Umfrage in Berlin und Sachsen-Anhalt

Wie läuft's in den Buchhandlungen, die noch geöffnet haben dürfen?

1. April 2020
von Börsenblatt
Reduzierte Öffnungszeiten, umfangreiche Schutzmaßnahmen, wenig Laufkundschaft - und viel Dankbarkeit von den Stammkunden. boersenblatt.net hat in Buchhhandlungen in Berlin und Sachsen-Anhalt nachgefragt, wie sie mit ihrem Privileg umgehen, als systemrelevante Einzelhändler ihren Laden offen halten zu dürfen.

Christiane Schröter, Georg Büchner Buchladen, Berlin

Wir sind überglücklich, dass wir in Berlin und Sachsen-Anhalt die Läden geöffnet haben dürfen! Wir verstehen das als absolutes Privileg vielen anderen Einzelhandelsläden gegenüber. Es beweist einmal mehr: Bücher sind Lebensmittel! 

Wir haben ganz normal geöffnet, unsere Kunden sind darüber auch mehr als glücklich. Jeder zweite äußert das verbal, heute gab es von einer Kundin sogar Blumen und letzte Woche Pralinen. 

Im Moment ist die halbe Besetzung an Kolleg:innen im Laden, weil wir uns gleichzeitig auf  eventuelle  Kurzarbeit einstellen und Überstunden abbauen. Um uns herum haben wir Absperrkegel aus dem Kinderzimmer aufgebaut, um die nötigen 1,50 Meter Abstand zu markieren. Das führt häufig zum Schmunzeln. Und zum Abstand sowieso. Ansonsten waschen wir uns häufig die Hände und haben ein erstaunliches Repertoire an Desinfektionsmitteln zusammengesammelt.

Um uns herum gibt es sehr viele Menschen mit Kindern, am Vormittag sitzen alle zu Hause und arbeiten und lösen Schulaufgaben, am Nachmittag merkt man richtig, wie alle froh sind, mal vor die Tür zu kommen. Und da kommen die Kunden häufig bei uns vorbei, viele sogar mehrmals in der Woche.

Außerdem beraten wir mehr am Telefon und unser Online-Shop wird auch verstärkt in Anspruch genommen. Dennoch: wir haben gleichzeitig auch genauso viel Laufkundschaft wie vorher, wenn nicht sogar mehr. Die Leute, die kommen, kaufen auch alle was, keiner geht nur mit einer Postkarte oder einem Pixi-Buch raus oder mit dem altbekannten Spruch „ich überlege mir das nochmal“.  Wenn uns der Senat nicht dazu zwingt, schließen wir auf gar keinen Fall!

Maria-Christina Piwowarski, Ocelot, Berlin 

Unseren Cafébereich im Eingangsbereich der Buchhandlung haben wir ersatzlos gestrichen - lange bevor die Schließung der Cafés angeordnet wurde. Wir haben die Tische genutzt und eine Art Absperrung gebaut, um die Kunden mit einem Schild darauf hinzuweisen, dass wir Mitarbeiter uns nun einzeln um sie kümmern, und so den Kundenverkehr im Laden minimieren können. Außerdem haben wir die Öffnungszeiten verringert auf 10-17 Uhr. 

Was die Mitarbeiter angeht, sind die Risikokandidaten natürlich zu Hause; der Laden ist mit einer personellen Notbrigade besetzt. Das geht durch die Einzelbetreuung der Kunden und die telefonische Kaufberatung sehr gut. Wir weisen die Kunden am Telefon schon daraufhin: Haltet die Zeit im Laden kurz, wir beraten euch am Telefon und legen euch eine Auswahl an die Theke.

Ich finde es gut, dass wir weiter gehöffnet haben dürfen. Es kommen Leute in den Laden, die verzweifelt auf der Suche nach Möglichkeiten sind, ihre Kinder zu beschäftigen. Und es kommen Leute, die kurz vorm Koller stehen. Wir fühlen uns auch in gesellschaftlicher Verantwortung, diese Kunden nicht Netflix zu überlassen. Ich fühle mich als Buchhändlerin den Apotheken näher als einem Klamottenladen. Natürlich gehen wir sehr verantwortlich mit dieser Position um und wir sind sehr dankbar.

