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Soziale Chefs

15. Oktober 2020
von Marcus Schuster

Bernd Kundrun engagiert sich nach einer erfolgreichen Karriere im Vorstand von Bertelsmann heute für die Spendenplattform betterplace.org. Im Interview erklärt er, warum Arbeitgeber soziale Vorbilder sein sollten.
 

Mit dem Ende Ihrer Zeit als Vorstandsvorsitzender von Gruner + Jahr (2000 bis 2009) verschwanden Sie komplett von der Bildfläche, mit gerade mal 51 Jahren. Warum?
Nach elf Jahren im Vorstand von Gruner + Jahr, davon achteinhalb als Vorsitzender, habe ich mich gefragt: Was ist mein weiterer Lebensplan? Ein Buch mit vielen Wiederholungskapiteln? Oder fange ich an, ein völlig neues Kapitel aufzuschlagen? Ich hatte den Wunsch, mich neu zu erfinden – und zwar ganz bewusst nicht kommerziell.

Sie haben eine Million Euro aus Ihrem Privatvermögen in die Spendenplattform betterplace.org investiert. Reiner Altruismus oder die Vision eines lohnenden Geschäftsmodells?
Neben diesem Geld habe ich vor allem viel Zeit und Herzblut investiert. Das Konzept von betterplace.org war und ist, viele kleine Hilfsprojekte zu unterstützen, indem man ihre Kommunikation verbessert – eine Art »Facebook des Guten«. Trotzdem standen wir in der Vergangenheit bereits mehrere Male kurz vor dem Exitus. Mittlerweile sind wir über den Berg, aktuell werden auf dem Portal mehr als 30 000 Projekte vorgestellt. Und wir verdienen, obwohl gemeinnützig, sogar Geld. 

Bei Unternehmern wie Dietmar Hopp und Bill Gates ist soziales Engagement eine Gratwanderung. Warum?
Wenn es um ganz große Vermögen geht und die Akzente, die damit gesetzt werden, stößt das oft auf Kritik. Nach dem Motto: Wieso kann dieser Mensch bestimmen, wer das Geld bekommt? Müsste das nicht demokratisch über den Staat laufen? Ich sage: Nein. Und finde es wichtig, dass diese Unternehmer sich nicht beirren lassen.

Also lieber weniger darüber reden?
Man muss aufpassen, dass es – gerade in unserer heutigen Zeit – nicht zu einem Eitelkeitswettrennen wird. Andererseits kommt man ohne Vorbilder und Geschichten nicht aus, wenn man Nachahmer finden will.

Inwieweit sind Chefs, die etwas abgeben, Vorbild für ihre Mitarbeiter?
Es ist erwiesen, dass sich Menschen eher engagieren, wenn sie von ihrem Arbeitgeber dazu motiviert werden. Chefs haben da eine gute Position, wenn sie sich nicht nur für Leistungssteigerung im Geschäft, sondern auch für zwischenmenschliche Faktoren einsetzen. In meiner Zeit als CEO von Gruner + Jahr haben wir das Programm »Commitment« ins Leben gerufen: Kollegen konnten ein Hilfsprojekt vorschlagen, das ihnen am Herzen lag. Wenn es ausgewählt wurde, hat der Konzern nicht nur das von ihnen investierte Geld verdoppelt, sondern auch die Zeit als Freizeit ersetzt, damit sich die Mitarbeiter weiter einbringen konnten. Neulich habe ich gehört, dass es »Commitment« bei Gruner + Jahr bis heute gibt. 

Bernd Kundrun

Von 2000 bis 2009 war der promovierte Betriebswirt Vorstandsvorsitzender der Gruner + Jahr AG und zugleich Bertelsmann-Vorstand. Mitte der 1980er Jahre hatte er seine berufliche Laufbahn beim Bertelsmann Club begonnen.