Neuer unabhängiger Verlag für hebräische Literatur

"Zeitgenössisches hebräisches Schreiben ist hier auffallend unterrepräsentiert"

17. Juli 2025
Sabine van Endert

Altneuland Press ist ein in Berlin ansässiger, international orientierter hebräischsprachiger Verlag, gegründet von den Israelis Dory Manor und Moshe Sakal. Wofür steht das Programm? Wie funktioniert die Partnerschaft mit Kanon? Und gibt es schon Reaktionen aus dem Buchhandel? Wir haben den Verlegern Fragen gestellt, die sie schriftlich beantwortet haben.

Dory Manor und Moshe Sakal

Dory Manor (links) und Moshe Sakal (rechts) 

In drei Sätzen: Warum haben Sie den Verlag Altneuland gegründet?

Wir haben Altneuland gegründet, um hebräische Literatur ins Zentrum des internationalen literarischen Diskurses zu bringen. Als erster hebräischsprachiger Verag außerhalb Israels seit den 1940er Jahren wollten wir neu denken, wie das hebräische Verlagswesen in einer diasporischen, mehrsprachigen und globalisierten Welt aussehen kann. Trotz Deutschlands intensiver Auseinandersetzung mit Literatur und jüdischer Geschichte ist zeitgenössisches hebräisches Schreiben hier auffallend unterrepräsentiert – das wollen wir ändern.

Warum haben Sie den Namen Altneuland gewählt, den Titel von Theodor Herzls Roman von aus dem Jahr 1902?

Wir wählten Altneuland, weil der Name sowohl Erinnerung als auch Erneuerung evoziert. Herzl dachte an eine territoriale Utopie – wir denken an eine kulturelle: Unser Altneuland ist die hebräische Sprache selbst. Für uns ist Hebräisch ein Ort der Offenheit, Pluralität und Imagination – nicht des Nationalismus. Auch unser visuelles Erscheinungsbild spiegelt diese Vision wider: Unser Logo kombiniert den lateinischen Buchstaben A mit dem hebräischen Buchstaben א – dem ersten Buchstaben des hebräischen Alphabets – eine symbolische Verschmelzung, die unser Bekenntnis zum Brückenbau zwischen Kulturen, Schriften und Welten ausdrückt.

Wofür steht das Programm?

Altneuland veröffentlicht unverwechselbare, nachdenkliche und emotional vielschichtige Literatur – vornehmlich Romane und erzählendes Sachbuch – von Schriftsteller:innen aus Israel ebenso wie aus der hebräischsprachigen Diaspora in Berlin, New York, Paris und anderswo.

Unser Programm vereint Stimmen und Lebensgeschichten, geprägt von Mutterschaft, Migration, Erinnerung, künstlicher Intelligenz, Adoption, ökologischer Krise, queerer Liebe und mehr. Wir erweitern bewusst das Bild hebräischer Literatur über die engen, in Deutschland oft erwarteten Themen – Krieg, Armee, Mossad oder Holocaust – hinaus und bieten eine literarische Landschaft, die zeitgenössischer, dringender, weiter gefächert und künstlerisch kühn ist.

Hebräische Literatur bietet erzählerischen Reichtum, der einzigartig ist. Sie ist polyphon – ein Chorgesang aus Stimmen und Identitäten: israelisch und palästinensisch, mizrachisch und aschkenasisch, religiös und säkular, queer und hetero, aus Tel Aviv, Berlin, Brooklyn und anderswo. Diese Stimmen vereinen sich nicht in einer Perspektive, sondern existieren in Spannung, Harmonie und Widerspruch.

Altneuland arbeitet in Deutschland mit dem Kanon Verlag zusammen. Wie funktioniert die Partnerschaft?

Altneuland arbeitet in drei Sprachen – Hebräisch, Deutsch und Englisch – und wählt für jedes Buch die passende Sprach- und Partnerschaftskombination. Im Hebräischen veröffentlichen wir als unabhängiger literarischer Verlag, sowohl neue als auch etablierte Autor:innen, in Deutschland und den USA verfolgen wir folgendes Modell: Wir erwerben Rechte, entwickeln und redigieren die Bücher vollständig auf Hebräisch, wählen und finanzieren die Übersetzer:innen, und arbeiten dann mit Verlagspartnern – etwa Kanon in Deutschland – zusammen, um die Bücher in ihren Märkten zu produzieren, zu veröffentlichen und zu promoten.

 

Übersetzung und Lektorat liegt also bei Ihnen.

Ja. Wir freuen uns, mit versierten und sensiblen Hebräisch-Deutsch-Übersetzer:innen zu arbeiten, darunter Lucia Engelbrecht, Ulrike Harnisch und Markus Lemke. Dadurch bleiben wir voll involviert und nutzen zugleich das Know-how und Netzwerk unserer Partnerschaften. Wir finanzieren und betreuen die Übersetzungen aktiv selbst – arbeiten oft eng mit Übersetzer:innen und Lektor:innen zusammen, um die Bücher für den internationalen Markt zu formen. Wir exportieren Bücher nicht bloß – wir gebären und begleiten sie.

