Was ist mit den alten, doch noch nicht ganz alten Autorinnen und Autoren in Deutschland, Österreich und der Schweiz? Wo sind sie geblieben? Kürzlich, als Hans Wollschläger gestorben war, konnte man noch ein, vermutlich letztes Mal allerorten von ihm hören, viele Feuilletons wussten allerdings nicht mehr zu berichten, als der fragwürdige Wikipedia-Eintrag hergibt. Auch andere sind aus dem öffentlichen Bewusstsein nahezu verschwunden. Hier seien beispielhaft Helga M. Novak, Elke Erb, Oswald Wiener, Hermann Peter Piwitt oder Gabriele Wohmann genannt, deren Werke einst allesamt bei großen Verlagshäusern verlegt wurden, und die nun in kleinen Verlagen Unterschlupf gefunden oder mehrere Verlagswechsel hinter sich haben. Zwar werden ihre Werke publiziert, doch finden sie in den Feuilletons immer seltener Erwähnung, werden die Verfasserinnen und Verfasser kaum noch zu Symposien und Lesungen eingeladen. Auf Literaturpreise sollten sie erst recht nicht hoffen.
Viele der Autoren, die nach der Generation Grass, Walser und Jens in die Feuilletons drängten und denen um und nach 1968 eine große Karriere vorausgesagt wurde, sind heute, mit 60 oder 70 Jahren, eher Randfiguren des Literaturbetriebs. Liegt es an den Werken? Waren die seinerzeit gelobten Romane oder Gedichte doch schlecht? Taugen die heutigen Bücher nichts mehr?
Nein, es liegt vor allem daran, dass diese Autoren, die, da sie in unruhigen Zeiten groß wurden, selbst für Bewegung sorgen und sorgten, heute nicht mehr jung sind. Sie sind ergraut, Falten prägen ihre Gesichter, ihre Stimmen sind rau oder werden immer leiser, sie rauchen vielleicht und sie finden nicht mehr alles amüsant. Sie sind nicht süß, ihre Fehler, Dummheiten und ihre Halsstarrigkeit kann man nicht mehr mit mangelnder Erfahrung entschuldigen. Zur Mahner- und Warnerrolle, die Walser, Grass oder Jens so perfekt ausfüllen, fehlt den Angehörigen der nachfolgenden Generation wiederum die Staats-, Partei- oder Moralgläubigkeit.
Diese Autoren egal ob sie aus Ost- oder Westdeutschland stammen haben es gelernt, die Dinge anzuzweifeln, sie haben negative und positive Erfahrungen mit Ideen wie Basisdemokratie, freier Liebe, Kollektivwirtschaft, Sprachskepsis, klandestinen Drucken oder Parteihierarchien gemacht. Politische, feministische, experimentelle oder sonst wie »sperrige« Dichtkunst ist jedoch nicht mehr gefragt. Und wenn, dann soll es wenigstens »neuer Feminismus«, »neue Politik«, »neue Skepsis« sein, egal, ob die früher behandelten Probleme gelöst sind oder nicht. Das ist das Gebot, dem sich die Verlage ebenso unterworfen haben wie die Redakteure im Kulturteil.
Dementsprechend werden neben steinalten Legenden nur junge Dichtende protegiert, werden Debütromane in Superlativen bejubelt und erste poetische Gehversuche mit Literaturpreisen für das Lebenswerk belohnt, während die Älteren vergessen bleiben. Denn lieber lässt man junge Schriftsteller die alten Fehler noch mal machen, als dass man die älteren Semester neue machen lässt, die diese ja nur machen können, da sie aus den alten gelernt haben. Mit neuen Fehlern tut sich der emsig um das Immergleiche kreisende Literaturbetrieb sehr schwer. Sie machen Arbeit.