Thomas-Mann-Diskussion im "Zentrum Wort" der Buchmesse

Wolfram Weimer: "Mein liberales Herz ist sehr weit"

15. Oktober 2025
Sabine Cronau

Lässt sich aus der Vergangenheit wirklich für die Gegenwart lernen? Und wenn ja: Welche Rolle kann Thomas Mann dabei spielen? Antworten gab es am Mittwoch auf der Buchmesse – in einer Podiumsrunde mit Kulturstaatsminister Wolfram Weimer, Autorin Nora Bossong und dem neuen Vorsteher des Börsenvereins, Sebastian Guggolz.

Blick auf die Podiumsrunde

Im Zentrum Wort: (v.l.) Kulturstaatsminister Wolfram Weimer, Schriftstellerin Nora Bossong, Verleger Sebastian Guggolz, Moderatorin Mara Delius

Vom Länderstand der Ukraine rasch rüber ins Zentrum Wort des Deutschen Literaturfonds und des Deutschen Übersetzerfonds: Kulturstaatsminister Wolfram Weimer war am Messemittwoch gefragter Gastredner in Messehalle 4.1.  Im Zentrum Wort saß er dabei zusammen mit dem künftigen Vorsteher des Börsenvereins, Sebastian Guggolz, auf dem Podium. Unter dem Motto „Die Demokratie wird siegen“ ging es um Exil und Widerstand am Beispiel von Thomas Mann, um das Schreiben (und Übersetzen) als politischen Akt.

Lange, so Sebastian Guggolz, der neben seinem Berliner Guggolz Verlag auch die Klassiker bei S. Fischer betreut, habe Thomas Mann als unpolitischer Autor gegolten: „Jetzt wird er rehabilitiert.“ Bei S. Fischer sind im Jubiläumsjahr in einer Neuausgabe seine Hörfunkreden erschienen (Titel: "Deutsche Hörer!"), die er von 1940 bis 1945 aus den USA über den großen Teich schickte.

Ausgestrahlt wurden die Reden von der BBC – flammende Appelle gegen den Nationalsozialismus, in denen er etwa von Deutschland als „Amokläufer unter den Völkern“ sprach.. Mely Kiyak formuliert es im Vorwort zur Neuausgabe seiner Reden so: „Thomas Mann war ein Antifaschist“.

In der Geschichte zu lesen, um Antworten für die Gegenwart zu finden – das hat Grenzen.

Nora Bossong, Schriftstellerin

Aus der bürgerlichen Mitte

Passt das zum bürgerlichen Bild, das die meisten mit Thomas Mann verbinden – und das er selbst auch kultiviert hat? Wolfram Weimer sieht darin keinen Widerspruch. Seine literarische Kraft, die Magie der Sprache mache Thomas Mann zu einer eigenen Kategorie, zum Teil „unserer literarischen Identität“. Er bewundere den Autor aber auch als politische Figur, „weil er die Stimme erhoben, sich sehr klar positioniert hat – und zwar aus dem Kosmos eines bürgerlichen Selbstbewusstseins heraus.“

Der effektivste Widerstand gegen die Feinde der Demokratie, so Weimer, komme aus der breiten Mitte der bürgerlichen Gesellschaft. Schon früh habe Thomas Mann die „Brandmauer“ in der Weimarer Republik definiert.

Liest man die Werke von Thomas Mann mit Blick auf das Erstarken der Autokratien heute anders, fragte Moderatorin Mara Delius in die Runde: „Wir lesen sie überhaupt wieder!“ Das ist für Autorin Nora Bossong, 2020 mit dem Thomas-Mann-Preis ausgezeichnet, besonders wichtig.

Sie warnte davor, allzu viele Parallelen zwischen der Weimarer Republik und der aktuellen politischen Lage zu ziehen: „In der Geschichte zu lesen, um Antworten für die Gegenwart zu finden – das hat Grenzen.“

Wolfram Weimer, Nora Bossong

"Die Übersetzer werde ich im Auge haben"

Wolfram Weimer hatte auf der Bühne im Zentrum Wort allerdings auch sehr gegenwärtige Themen im Gepäck. Als Sohn eines Germanisten, der sich für die Übersetzungsarbeit aus dem Portugiesischen stark gemacht habe, sei er gewissermaßen „erblich vorbelastet“, so Weimer, der 2025 ein Budget von 2,33 Milliarden Euro für die Förderung von Kultur und Medien zur Verfügung hat, das 2026 kräftig steigen soll: „Die Übersetzer werde ich im Auge haben – das kann ich versprechen“, so der Kulturstaatsminister.

Auf Nachfrage von Mara Delius nahm Weimer außerdem kurz Stellung zu den Meldungen, mit denen das rechte Portal „Nius“ derzeit Stimmung gegen den Deutschen Verlagspreis und seine Preisträger macht – etwa gegen den Verbrecher Verlag (Schlagzeile: „Regierung prämiert Verfassungsfeinde mit 101.000 Euro Steuergeld“). Weimer reagierte auf die Kritik an den prämierten Verlagen mit den Worten: „Mein liberales Herz ist sehr weit. Lasst uns Liberalität zur zentralen Kategorie des Miteinanders machen.“

Was Liberalität ausmacht, wo sie anfängt und wo sie unter Umständen auch endet: Darüber dürfte auf der Buchmesse in den nächsten Tagen noch auf vielen Podien diskutiert werden.