Wann erscheinen die ersten deutschsprachigen Titel?

Im Herbst 2025 mit "Wir waren die Zukunft" von Yael Neeman, ein modernes hebräisches Kulturgut und Memoir des Aufwachsens in einem kollektivistischen Kibbuz – intim und still, ein verlorenes utopisches Reich. In Israel und Frankreich weit anerkannt, erschien das Buch noch nie auf Deutsch, obwohl es in hervorragender Resonanz zur deutschen Erfahrung ideologischer Gemeinschaften steht – man könnte es "Entstehung und Niedergang der israelischen DDR" nennen. Der zweite Titel ist "Nach dem Krieg, Vor dem Krieg", ein bewegendes illustriertes Memoir des Historikers Hillel Cohen und der Künstlerin Yana Bukler, das eine persönliche Reise durch das emotionale Geflecht des Westjordanlandes zeichnet – eine Art Huckleberry Finn im Westjordanland. Beide Bücher repräsentieren unsere kuratorische Vision: mutige, nachhallende hebräische Literatur, die deutsche Leser:innen neu entdecken können.

Glauben Sie, dass es israelische Autorinnen und Autoren besonders schwer haben, ein internationales Publikum zu finden?

Ja – und die Schwierigkeit ist in Deutschland besonders groß. Seit Jahren wird hebräische Literatur hier eng über Themen wie Holocaust, Armee oder Konflikt gerahmt. Bücher, die diesen Erwartungen nicht entsprechen – so brillant sie auch sein mögen – werden oft übergangen. Hinzu kommt das Gefühl, dass das "goldene Zeitalter" der hebräischen Literatur bereits vorbei sei – mit Schriftstellern wie Amos Oz, A. B. Yehoshua und später David Grossman, die immer noch das internationale Bild dominieren. Zwar haben einige wenige neue Stimmen durchbrechen können, viele frischere Stimmen wurden allerdings übersehen. Wir wollen das ändern.

 

 Welche Rolle spielt der Kanon Verlag für Altneuland?

Der Kanon Verlag ist ein zentraler strategischer Partner für unsere Arbeit in der deutschsprachigen Welt. Wir arbeiten eng zusammen mit Gunnar Cynybulk, einem der visionärsten Literaturverleger Deutschlands, und der Lektorin Lotti Mischke in den Bereichen Co‑Publishing, Vertrieb und inhaltliche Weiterentwicklung – unsere gemeinsam veröffentlichten Bücher tragen sowohl das Altneuland- als auch das Kanon-Logo.

Gemeinsam planen wir, in den kommenden zwei Jahren etwa zehn Titel zu veröffentlichen – eine mutige und sorgsam kuratierte Liste, die sowohl die Vielfalt zeitgenössischer hebräischer Literatur als auch die Tiefe der Lücke, die wir schließen wollen, widerspiegelt. Anstatt den Markt zu überfluten, geben wir herausragenden Büchern endlich den Raum, den sie verdienen – Werken, die über Kulturen, Genres und Generationen hinweg sprechen. So wird Altneuland zur zentralen Instanz im Prozess, hebräische Literatur heute in Deutschland zu verankern, und zu einer entscheidenden Kraft, um deren lange bestehende Unterrepräsentation auf dem deutschen Buchmarkt zu korrigieren.

Altneuland bleibt eine mehrsprachige und international ausgerichtete Initiative. Wir sind offen für projektbasierte Partnerschaften mit Verlagen und Institutionen, deren Werte und redaktionelle Visionen mit unseren übereinstimmen. Neben Hebräisch und Deutsch umfasst unser Programm auch englischsprachige Ausgaben für ein globales Publikum. Darüber hinaus verkaufen wir Lizenzen für unsere Bücher und stehen im Austausch mit führenden Verlagen in weiteren Weltmärkten – künftig sollen auch weitere Sprachen dazukommen. Unser Ziel ist es, herausragenden Büchern den nötigen Raum und Sichtbarkeit zu verschaffen.

Gibt es schon erste Reaktionen aus dem Buchhandel?

Wir sind ermutigt von den ersten Reaktionen – nicht nur von den "üblichen Verdächtigen" (Leser:innen oder Buchhändler:innen mit Interesse an jüdischen oder israelbezogenen Themen), sondern auch von Bücherspezialist:innen mit keinerlei direktem Bezug zur hebräischen Literatur. Es wird deutlich, dass eine neue Unterscheidung beginnt – zwischen Israel, Judentum und der hebräischen Sprache –, die früher oft verschwamm.