Presseschau

Familienliteratur, Ulrich Plenzdorf

10. August 2007
Redaktion Börsenblatt
Eckhard Fuhr stellt in der "Welt" Autoren vor, die sich in ihren Büchern auf die Suche nach neuen Familienwerten machen. Ebenfalls Thema: Ulrich Plenzdorf.
"Trilogie der Lebenskunst" - die "WELT" über neue Bücher von Eberhard Rathgeb, Christine Eichel und Klara Obermüller: In Eberhard Rathgebs Buch "Schwieriges Glück. Versuch über die Vaterliebe" (Hanser, 14,90 Euro) ist Hauptmanns Bahnwärter-Novelle eine Art literarischer Generalbass. Rathgeb, Feuilleton-Redakteur der FAZ, verbringt viel Zeit in Zügen. Wahrscheinlich ist sein Buch größtenteils dort entstanden. Er lebt mit seiner Familie, zu der auch eine leibliche Tochter gehört, in einem abgelegenen norddeutschen Dorf, weil er "die Städte und deren Zumutungen für das Gemüt meiner Tochter floh". Der Rückzug in ein "mit Zuversicht erfüllendes Zuhause" hat allerdings die Qual immer neuer Trennungen zur Folge. Der Vater muss am Montagfrüh durch den dunklen Wald laufen zu einer einsamen Bahnstation, von wo ein Zug ihn in seine städtische Arbeitswelt bringt, aus der er am Wochenende wieder heimkehrt zur Tochter. ... Rathgeb gehört zu den Vorreitern einer neuen Familienliteratur, die den Verfall von traditionellen Familienstrukturen nicht einfach beklagt oder ihn als Voraussetzung für den Aufbruch in ein Reich individueller Freiheit feiert. ... Christine Eichel, auch sie Kulturjournalistin, hat über diese "Liebespflicht" (Pendo, 18,00 Euro) ein bewegendes, sehr persönliches Buch geschrieben. Ausgangspunkt ist die Alzheimer-Diagnose bei ihrem Vater, ist ein Telefonat, bei dem dieser Vater, eine beeindruckende Pastoren-Gestalt, in perfekten Formulierungen Unsinn redet. In diesem Moment ist Christine Eichels Kindheit vorbei. Für Kindheit hat sie eine einfache Definition: Es ist die Zeit, in der sich die Eltern mehr Sorgen um die Kinder machen als umgekehrt. Die Kindheit kann also lange dauern. Eigentlich endet sie erst, wenn der Tod bei den Eltern schon angeklopft hat.Christine Eichel hat sich im Bekanntenkreis umgehört und Familiengeschichten erzählen lassen. Oft sind es Geschichten von heilloser (Selbst-)Überforderung und Verzweiflung, oft aber auch von neuer Selbstfindung. Ihr Buch ist der Ratgeber-Literatur ein wenig näher als das Rathgebs. Doch liegt auch seine Stärke im Literarischen und wieder in der Vernüpfung von Realismus und Romantik. Das Siechtum der Eltern lässt den Erinnerungsbrunnen sprudeln. Darin liegt der einzige Sinn dieser Erfahrung. ... Seit vielen Jahren beschäftigt sich die Schweizer Literaturkritikerin Klara Obermüller mit Sterben und Tod. Diese ständige Auseinandersetzung begann, als ihr Mann, der Schriftsteller Walther Mattias Diggelmann, vor fast dreißig Jahren dem Krebs erlag. Damals war die Entscheidung, das Sterben nicht der Apparate-Medizin zu überantworten, ungewöhnlich. Gleichzeitig konnte man in ländlichen Regionen allerdings noch die Erfahrung gewachsener Traditionen und Rituale im Umgang mit dem Tod machen. Seither hat sich manches verändert. Die Sicherheit gebenden Selbstverständlichkeiten sind weitgehend verschwunden, andererseits ist das Bedürfnis, für das Lebensende und den Tod kulturelle Muster zu finden, stark gewachsen. In "Weder Tag noch Stunde" (Huber Frauenfeld, 19,90 Euro) sind Aufsätze und Vorträge Klara Obermüllers zu diesem Thema versammelt. "Wenn ein Mensch lebt" - Harry Nutt in der "Frankfurter Rundschau" zum Tod des Schriftstellers Ulrich Plenzdorf: "Jeans sind eine Einstellung und keine Hose!" Nie zuvor war der Fetischcharakter eines profanen Textils in der DDR-Literatur derart enthusiastisch gefeiert worden, und wahrscheinlich war es diese gefühlte subversive Umkehrung marxistisch-leninistischer Kernsätze, die Ulrich Plenzdorfs "Die neuen Leiden des jungen W." schnell zu einem Text mit Kultpotenzial machten. Schon das Stück, das am 18. Mai 1972 in Halle (Saale) Premiere hatte, wurde ein Sensationserfolg, dessen Eindruck durch die kurz darauf folgende Romanfassung noch bekräftigt wurde. Es gibt eine junge DDR jenseits der Karl-Marx-Allee und aller abzweigenden Bitterfelder Wege. ... Nach Abbruch des Studiums arbeitete Plenzdorf als Bühnenarbeiter bei der DEFA und verdingte sich in Babelsberg als Kulissenschieber. Die durch Praxis erprobte Nähe zum Film wirkte sich später immer wieder auch auf seine literarischen Arbeiten aus. Bei seinem zweiten Publikumserfolg ging der Film einem später die Filmstory fortsetzenden Roman ("Legende vom Glück ohne Ende") voraus. In der Regie von Heiner Carow wird "Die Legende von Paul und Paula" zum romantisch-realistischen Gefühlsdrama, in dem die Helden auch an der Enge der gesellschaftlichen Konventionen scheitern. Winfried Glatzeder und Angelica Domröse sind Paul und Paula, die im selben Haus leben, aber auf Grund anderer Beziehungsverhältnisse nicht zueinander kommen können.