Wanda Spangenberg, Bücherbogen am Savignyplatz, Berlin:  

Wir haben noch von 13 bis 18 Uhr geöffnet. Mittlerweile sehe ich die Öffnung der Berliner Buchländen auch kritisch und bin hin- und hergerissen: Der Laden kann auch zum Ort der Übertragung werden und ich setze meine Kollegen einem Risiko aus. Allerdings haben wir eine Tür als Eingang und eine als Ausgang umfunktioniert und achten auf Abstand und geringen Kontakt zwischen den Kunden. Wir achten beispielsweise darauf, dass sich maximal drei Kunden pro Raum aufhalten. Als große Fachbuchhandlung, die wenig Kinderbücher und keine Literatur hat, ist das ein bisschen einfacher, aber ich finde die Situation dennoch schwierig.

Bisher sind noch alle Mitarbeiterinnen im Laden. Aber ich verstehe jeden, der nicht kommen möchte - da finden wir Lösungen. Im Moment sind alle ausdrücklich dafür, dass wir weiter öffnen, obwohl ich schon vorgeschlagen habe, den Laden zu schließen. Alle Mitarbeiter tragen Handschuhe und einige auch Mundschutz. 

Unser Umsatz im Laden ist um etwa 90 Prozent eingebrochen. Die Bezirksbewohner sind eher alt, die Straßen sind leer, die Laufkundschaft fehlt. Wir versuchen mit witzigen Sprüchen auf uns aufmerksam zu machen und mitzuteilen, dass man alles und nicht nur Fachbücher bei uns bestellen kann. Wenn man sich jahrelang als Fachbuchhandlung positioniert, ist das natürlich nicht so einfach. 

Das Versandgeschäft hat allerdings stark zugenommen. Wir beraten unsere Kunden auch am Telefon und machen sie darauf aufmerksam, dass sie nicht in den Laden kommen müssen. Wir verschicken bundesweit und zweimal die Woche liefern wir innerhalb Berlins kostenlos mit dem Fahrrad oder Auto aus.  Wir versuchen uns nun auch an digitaler Buchberatung mit kurzen Video-Buchempfehlungen auf Facebook.

Julia Hacker, Hacker und Presting, Berlin: 

Wir haben kürzere Öffnungszeiten und achten darauf, dass nicht mehr als 3 Kunden im Laden sind. Und wir tragen alle einen Schal vor dem Mund, aber vielleicht kommt ja bald auch Mundschutzpflicht. Außerdem sind wir sehr flexibel und kassieren auch manchmal mit dem EC-Gerät vor der Tür. Mit Markierungen und Hinweisen achten wir auch total auf die 1,5- bis 2-Meter-Abstand-Regel.  

In unsere Buchhandlung kommen super viele Stammkunden, Laufkundschaft haben wir weniger. Manche Kunden muss man immer wieder auf die Regeln hinweisen. Man fühlt sich irgendwie zwischen Dienstleister und Dompteur...

Außerdem arbeiten wir am Ausbau des Versandgeschäfts – da kommen ganz schön viele Aufgaben auf uns zu, auch aus buchhalterischer Sicht. 

Ruth Klinkenberg, Marga Schoeller Bücherstube, Berlin: 

Wir haben unsere Öffnungszeiten reduziert. Eine ältere Mitarbeiterin arbeitet zur Zeit gar nicht, ein Kollege nur noch im Hintergrund, und auch ich, weil auch schon älter, habe meine Arbeitszeiten reduziert.

Ein wenig Laufkundschaft haben wir noch, es kommen aber eher Stammkunden in die Buchhandlung, weil doch erheblich weniger Menschen unterwegs sind. Telefonische Bestellungen, Bestellungen per E-Mail oder über unseren Webshop, nehmen ständig zu. Auch unser Postversand nimmt zu, andere Kunden in einem Radius von ca. 5 Kilometer beliefern wir mit dem Fahrrad.

