Börsenblatt Young Excellence Award 2022

Anne Friebel: Ganz viel Gründerinnengeist

7. Juni 2022
von Christina Busse

Immer nur auf den Chef hören? Für Anne Friebel kam das nicht in Frage. Sie hat mit Palomaa Publishing nicht nur ihren eigenen Verlag gegründet, sondern auch gleich noch ein ganzes Netzwerk für Verlegerinnen. Sie ist beim #yeaward nominiert.

Anne Friebel im T-Shirt vor einem Bücherregal mit den Verlagstiteln

Taff: Gründerin Anne Friebel bekommt Verlag, Netzwerk und Familie unter einen Hut

Feuertaufe und Beginnerinnengeist

„Warte nicht, bis Du vermeintlich perfekt vorbereitet bist“, lautet der Rat von Anne Friebel an alle, die etwas Neues starten wollen, „denn das wirst Du nie sein.“ Die 36-jährige Leipzigerin hat selbst den Sprung ins kalte Wasser gewagt und im März 2020 den Verlag Palomaa Publishing ins Leben gerufen. Ihre Mission: „Frauen sichtbar machen.“ Das Eintauchen die Bücherbranche brachte viel bis dahin Unbekanntes mit sich, hatte aber auch eine deutlich erfrischende Wirkung: Die Ideen sprudeln, jeden Tag kann sie ihren Erfahrungsschatz bereichern und vor allem eigene Projekte zusammen mit spannenden, inspirierenden Leuten umsetzen.

„Alles ist möglich. Man kann sich in fast alles reinarbeiten. Den eigenen Möglichkeiten sind kaum Grenzen gesetzt“, meint Friebel. Voraussetzung: Bereit sein, noch einmal von vorne anzufangen und viel Neues zu lernen. „Ich hatte bis 2020 noch nie ein Buch verlegt und habe mir vier Monate Zeit genommen, um Bücher und Websites zu wälzen, mich weiterzubilden, in Branchenmagazine einzulesen, Kontakt zu anderen jungen Verlegerinnen aufzunehmen und Druckereien zu sondieren“, zählt sie auf. Gestartet ist sie „mit einem kleinen Projekt, mit einer low hangig fruit“, wie sie selbst sagt. „Ich habe mein erstes Buch mit Rosa Koppelmann gemacht, einer Bekannten, die ich schon aus früheren Projekten kannte. Mit ihr konnte ich direkt unkompliziert loslegen, wir haben uns auf Anhieb verstanden. Mit dem Buch „Vertrauen nach Fehlgeburt” habe ich natürlich sehr viel gelernt, einfach weil es meine Feuertaufe als Verlegerin war und ein ganz wichtiger Grundstein meiner heutigen Arbeit.“

Arbeitskultur: lieber geradeaus

Mit dem Thema „Selbstständigkeit“ kannte sich Anne Friebel allerdings schon vorher aus und brachte auch darüber hinaus eine breite Basis mit: Studiert hat sie Wirtschaftsfrankoromanistik an der Westsächsischen Hochschule in Zwickau, mit Schwerpunkten Internationale Unternehmensführung, Controlling und Marketing, inklusive eines Semesters an einer Pariser Uni und eines Praktikums in London. „Mein Ziel war, für französische Unternehmen zu arbeiten. Doch ich habe gemerkt, dass mir die dortige Arbeitskultur nicht so liegt, es läuft viel über indirekte Kommunikation. Ich bin dagegen sehr direkt und schnörkellos.“ Gradlinig durchlief sie von 2008 an verschiedene berufliche Stationen, war mehrere Jahre als Unternehmensberaterin bei der Noheto! Gesellschaft für strategisches Kundenmanagement in Berlin tätig, hat dann vier Jahre lang im Springer Medizin Verlag als Projektmanagerin unter anderem digitale Geschäftsmodelle entwickelt und vermarktet.

Ihr Fazit nach weiteren Stationen in der Marketingleitung: „Ich habe ausprobiert, wie es ist, angestellt zu arbeiten. Dabei habe ich für mich herausgefunden: Ich möchte nicht, dass alte weiße Männer mir sagen, was ich zu tun habe.“

Das Wunderbare an meiner Arbeit als Verlegerin ist ganz klar die Verbindung mit den vielen inspirierenden Frauen* um mich herum.

Feminismus und Verlagswesen

Im Sommer 2017 macht sie sich selbstständig, berät Firmen bei Produktlaunches und Kundensegmentierungen und gründet ihr erstes eigenes Unternehmen: The Shop She Loves ist ein „Onlineshop für nachhaltige Frauenprodukte“, darunter Periodenunterwäsche, Menstruationkappen und Pflegeöle. Und weil in ihr „schon immer ein feministisches Herz brennt“, wie sie betont, verfolgt sie ein weiteres Ziel: 2020 verkauft sie ihren Shop und geht, kurz vor dem Corona-Lockdown, unter die Verlegerinnen. Palomaa Publishing mit Fokus auf Sachbüchern und Ratgebern soll Autorinnen eine Bühne geben, die sich mit Themen wie Frauengesundheit, Gleichberechtigung, persönliche Weiterentwicklung oder Working Mums befassen. Daneben verlegt sie Kalender wie den „Proud Woman Calendar“ und Art Prints.

