen finden sich in den Programmen? Eine Erkenntnis: »Je höher das literarische Prestige eines Verlags, desto mehr scheint er auf Männer im Programm zu setzen«, formulierten die Literaturwissenschaftlerinnen im »Spiegel«, und: »Je ernsthafter es zugeht, desto männlicher; je unterhaltsamer es wird, desto weiblicher.«

Schaut man ein Jahr später in die Verlagsprogramme, scheint es Bewegung zu geben. Der Frauenanteil in der Belletris­tik ist gestiegen. Auch die Hälfte der 25 Jahresbestseller 2020 in den von Media Control ermittelten Top 25 »Erzählende Literatur« stammt von Frauen. In der gerade bei Kein & Aber erschienenen, höchst lesenswerten Anthologie »Schreibtisch mit Aussicht« geben 23 Schriftstellerinnen von Terézia Mora über Elfriede Jelinek bis zu Zadie Smith Einblick in die Situation schreibender Frauen. Herausgeberin Ilka Piepgras macht darauf aufmerksam, dass sie sich für Erzählperspektiven rechtfertigen und mit stereotypen Rollenklischees herumschlagen müssten – oder mit der Frage, wer sich denn während der Lese­reise um die Kinder kümmere. Sie weist auch auf Forschungsprojekte der Universitäten Rostock und Innsbruck zum Rezensionsvolumen hin. Demnach sind Frauen als Rezensentinnen und als Gegenstand von Rezensionen in prestigeträchtigen Publikationen »schockierend unterrepräsentiert«, so das Fazit. »Ganz offensichtlich erwarten die Feuille­tons mehr von den Werken männlicher Autoren. Und wo man Substanz voraussetzt, findet man sie eher als dort, wo man sie nicht vermutet.«
 

Das Wollen des Verlags

Wie ist die Lage 2021? Kampa, 2018 in Zürich gegründet, gilt als Verlag mit hohem Anteil an Autorinnen. »Wir führen keine Strichlisten«, sagt Verleger Daniel Kampa wie fast alle seiner Kolleg*innen. »Aber vielleicht haben alteingesessene Verlage noch von früher einen höheren Männeranteil in der Autorenschaft.« Der literarische Kanon, jahrhundertelang männlich geprägt, habe durchaus geholfen, verdienten Autoren ihre Programm­plätze zu sichern, ergänzt Kampa-Lek­torin Cornelia Künne. »Es gab auch ein­gefahrene Genrezuschreibungen wie: Männer schreiben eher Kriminalromane, Frauen eher Unterhaltungsromane.« 

In der Gegenwartsliteratur könnten Belletristikverlage gut einen Anteil von 50 Prozent Frauen einhalten – »bei einem Klassikerprogramm sieht es anders aus«, unterstreicht Horst Lauinger, Programmleiter Klassik bei Penguin / Manesse, Kampas These. Da sei der Kanon über viele Jahrhunderte hinweg ein männlich dominierter. »Aber wir haben immer Wert darauf gelegt, verstärkt Autorinnen in den Fokus zu rücken.« Entscheidend sei letztlich der »verlegerische Wille«.

Den machte die 2019 gestorbene S. Fischer-Verlegerin Monika Schoel­ler in ihrem Haus schon früh mit der Reihe Die Frau in der Gesellschaft deutlich. Aktuell habe der Verlag in seiner deutschsprachigen Autor*innenschaft einen Anteil von mehr als 40 Prozent Frauen, erklärt Petra Gropp, Programmleiterin Literatur. »Im Herbst 2020 haben wir tatsächlich mehr Autorinnen als Autoren veröffentlicht. Wichtig ist uns ein möglich facettenreiches Programm mit unterschiedlichen Positionen, Erzählweisen, Themen, Leidenschaften und literarischen Temperamenten.« Die aktuellen Bücher politischer junger Autorinnen spielten dabei eine wichtige Rolle.

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