Denis Scheck über seine Frankfurter Buchmesse 2020

„Was ich jetzt schon hasse? Die Sperrstunde um 23 Uhr!“

9. Oktober 2020
von Sabine Cronau

Corona hin oder her: Literaturkritiker Denis Scheck ist ab dem 14. Oktober auf der ARD-Buchmessebühne im Dauereinsatz – nur eben in der Festhalle, nicht in der Messehalle. Ein Interview über Vorfreude, Angstgefühle und die kalten Augen des Literaturbetriebs.   

Frankfurter Buchmesse 2020: Mit welchen Gefühlen blicken Sie dem Abenteuer der „Special Edition“ entgegen? 

Ich bin seit mehr als 40 Jahren auf der Buchmesse. Für mich ist sie wie ein Familienfest: Einmal im Jahr sieht man alle, alle wieder - auch diejenigen, auf die man sich vielleicht nicht so freut, die missratenen Onkels, die schrecklich riechenden Tanten. Ich fürchte, in diesem Jahr wird es heißen: Es ist Buchmesse und keiner ist da. Ich habe den Eindruck, dass sich selbst aus der deutschen Literaturszene nur wenige angekündigt haben. Das internationale Publikum fehlt ohnehin – genau das hat diese Messe aber immer ausgezeichnet. 

Wie sieht Ihr Messekalender aus? Ungewohnt übersichtlich – oder voller Moderationen, wie sonst auch? 

Die Zahl der Auftritte hat sich bei mir im Vergleich zu früheren Buchmessen erstaunlicherweise kaum reduziert. Das Programm auf der ARD-Bühne ist vom Umfang her fast gleich geblieben - nur ziehen wir in diesem Jahr eben in die Festhalle um. Was die Buchmesse jedoch eigentlich auszeichnet, das sind die Gespräche am Rande, an der Bar im Hessischen Hof, wo einem am Freitagabend um halb zwölf ein albanischer Verleger von einem isländischen Lyriker vorschwärmt. Dieser informelle Austausch fällt in diesem Jahr so gut wie weg. Jetzt gibt es sogar noch eine Sperrstunde und wir werden alle im Hotelzimmer sitzen. Bizarr. Das bringe ich mit meinem Konzept einer Buchmesse nicht zusammen.  

Eine neue Bar muss sich die Branche ohnehin noch suchen. Der Hessische Hof gegenüber vom Messegelände schließt… 

Das ist die nächste Katastrophe. Da müsste man zumindest noch einen Abschiedsdrink nehmen. Das letzte Mal saß ich dort mit Margaret Atwood an der Bar.... 

Statt Gedränge in vollen Messehallen werden Sie in diesem Jahr auf der ARD-Bühne Leere und ganz viel Abstand in der Festhalle erleben. Eine Herausforderung fürs Moderieren? 

Ach, wissen Sie: Die Leere, die Sie umfängt, wenn Sie in eine Fernsehkamera starren, ist noch viel größer. Von daher hoffe ich, dass ich mich davon nicht so schrecklich aus dem Konzept bringen lasse. Aber natürlich wird sich die ganze Atmosphäre in der Festhalle auf die Gespräche auf der Bühne auswirken. Was ganz wegfällt in diesem Jahr, das ist dieser eine Moment, in dem man sich als Akteur im Literaturbetrieb fühlen darf wie ein Rockstar - weil man in einer vollen Halle auftritt.  

Die Fallzahlen in Frankfurt sind hoch: Schwingt da Unsicherheit mit, wenn Sie am Mittwoch die Bühne betreten? 

Aber selbstverständlich. Wir alle erleben während der Pandemie eine Phase der Angst – der Angst um unsere Angehörigen und der Angst um uns selbst. Wer sich davon freisprechen kann, müsste mit übermenschlicher Ataraxie gesegnet sein. Aber nach einem halben Jahr Corona kommt man auch an einen Punkt, an dem man sich sagt: Aus Angst, mein Leben zu verlieren, kann ich mich nicht vor dem Leben drücken. Dass die wichtigste Buchmesse der Welt seit mehr als 70 Jahren in Deutschland stattfindet, ist keine Selbstverständlichkeit. Die Bedeutung der Messe haben Generationen von Verlegerinnen und Verlegern, von Buchhändlerinnen und Buchhändlern erarbeitet. Das will ich nicht kampflos preisgeben. Ich möchte jetzt, in der Zeit der Krise, auch mein Scherflein dazu beitragen, dass die Messe in irgendeiner Form stattfinden kann – und sei es, so wie jetzt, hauptsächlich virtuell. Wenn alle vernünftig sind und aufeinander aufpassen, dann lassen sich auch die Präsenzveranstaltungen in der Stadt mit einem kalkulierbaren Risiko durchführen.  

Ihr Plädoyer für Frankfurt wird das Buchmesse-Team freuen… 

Ganz ehrlich: Ich hätte mir von der Branche mehr Solidarität mit der Frankfurter Buchmesse erwartet. Ich bin etwas verblüfft, dass der deutsche Literaturbetrieb im Corona-Jahr so kalten Auges auf diese Messe blickt. 

Gibt es etwas, auf das Sie sich in diesem Jahr freuen? 

Auf die Begegnung mit den Autoren – und auf die Möglichkeit, Aufmerksamkeit für die Bücher zu schaffen, die das Pech hatten, in Zeiten von Corona veröffentlicht zu werden. Die Multiplikationsforen für die Literatur haben sich einfach verringert. Umso wichtiger ist es, dass wir alle unsere Messe-Auftritte in Frankfurt, in der Festhalle, in den Medien auch tatsächlich nutzen - und uns für bemerkenswerte Bücher einsetzen.  

Was hassen Sie jetzt schon, wenn Sie an die Tage in Frankfurt denken? 

Das kann ich Ihnen sagen: Das Gefühl, um 23.01 die Bars und Restaurants verlassen zu müssen. Das ist so etwas wie eine zwangsverordnete Bettruhe, die ich seit Internatszeiten nicht mehr kenne. Da befällt mich jetzt schon das kalte Grausen. 

Wen werden Sie vermissen, den Sie auf einer normalen Buchmesse getroffen hätten?  

Wahnsinnig gern hätte ich meinen lieben amerikanischen Freund Richard Ford getroffen – oder mich persönlich mit Benjamin Moser unterhalten, den Autor der Susan Sontag-Biografie, den ich jetzt nur virtuell treffe. Auch die französische Autorin Annie Ernaux hätte ich gern willkommen geheißen. Das geht jetzt alles nicht.  

Kleine Prognose: Kehrt das gewohnte „Buchmesse-Feeling“ nach der Corona-Krise zurück? 

Da könnte ich Ihnen ebenso gut die kommenden Lottozahlen durchgeben. Ich bin kein Nostalgiker, sondern schaue mit Freude in die Zukunft. Wenn ich eines weiß, dann das: Die Vergangenheit ist vergangen, es wird etwas Neues kommen. Die Messe hat sich immer wieder verändert und wird 2021 in anderer Gestalt stattfinden. Alles, was anders ist als 2020, ist wahrscheinlich besser.  

Denis Scheck auf der Buchmesse 

  • Vom 14. bis zum 18. Oktober präsentiert der Literaturkritiker immer um 11 Uhr „Best of Druckfrisch“ auf der ARD-Buchmessebühne in der Festhalle.