„Das Wunderbare an meiner Arbeit als Verlegerin ist ganz klar die Verbindung mit den vielen inspirierenden Frauen* um mich herum. Ich arbeite neben meinen Autorinnen* mit Kolleginnen* aus dem Buchsatz, der Grafik, der Pressearbeit, mit Fotografinnen*, Journalistinnen* und Projektmanagerinnen*. Ich liebe es auch einfach, immer wieder in neue Themen einzutauchen und mehr über die Perspektive anderer zu erfahren“, stellt Friebel fest. Ihre Titel – fünf sind im Programm, zwei Neuerscheinungen stehen im Herbst an, für 2023 sind vier neue Bücher geplant – lässt sie bei Books on Demand drucken. „BOD gehört zu den tollen digitalen Tools für Nicht-Spezialisten, genauso wie Mailchimp für Mailings und Canva zur Gestaltung von Vorschauen. So habe ich den Kopf für anderes frei – ich bin ja eine One-Woman-Show.“ Friebel macht vor allem Lektorat, Marketing und Kommunikation. Verkauft werden ihre Bücher überwiegend über die Verlagshomepage und weitere digitale Plattformen. „Besonders wenn Autorinnen* selbst eine starke Social Media-Präsenz haben, lenkt das die Aufmerksamkeit auf ihre Bücher“, so ihre Erfahrung. 2021 war Friebel erstmals auf der Frankfurter Buchmesse am Stand des Landes Sachsen dabei und erlebte mit Begeisterung eine offene, auf Austausch angelegte Atmosphäre unter Verlegerinnen. Dieses Jahr wird sie zusammen mit dem Münchner Verlag &Töchter einen eigenen Messestand bespielen. 

The Female Publisher: Unter Gleichgesinnten

Von der positiven Erfahrung beflügelt, hat Friebel im Februar dieses Jahres das Netzwerk The Female Publisher gegründet. Das Ziel: Frauen in der Verlagsbranche sichtbar machen und sich gegenseitig stärken, Wissen teilen und sich auf Augenhöhe austauschen, gemeinsame Aktionen und Kooperationen ins Leben rufen. Dass binnen kurzer Zeit die Schwelle von hundert Mitgliedern geknackt wurde, beweist: Der Bedarf ist da.

Das richtige Gespür hatte Friebel auch mit ihrem eingangs erwähnten verlegerischen Debütwerk „Vertrauen nach Fehlgeburt”, das sich zu einem Longseller entwickelt hat und im April in einer überarbeiteten Neuauflage erschienen ist. „Aktuell steht es auf Platz 3 der Neuerscheinungen in der Sparte „Tod und Trauer“ bei Amazon“, berichtet Friebel nicht ohne Stolz.

Ihr Know how und ihre Erfahrung als Verlegerin will Friebel zukünftig verstärkt direkt an Autorinnen, die mit einem Buchprojekt schwanger gehen, weitergeben. Nach dem Titel „Von der Buchidee zum Verlag“ sind weitere Ratgeber im E-Book-Format geplant. Darüber hinaus bietet sie seit 2022 Marketing-Workshops und individuelle Beratung für Schreibende an. Sie selbst freut sich darauf, dass ihr bald eine angehende Literaturwissenschaftlerin und eine zukünftige Buch- und Verlagswissenschaftlerin bei Palomaa Publishing zur Seite stehen werden. Andernfalls könnte es knapp werden mit der selbstverordneten Arbeitszeit: Von acht Uhr morgen bis 14 Uhr, spätestens 15 Uhr, gilt ihre ganze Aufmerksamkeit dem Verlag. Die Zeit danach ist für die Familie – Mann, Sohn (8), Tochter (3) und Hund – reserviert.

Auf ein Wort:

Inspiration für Gründerinnen: „Dass einem fast alle Möglichkeiten offen stehen, habe ich im Buch „Everything is figureoutable!” von Marie Forleo gelernt. Es war für mich ein guter Einstieg in das richtige Mindset zum Gründen. Absolut empfehlenswert.“

La Paloma: „Ich habe den Namen Palomaa Publishing gewählt, da das Wort Paloma im Spanischen für die Taube und damit etwas Friedliches und Gutes steht - ganz meine Mission. Zudem gefiel mir der Vorname Paloma schon immer und mit dem doppelten A ist er für mich noch weiblicher* und einzigartiger.“

Frau* mit Sternchen: „Für unser Buch „Bis eine* weint! – ehrliche Interviews mit Müttern zu Gleichberechtigung, Care-Arbeit und Rollenbildern” haben wir uns extra eine Beratung geholt zum Thema inklusive, gendergerechte Sprache. Das hat dazu geführt, dass ich heute unterscheide zwischen dem Wort „Frauen“ ohne Genderstern, wenn entweder die stereotype weibliche Zuschreibung gemeint ist oder sich die erzählende Person selbst als weiblich gelesen definiert, und dem Wort „Frauen*“ mit Genderstern, wenn ich wirklich alle Formen des Frau*seins und des Weiblichen* ansprechen möchte. Ich weiß, das Thema ist sehr umstritten. Aber mir hat die Arbeit am Buch dabei geholfen, mir ein neues Bewusstsein zu schaffen und hier meinen eigenen Weg zu finden.“

Zur Person:

Anne Friebel, Jahrgang 1986, ist in der Nähe von Chemnitz großgeworden. Von 2004 bis 2009 studierte sie Wirtschaftsfrankoromanistik mit Schwerpunkt Internationale Unternehmensführung, Controlling und Marketing an der Westsächsischen Hochschule in Zwickau und an der Université René Descartes in Paris. Es folgten Stationen als Unternehmensberaterin und Projektmanagerin in verschiedenen Unternehmen, unter anderem im Springer Medizin Verlag in Berlin. 2017 machte sie sich mit einem „Onlineshop für nachhaltige Frauenprodukte“ selbstständig und war parallel dazu als freiberufliche Strategieberaterin, Marketing Managerin und Coach tätig. Im März 2020 gründete sie in Leipzig den Verlag Palomaa Publishing. Jüngst hat sie The Female Publisher – Netzwerk für Frauen in der Verlags- und Programmleitung ins Leben gerufen.