Buchjournal-Talk mit Alina Bronsky

Tyrannische Mütter mischen sich ein

6. Oktober 2010
Redaktion Börsenblatt
Überstarke Großmutter,  schwache Mutter, ausgelieferte Enkelin: Alina Bronsky erzählte heute morgen im Forum Focus über ihre aktuelles Buch "Scherbenpark" und die realen Vorbilder dazu. "Ich hab mich dabei sehr amüsiert, mich in die Großmutter hineinzuversetzen. Manche Leser hassen sie, andere lieben sie – es ist schwer zu beurteilen, ob sie wirklich unsympathisch ist."

Im Gespräch mit Buchjournal-Redakteurin Sabine Schmidt berichtete Bronsky, wie sie mit der Popularität über Nacht umgeht. "Wenn man in meinem Alter und mit drei Kindern als Fräuleinwunder der deutschen Literatur bezeichnet wird, dann muss ich das als Kompliment nehmen." Mit „Scherbenpark“ hatte Bronsky vor zwei Jahren plötzlich im Rampenlicht gestanden, der Roman ist heute Schullektüre.  Er  erzählt die Geschichte einer 17-jährigen Russlanddeutschen, die in einer deutschen Großstadt in einem sozialen Brennpunkt lebt, die den Mord an ihrer Mutter verarbeiten muss.

Bronsky arbeitete als Journalistin. "Im Moment bin ich allerdings in der glücklichen Lage, dass ich tatsächlich als Autorin leben kann. Auch wenn ich ja keinen langfristigen Vertrag als Autorin habe, fühle ich mich schon privilegiert." Es sei der schönste Beruf, den sie bislang gehabt habe, ein Traumberuf: "Herrlich, morgens nicht aus dem Haus gehen zu müssen und schreiben zu dürfen." Ein Büro habe sie nicht, aber sie nutze jede freie Minute, das klappe auch. Einen richtigen Schreibtisch besitze sie erst seit einem  dreiviertel Jahr.

Ihr aktueller Roman, "Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche“ (KiWi), erzählt die Geschichte dreier Frauen – überstarke Großmutter,  schwache Mutter, ausgelieferte Enkelin. Die Großmutter habe viele reale Vorbilder, die für eine bestimmte Generation stehe. "Das Spannungsfeld zwischen dem Alles-geben-wollen für die Familie, die Familienmitglieder durch den eigenen Willen aber auch kaputt zu machen, das hat mich sehr interessiert."  Sie bewundere die Entschlossenheit dieser Rosalinda: "Sie zieht ihre Meinung eisern durch, hat eine Stehaufmännchen-Mentalität, arbeitet in Deutschland als Putzfrau, obwohl sie Akademikerin ist, sie entwickelt in jeder Lage die Fähigkeit, Königin der Lage zu bleiben." Selbst als sie bereits 70 Jahre alt sei, betone sie ihre Weiblichkeit, achte auf sich, "das ist etwas sehr osteuropäisches. Bis heute klagen junge Frauen,  dass sie nicht das studieren durften, den Beruf ergreifen durften, den sie gerne gewollt hätten, weil ihre Mütter andere Lebenswege für sie vorhatten. Auch das Einmischen in die Partnerwahl, in die Erziehung der Kinder, das machen Frauen dort gern bis heute, und die jungen Frauen können sich nur schwer von diesen tyrannischen Müttern lösen." Manche Erfahrungen in den Büchern habe sie selbst erlebt, andere habe sie beobachtet, andere seien erdacht, fiktional.

Bronsky ist in Russland geboren, 1991 mit 13 Jahren nach Deutschland gekommen, hat im Wahnsinnstempo Deutsch gelernt. Wie hat sie ihre Ankunft in Deutschland erlebt? "Migrationsgeschichten hängen immer stark von den äußeren Umständen ab: Wird man als Jugendlicher gezwungen, umzuziehen, umzusiedeln? Bei mir war das ja freiwillig. Trotzdem habe ich am Anfang sehr fremd in einem neuen Land gefühlt, das hat schon seine Zeit gedauert, bis ich angekommen bin." Ihre Bücher thematisieren diese unterschiedlichen Welten - in einem perfekten Deutsch.