Wir haben uns entschlossen, vorläufig unsere Buchhandlung, wenn auch zu reduzierten Zeiten, geöffnet zu halten. Ich habe großes Verständnis für Kollegen, die sich anders entschieden haben. Denn natürlich ist es, auch wenn wir desinfizieren und auf Abstände achten mit einem gewissen Risiko verbunden. Die Kunden sind allerdings außerordentlich dankbar, dass sie, falls sie es selbst möchten, noch zu uns kommen können, gerade auch Kunden, die Kinder haben. Sie sagen uns das auch immer wieder. Was mich sehr freut, ist die Tatsache, dass der Berliner Senat Buchhandlungen als notwendige Grundversorger eingestuft hat. Das ist es doch, was wir immer schon vermitteln wollten.

Sarah Pfeiffer, Buchhandlung Schönherr, Halberstadt: 

Wir haben die Öffnungszeiten minimiert, da der Kundenrückgang deutlich gesunken ist. Zudem haben wir einige Vorsichtsvorkehrungen getroffen, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren. Maximal zwei bis drei Kunden dürfen zur selben Zeit die Buchhandlung betreten, außerdem haben wir Schutzwände aus Plexiglas auf dem Verkaufstresen und vor den Computern aufgestellt.

Wir arbeiten im Ein-Personen- Schichten, um auch untereinander so wenig Kontakt wie möglich zu haben. Die Verunsicherung der Kunden ist spürbar - immer weniger Kunden besuchen den Laden, viele bestellen lieber telefonisch oder online. Die Kunden können sich aussuchen, ob sie ihre Bestellungen im Laden abholen, sie portofrei zugeschickt bekommen oder sie per Bringdienst direkt an die Tür geliefert bekommen. Ich sammle die Bestellungen, setze mich in mein kleines Auto und fahre die Kunden ab.

Im Moment sind vor allem Kinderbücher, Lernhilfen und Bastlelsachen für Kinder gefragt, außerdem Belletristik und Rätsel für Erwachsene. Viele Kunden betonen, dass sie etwas zum Abschalten suchen, etwas, das nicht mit Krankheit und Tot zu tun hat.

Mai, Buchhandlung Pfeifer, Quedlinburg: 

Wir haben unsere Öffnungszeit werktags um zwei Stunden und samstags um vier Stunden reduziert, da immer weniger Kunden das Geschäft aufsuchen. Da der Tourismus eingestellt wurde, fällt der Teil der Laufkundschaft weg, der vor allem um Ostern unser Geschäft deutlich belebt. Trotzdem wurden Vorsichtsmaßnahmen getroffen, zum Beispiel mit einem Informationsschild über Mindestabstand an der Ladentür. Außerdem desinfizieren die Kollegen Türklinken, Computer und Regale mehrfach am Tag.

Stammkunden besuchen weiterhin den Laden und alle, die sich unwohl bei dem Gedanken fühlen haben die Möglichkeit ihre Bestellung am Telefon aufzugeben oder online. Auf der Internetseite haben Kunden ebenfalls die Möglichkeit über die genialokal.de-Seite zu bestellen, sie können auswählen, ob die Bestellung portofrei per Post zugestellt werden soll oder zum Abholen in die Buchhandlung geliefert wird.

Gefragt sind momentan vor allem Beschäftigungsbücher für Schulkinder, Vorschulbücher, Lernhilfen und Lektürehilfen, um von zu Hause zu lernen. Erwachsene kaufen verstärkt Romane, sowohl im Taschenbuch- als auch im Hardcover-Format.

Raimund Müller, Jacobi & Müller, Halle: 

Ich werde die Buchhandlung, so lange es mir möglich ist, zu den üblichen Öffnungszeiten offen halten. Meinen Mitarbeitern habe ich freigestellt zu Hause zu bleiben. Als Vorsichtsmaßnahmen haben wir Desinfektionsspray und Handschuhe bereitgestellt; morgen erwarten wir eine Lieferung mit Mundschutzen, die die Kunden zusätzlich schützen sollen.

Trotzdem geht die Tendenz zu Bestellungen am Telefon und das nicht zu knapp. Die Kunden können sich entscheiden, ob sie ihre Bestellung in der Buchhandlung abholen, sie per Fahrradkurier bringen lassen oder direkt online bestellen.

Verkaufsschlager ist gerade „Die Pest“ von Camus, außerdem werden viele Dystopien und Krimis gekauft.