London Book Fair

Neues Lizenzmodell: Regionale Ausgabe in Originalsprache

15. März 2024
von Barbara Geier

Europa, angetrieben von der TikTok-Generation und deren Lieblings-Genre Romance, liest immer mehr englischsprachige Bücher – und das Thema ist nicht nur im Seminarprogramm der ersten internationalen Buchmesse des Jahres 2024 angekommen, sondern auch in den Besprechungszimmern der englischsprachigen Verlagshäuser. Es wird über neue Lizenzmodelle nachgedacht. 

Deutscher Gemeinschaftsstand auf der London Book Fair 2024

Inzwischen ist bei allen angekommen, dass der Anstieg der Verkäufe englischsprachiger Originalausgaben in Ländern wie Deutschland und den Niederlanden ein Thema ist, über das gesprochen werden muss.

Daniela Schlingmann, Literaturagentin

"English-Language Book Sales in Europe: Opportunities and Challenges". So der Titel eines Seminars, das bei der gerade zu Ende gegangenen London Book Fair (12.-14. März 2024) prominent auf der Main Stage der Messe angesetzt war. Europa, angetrieben von der TikTok-Generation und deren Lieblings-Genre Romance, liest immer mehr englischsprachige Bücher – und das Thema ist nicht nur im Seminarprogramm der ersten internationalen Buchmesse des Jahres 2024 angekommen, sondern auch in den Besprechungszimmern der englischsprachigen Verlagshäuser.

Jacqueline Dinas, Publisher bei der Kensington Publishing Corp.

Unsere Leserinnen sagen uns auf TikTok sehr genau, was wie möchten, und es liegt dann an uns, die entsprechenden Bücher zu publizieren.

Jacqueline Dinas, Publisher bei der Kensington Publishing Corp

"In den großen Verlagsgruppen diskutieren aktuell einerseits die Teams für Export und Foreign Right intern darüber und andererseits gibt es Gespräche mit den internationalen Lizenzpartnern, was man machen kann", so Daniela Schlingmann, die mit Daniela Schlingmann Literary Scouting von London aus für deutsche Verlagshäuser und Verlage im internationalen Ausland tätig ist. Noch im letzten Jahr, so Schlingmann, gab es Lizenzgeber, die keinen Gesprächsbedarf sahen: "Inzwischen ist bei allen angekommen, dass der Anstieg der Verkäufe englischsprachiger Originalausgaben in Ländern wie Deutschland und den Niederlanden ein Thema ist, über das gesprochen werden muss."

Ich bin nicht abgeneigt, Rechte für englische Ausgaben in Europa zu verkaufen. In den Niederlanden diskutieren wir dies bereits.

Nancy Yost, Literaturagentin

Die Branche spricht

Bei der genannten Podiumsdiskussion brachte Geneviève Waldmann, CEO des niederländischen Verlags VBK, das Problem auf den Punkt: "Viele junge Leute wollen englische Bücher lesen, aber wenn der Trend anhält, wird es in fünf bis zehn Jahren [in den Niederlanden] keine Übersetzungen mehr geben, weil wir es uns nicht leisten können." Ihr Lösungsansatz: Lokale Verlage erwerben neben den Übersetzungsrechten die Rechte für eigene englische Ausgaben, die neben den Exportausgaben am Markt veröffentlicht werden, bzw. erhalten im Fall von großen Autoren von den "Big Five"-Verlagen die Option, die lokalen Ausgaben mit Vorsprung vor den englischen Exporten für einige Wochen konkurrenzfrei vermarkten zu können.

Für ihren britischen Mitdiskutanten David Graham, Vorsitzender der britischen Independent Publishers Guild und Geschäftsführer eines Verlags für illustrierte Bücher, ist das ein vorstellbares Modell ("Als Lizenzgeber schließe ich neben den Übersetzungsrechten einen weiteren Deal und die Sichtbarkeit des Buchs wird erhöht."). Interessanterweise drückten gerade die UK-Vertreter auf dem Panel – neben Graham die Geschäftsführerin einer Scouting-Agentur – ihr Unbehagen über die "Monokultur" angesichts der Dominanz der englischen Sprache aus.

