Martina Bergmann über das Ende der Buchhandlung als Stauraum

Drehdings mit Lesezeichen und 40 unbequeme Klappstühle

27. Februar 2018
von Börsenblatt
Viele Buchhandlungen sind Museen der alten Bundesrepublik, meint Martina Bergmann. Die Rollen in der Gesellschaft seien heute anders verteilt und die Rolle "emsige Person im Bucheinzelhandel" werde gerade nicht stark nachgefragt. Die Buchhändlerin und Verlegerin aus Borgholzhausen plädiert für eine Neuerfindung.

Facebook und das Börsenblatt zeigen Bilder von Buchhandlungsauflösungen. Es gibt Berichte und Interviews mit Kollegen, die sich beklagen, ihr Engagement werde nicht mehr gewürdigt und, schlimmer noch, der Buchhandel sei insgesamt im Untergang begriffen.


Die Buchhandlung als Stauraum

Aber das stimmt nicht. Nicht der Buchhandel endet, sondern eine bestimmte Ausprägung des Einzelhandels mit Lesewaren. Die Bilder zeigen nämlich fast durchgängig die Ladenbaugewohnheiten der 80er und frühen 90er: Dunkelbraune Platten, waldgrüne Teppichfliesen, manchmal helles Holz mit farbigen Beschlägen. Die Buchhandlung als Stauraum. Es gibt da Klappstühle für Lesungen, 40 von derselben Sorte (alle unbequem), Schütten mit reduzierter Ware, Tonpapier-Plakate, und irgendwo steht ein Drehdings mit Lesezeichen. Motive: Teddybären, Dinosaurier, Fohlen und Leuchttürme. Immer Leuchttürme.


Immer dabei: die Buchhandlung

Diese Buchhandlungen sind Museen der alten Bundesrepublik. Sie waren ein wichtiges Element des sorgfältig organisierten Literaturbetriebs. Es gab außerdem Büchereien mit enormen Beständen. Es gab zahlreiche Autorenlesungen auf Einladung des Bödecker-Kreises oder der Stadtverwaltung. Ich habe in der Schule fünfmal Jo Pestum und dreimal Klaus Kordon erlebt, Paul Maar hat mir ein Sams gemalt. Und immer dabei: die Buchhandlung. Unsere Buchhandlung, Leseinsel, Bücherstube. Mit der Adventsausstellung, dem Büchertisch, als Co-Veranstalter.


Es ist nicht mehr 1988

Es gab Kleinstadtöffentlichkeit nicht ohne den oder die Buchhändler/in, und ich habe mir auch wegen dieser schönen Erfahrung den Lehrberuf ausgesucht. Das alles vorneweg, um zu sagen: Ich hege Sympathie für diese Form des Buchhandels. Aber ich bin auch froh über sein Ende. Denn es ist nicht mehr 1988. Die Rollen in der Gesellschaft sind heute anders verteilt als vor 30 Jahren, und das Profil "emsige Person im Bucheinzelhandel" hat gerade keine Konjunktur.

Das liegt nicht an Amazon, das liegt an einer Gesellschaft, die Amazon praktisch findet. Man kann sich von diesem Wandel kränken lassen und daran verdrießen. Man kann mit Starrsinn reagieren und sagen: Ich habe doch seit zehn Jahren einen Online-Shop, aber die Kunden kapieren das nicht. Oder man schließt und postet Bilder von seinen Teppichfliesen. Das ist alles legitim, aber es ist auch unfair. Denn die klagenden Kollegen machen schlechte PR für alle, für die Branche insgesamt.

Der Handel ist flexibel

Bücher wurden gehandelt, seit es sie gibt. Das war sehr lange vor der Öffnung des ersten Bücherstübchens in einer westdeutschen Fußgängerzone. Der Handel mit Büchern hatte sich mit Zensur auseinanderzusetzen, mit politischen Systemen aller Art, mit Armut weiter Teile seiner potenziellen Kundschaft, mit der Abwesenheit von Ware. Der Handel mit Büchern war Selbstbedienung anfangs nicht gewohnt, er kannte auch bestimmte Kundenkreise nicht. Er hat aber, durch Einzelne und auch in Gruppen, Flexibilität bewiesen.

Viel stärker als Textilien oder Gartenmöbel spiegeln Bücher Veränderungen einer Gesellschaft. Linke Buchhandlungen sind entstanden, weil der konservative Handel manche Texte nicht vertreiben wollte. Kinder- und Frauenbuchläden griffen Emanzipationsbewegungen auf und taten das so gut, dass auch der herkömmliche Buchhandel sich ihnen öffnen konnte.


Das Ende der Stöberstübchen

Und heute? Ich meine, das Ende der Stöberstübchen ist die Kehrseite einer Banalisierung von Inhalten und Handelssituationen. Es ist alles so leicht zu haben, so einfach zu begreifen, dass Technologie genügt, um Standardbedürfnisse zu erfüllen. Deswegen ist aber der kompetente Handel mit Büchern nicht irrelevant geworden. Er muss nur gerade wieder neu erfunden werden. Das ist seit Gutenberg schon häufiger geglückt.