Vor einem knappen Jahr führte ich mit Roland Quos aus dienstlichem Anlass ein Telefonat, das wie eigentlich öfter bei uns in ein längeres Gespräch über alltägliche und grundsätzliche Angelegenheiten mündete. Dabei erkundigte ich mich auch nach dem Befinden einer Cottbuser Buchhändlerin, die kurz zuvor ihren Laden aus wirtschaftlichen Gründen hatte schließen müssen. »Ich habe die Kollegin eingestellt«, antwortete er knapp und ohne Samariter-Allüren. Jetzt, im Nachhinein, empfinde ich diese Antwort (vor allem aber die Tatsache an sich) als typisch für die Haltung von Roland Quos. Denn neben der erfolgreichen Weiterentwicklung und ökonomischen Justierung der von ihm geleiteten Heron-Buchhandlungen war ihm das Wohl seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Sicherung ihrer Arbeitsplätze stets ein großes Anliegen. Diese fürsorgliche Haltung, die er den Zwängen eines immer stärker werdenden Konkurrenzdrucks in der Cottbuser Buchhandelslandschaft nie zu opfern bereit war, erstreckte sich im Rahmen seiner Möglichkeiten eben auch auf die ehemaligen Kolleginnen und Kollegen, denen er in der Nachwendezeit als Geschäftsführer der Lectio-GmbH den Weg in die Selbständigkeit geebnet hatte.
Roland Quos wurde am 2. Oktober 1943 in dem westpolnischen Städtchen Haasel im Kreis Sorau geboren und ließ sich in der DDR als Diplom-Wirtschaftler und Buchhändler ausbilden. In den Jahren vor der Wende arbeitete er als kaufmännischer Leiter des Volksbuchhandels im Bezirk Cottbus. Sein (vorsichtig formuliert) distanziertes Verhältnis zum DDR-Regime verhinderte zwar eine Berufung zum Bezirksdirektor, aber die Kolleginnen und Kollegen, die ihn noch aus dieser Zeit kennen, versichern, dass Roland Quos neben den ökonomischen auch die buchhändlerischen Fäden in den Händen gehalten hat. Wer ihn wie ich erst später kennengelernt hat, wird dies unbesehen glauben.
Nach der Wende wurden die 39 Buchhandlungen des Bezirks in die Lectio-GmbH überführt und Roland Quos zu ihrem Geschäftsführer bestellt. Ihm oblag somit die schwierige Aufgabe, die Buchhandlungen zu privatisieren, und er meisterte diese Herausforderung mit sicherer Hand. Er bot die »Tankstellen des Geistes«, so hat Quos seine Buchhandlungen einmal in Anspielung auf ein Zitat von Helmut Schmidt genannt, den bisherigen Leiterinnen und Leitern an, um Ketten- oder gar Monopolbildungen zu verhindern. Dies gelang nicht in allen Fällen (manche Buchhandlungen mußten aus unterschiedlichsten Gründen geschlossen werden), aber in den meisten. Roland Quos das ist hervorzuheben hat sich übrigens selbst nicht (wie gewisse ehemalige Bezirksdirektoren) an dem Bieterverfahren beteiligt. Allein das Flaggschiff des Volksbuchhandels im Bezirk Cottbus, die Jenny-Marx-Buchhandlung in der Stadt Cottbus, erwies sich als schwierig an den Mann oder an die Frau zu bringen. Schließlich fand Roland Quos in dem Berliner Verleger Karl Blatz einen so solventen wie seriösen Käufer, dem es um Erhalt und Ausbau der Buchhandlung ging, und nicht um spekulativen Immobilienerwerb. (Auch diese Interessenslage gehörte in der bewegten Nachwendezeit eher zu den Ausnahmeerscheinungen.) Roland Quos, der eigentlich andere Pläne hatte, ließ sich von dem neuen Inhaber schließlich zur Übernahme der Geschäftsführung überreden. Und weder die alte Belegschaft noch der neue Inhaber haben diese Entscheidung jemals bereut im Gegenteil. Roland Quos, das war in vielen Gesprächen mit ihm jedenfalls mein Eindruck, auch nicht.
Eine schöne (und nicht unbedeutende) Auszeichnung bestätigte Roland Quos und seine Belegschaft übrigens auf dem eingeschlagenen Weg: Im März 2005 konnte er auf der Leipziger Buchmesse einen seit 2004 vergebenen Preis entgegennehmen. Eine hochrangig besetzte Jury der Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen kürte das Geschäft zur besten Kinderbuchhandlung des Landes Brandenburg. Bei aller Freude über die Auszeichnung wiegelte er der Lausitzer Rundschau gegenüber ab: »Wir haben es nicht gern, damit so sehr in die Öffentlichkeit zu gehen.«
Bei allen wirtschaftlichen Berg- und Talfahrten in den letzten 15 Jahren und seiner Verantwortung für das von ihm geleitete Unternehmen hat Roland Quos nie die weitere Entwicklung der damals von ihm privatisierten Buchhandlungen aus den Augen verloren, was das eingangs genannte Beispiel illustriert. Noch heute genießt Roland Quos deshalb bei den Buchhändlerinnen und Buchhändlern der Region hohes Ansehen. Und er blickte auch weit über den Tellerrand seiner Branche und seiner Region hinaus. Er bekleidete zahllose Ehrenämter in wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Institutionen, in denen er sich um die kulturelle, soziale und wirtschaftliche (in dieser Reihenfolge!) Entwicklung seiner zur Heimat gewordenen Region verdient gemacht hat. Überregional war er anderthalb Jahrzehnte in verschiendenen Gremien des Berlin-Brandenburgischen Börsenvereins tätig. Vor allem in den Jahren von 1989 bis 1992 war Roland Quos ein unverzichtbarer Berater, Ideengeber und Vermittler bei der Gründung des gemeinsamen Verbandes. Durch die ihm eigene, fast natürlich wirkende Kompetenz und eine bewundernswerte Leichtigkeit seines Handelns erwarb er wesentlichen Anteil daran, dass sich bereits Anfang 1992 im Börsenverein des Deutschen Buchhandels Berlin-Brandenburg als erstem Wirtschaftsverband in ganz Deutschland Unternehmen aus Ost und West zusammengeschlossen haben.
In dem schon erwähnten Telefongespräch kamen wir ich erinnere mich nicht mehr an den Grund auch auf die landläufige Meinung zu sprechen, wonach »jeder ersetzbar sei«. Ich habe dem sehr widersprochen und den gegenteiligen Standpunkt vertreten, dass nämlich niemand ersetzbar sei. Zwar würden immer wieder Personen an die Stelle anderer gesetzt werden müssen, von einem Ersatz kann aber schon deshalb nicht die Rede sein, weil jeder Mensch seine eigenen Erfahrungen, Ziele und Methoden mit- und einbringen wird. Und die unterscheiden sich naturgemäß immer von denen der Vorgänger, manchmal nur in Nuancen, manchmal auch fundamental. Das jedenfalls ist meine Überzeugung: Roland Quos ist nicht ersetzbar. Er ist und bleibt unersetzlich für die Heron-Buchhandlungen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und selbstverständlich für seine Angehörigen, deren Trauer wir nur ahnen können. Ihnen gilt unser tiefes Mitgefühl. Die Dichterin Mascha Kaléko hat dies einmal in dem Gedicht Memento mit ihren sehr eigenen Worten so ausgedrückt: »Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur, | Doch mit dem Tod der andern muß man leben.« Roland Quos ist für uns alle zu früh gestorben. Wir werden uns noch oft an ihn erinnern.