Unterschiedliche Ausgangslage in USA und UK

Im Segment Romance, dass diese Entwicklung treibt, macht sich die junge Leserschaft, die in internationalen Social-Media-Communities unterwegs ist, darüber sicher weniger Gedanken. Auch bei den großen britischen Verlagen, wie Simon & Schuster und HarperCollins, die Romance-Bestseller von Autorinnen wie Colleen Hoover, Hannah Grace oder Alice Oseman veröffentlichen, sieht die Branche weniger Bereitschaft, lokalen Verlagen Rechte für englische Ausgaben zu überlassen. Jacqueline Dinas, Publisher bei der Kensington Publishing Corp., einem unabhängigen US-Publikumsverlag mit einem dezidierten Romance-Portfolio, weist auf die Unterschiede zwischen den englischsprachigen Märkten hin: "Für britische Verlage ist der Export ihrer Ausgaben nach Europa traditionell ein sehr wichtiger und größerer Umsatzbringer als für US-Verlage. Ich bin der Meinung, dass europäische Verlage die englischsprachigen Rechte für ihre Länder erwerben sollten und halte es für smart, da beispielsweise ein deutscher Verlag sein deutsches Publikum viel besser erreichen kann. Viele große UK-Verlage sehen das anders und lehnen solche Modelle ab, weil es ihr Vertriebsgeschäft beeinträchtigt." Dinas hebt zudem hervor, dass es keine Einheitslösung geben wird: "Im Endeffekt hängt es immer von dem jeweiligen Buch und der Art des Projekts ab, ob es sinnvoll ist, dass lokale Verlage auch Englisch publizieren."

Im ihrem Geschäft mit Deutschland hat in den letzten zwei Jahren das Tempo angezogen, da die Lizenznehmer die deutsche Ausgabe so nah wie möglich an der Export-Ausgabe auf den Markt bringen wollen. Genauso ist die Zahl der deutschen Partner gestiegen, da immer mehr Verlage mit neuen Imprints auf den Romance-Zug aufspringen. Nachschubprobleme gibt es aus Dinas’ Sicht keine: "Es gibt großartige Autoren in jedem Romance-Untergenre, wie dem aktuellen Trendsegment Romantasy, und genügend Material. Das Wichtige ist, dass von Publikumsseite die Begeisterung für die Autoren da ist, da das Genre extrem verbrauchergetrieben ist. Unsere Leserinnen sagen uns auf TikTok sehr genau, was wie möchten, und es liegt dann an uns, die entsprechenden Bücher zu publizieren."

Lizenzen im Portfolio der Nancy Yost Agency

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Die Materialfülle wird auch von Agentenseite bestätigt. Stephanie Phillips von der US-Agentur SBR Media meint, sie könne mit ihren rund 300 Romance-Autoren, die größtenteils im Selbstverlag auf Englisch publizieren, den deutschen Markt "auf Jahre füllen". Aktuell erschienen einige davon in Übersetzung beim Romance-Verlag Lyx, bei Aufbau Verlage und dem Bastei Lübbe-Label beHEARTBEAT. Mit dem Modell eines eigenen englischen Labels lokaler Verlage hat sie aktuell erstmals über eine Co-Agentin für die Niederlande Erfahrung gemacht und kann sich dies auch in anderen Märkten vorstellen. Genau wie Nancy Yost, die mit ihrer New Yorker Agentur einige New York Times- und USA Today-Bestsellerautoren u. a. im Historical Romance Segment vertritt und in Deutschland mit Verlagen wie Lyx, Blanvalet oder Goldmann arbeitet: "Ich bin nicht abgeneigt, Rechte für englische Ausgaben in Europa zu verkaufen. In den Niederlanden diskutieren wir dies bereits." Auch sie betont: Je größer die Verlage, desto schwieriger bzw. komplexer werden die Gespräche und vertragliche Ausgestaltung, um ein solches Modell umzusetzen: "Wir sind aber im Dialog."

Amanda Ridout, Boldwood Books

Dennoch keine englischsprachige Monokultur

Abgesehen von den Erfolgen englischer Originalausgaben in europäischen Märkten gibt es aber auch englischsprachige Verlage, bei denen Export-Ausgaben nur eine untergeordnete Rolle spielen: "Wir haben gerade in Frankreich mit City Éditions und in den Niederlanden mit House of Books jeweils Verträge für ein Romance-Programm mit unseren Titeln abgeschlossen, die in die jeweiligen Sprachen übersetzt werden", so Amanda Ridout, die 2019 nach Jahrzehnten u. a. als Geschäftsführerin bei HarperCollins und Headline in Großbritannien mit Boldwood einen Verlag gegründet hat, der Romance-Titel sowohl für die TikTok-Generation als auch Leserinnen über 35 herausbringt. "Mit 40 Büchern pro Jahr in den Niederlanden, die unter dem Label Boldwood NL herauskommen werden, und einem Dutzend in Frankreich, sind dies umfangreiche Programme für Übersetzungen in diesen Ländern, die nach den Anforderungen der Partner – physische Bücher und E-Books in Frankreich sowie E-Books, Audio und Print-on-Demand in den Niederlanden – umgesetzt werden." Kann die "englische Monokultur" also verhindert werden? Mit einer Branche im Dialog, der Bereitschaft, die Vertragswerke für Lizenzverkäufe neu zu betrachten und unabhängigen Verlagen, die das agile Gegengewicht zu den großen "Buchverlagsdampfern" bilden, scheint die Londoner Book Fair Antwort darauf Ja zu sein.