Nachruf auf Helmut Richter

"Verschmitztheit und ein großer Gerechtigkeitswille"

21. Oktober 2025
Redaktion Börsenblatt

Helmut Richter, langjähriger Geschäftsführer der Auslieferung sova, ist am 6. Oktober nach schwerer Krankheit gestorben. An ihn erinnert Hanna Mittelstädt, Mitbegründerin der Edition Nautilus.

Porträt von Helmut Richter in rotem Pulli

Helmut Richter

Ich weiß nicht, was genau Helmut Richter in der Studentenbewegung Frankfurts gemacht hat. Er war im Vorstand des SDS und dort für die Finanzen zuständig. Er hat in Frankfurt Volkswirtschaft studiert und abgeschlossen. 1965 war er Mitgründer des Verlags Neue Kritik, und ab 1971 Mitinhaber der Frankfurter Karl Marx Buchhandlung. In einem Interview mit ihm von 1996 erfährt man Interessantes und Zeittypisches: 

"Fräulein Barbara Brinkmann, Lektorin, und Herr Joseph Fischer, Lektor, dem Notar von Person bekannt", die Treuhänder der Neuen Kritik, wollten nun eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung gründen, die Karl Marx Buchhandlung. "Gegenstand des Unternehmens ist der Handel mit Büchern und sonstigen Druckerzeugnissen, insbesondere der Werke von Karl Marx und der an dessen Theorie orientierten modernen sozialwissenschaftlichen Literatur", so die offizielle Gründungserklärung. Laut Helmut Richter bestand "das Kapital der Firma Karl Marx aus Büchern der Neuen Kritik, die teils verkäuflich waren, teils auch nicht". Sie blieben als Stammkapital im Keller liegen.

In der Unterlindau, beim Black Panther-Solidaritätskomitee, war noch Platz frei für einen Laden, da wurde angefangen, aber bald in die Jordanstraße gezogen, eine strategisch günstigere Lage, denn hier mussten die Studenten aus Bockenheim zur Uni vorbeilaufen. Und es gab dort die einzige Espressomaschine weit und breit.

Helmut Richter war immer wieder im Einsatz für den Aufbau und gegen den des öfteren drohenden ökonomischen Niedergang der in der Folge der Studentenbewegung gegründeten Infrastruktur für die Produktion, den Vertrieb und Verkauf der aufklärerischen Literatur, übrigens weit über Frankfurt hinaus. Als "die Karl Marx" ins Trudeln kam, "haben wir zwei professionelle Buchhändler eingestellt. Die hatten in Utrecht gearbeitet und da wurden sie abgeworben und in die Karl Marx gesetzt. Da wurde die Karl Marx eine Zeit lang ein geregelter Laden mit festen Angestellten", so Helmut Richter im Interview.

Es kam auch Dany Cohn-Bendit vorbei, aus dem Kinderladen, "hat sich hinten auf die Bank gelegt und gepennt. Und irgendwann hat er gesagt, er habe jetzt keine Lust mehr mit Kindern zu arbeiten: zuviel Geschrei." So wurde er in der Buchhandlung aufgenommen.

Joschka Fischer kam mit seiner Hündin, hat Espresso getrunken und nie bezahlt. "Bücher hat er sich immer zurücklegen lassen, und dann kam er und tauschte sie gegen irgendein altes um", lese ich im Interview.

Dann kam die Null-Bock-Fraktion, die keine Lust mehr hatte, die Kaffeetassen zu spülen, und die Cafeteria ganz zugemacht hat. "Die Unlustigen wollten damals den Laden verkaufen, aber ich konnte ihnen klarmachen, dass das nicht ging, denn der Laden gehörte der Bewegung." Zwei Buchhändlerinnen haben die Buchhandlung übernommen. "Und ich hab ihnen die Schulden genannt und ihnen vorgerechnet, dass man die in zwei bis drei Jahren wegschaffen kann. Und darauf haben sie sich eingelassen. Und das haben sie auch geschafft." Helmut Richter in seiner idealen Funktion.

1971 wurde die sova gegründet, die Sozialistische Verlagsauslieferung. Mit der sova und über sie hinaus engagierte sich Helmut Richter in allen Bereichen des linken Buchhandels (insbesondere im VLB, dem Verband des linken Buchhandels, der formalisierten solidarischen Austausch- und Diskussionsplattform aller am linken Buchhandel Beteiligten), bei der Gründung von Buchläden usw.

Was ich weiß, ist: Helmut leitete die sova auf informelle Weise und bestimmte definitiv ihre ökonomische und technische Struktur. Er sorgte dafür, dass wir Verlage, deren ökonomisches Grundwissen oft genug mangelhaft war, immer unser Geld auf dem Konto hatten, und zwar genau am Termin. Die sova war kollektiv organisiert, schloss persönliche Bereicherung aus und zahlte allen Mitarbeitern einen Einheitslohn: "Erklärtes Ziel der Studentenbewegung war die Abschaffung des Kapitalismus. Deshalb wurde in der sova keine Macht des Eigentums über die Angestellten zugelassen. Und es gab keine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und keine formelle Hierarchie" (aus der Selbstdarstellung).

Die Geduld mit uns Verlagen, dieser voraussetzungslose Respekt vor Projekten, die nicht immer dem Geschmack eines ehemaligen "Kassierers des SDS" (wie er bei uns genannt wurde), entsprachen, seine etwas unbeholfene Verschmitztheit und ein großer Gerechtigkeitswille haben Helmut liebenswert und auf eine Art unentbehrlich gemacht. Die Schattenseite dieser Unentbehrlichkeit war die Unbeweglichkeit in Bezug auf die Umgestaltung des Unternehmens sova, ihre Modernisierung und Übergabe an die nächste Generation. So musste dieses historische Projekt Ende 2022 Insolvenz anmelden.

Ich glaube aber, ich sage nicht zu viel, wenn ich im Namen aller ausgelieferten Verlage nachträglich den Dank ausspreche für die Zuverlässigkeit, für alle Krisengespräche und die versuchten kollektiven Strukturen. Wir haben es gebraucht und wir haben es geliebt.

Hanna Mittelstädt

(1973 Mitgründerin der Edition Nautilus, 1979 bei der sova aufgenommen. Letzte Veröffentlichungen: "Arbeitet nie. Die Erfindung eines anderen Lebens", Edition Nautilus, und "Blu – Lovestory", Konkursbuch Verlag)

Quelle: http://www.karl-marx-buchhandlung.de/festschriftauszug.pdf