Mensch zu bleiben in einem gewältigen Konflikt – das heißt für den Friedenspreisträger 2010 vor allem: Hinzuschauen, die Augen offenzuhalten, das was passiert, beim Namen zu nennen und in eigene Worte zu fassen. Und: Immer wieder zum Gespräch über den Frieden aufzufordern, die Hoffnung auf ein Ende der Gewalt nie aufzugeben. In endlosen Zyklen von Gewalt und Mord zu leben, damit hätten sich viel zu viele Menschen im Nahen Osten wohl insgeheim abgefunden, fürchtet Grossman: "Wer aber die Möglichkeit des Friedens aufgegeben hat, ist schon geschlagen."
Neben der politischen Lage im Nahen Osten ging der Friedenspreisträger auch auf die Literatur, seine eigene, persönliche Erfahrung mit Hass und Gewalt und der Gegenkraft des Schreibens ein. Während er an seinem Roman "Eine Frau flieht vor einer Nachricht" schrieb, starb sein Sohn Uri durch eine Rakete der Hisbollah. Eine Woche später kehrte Grossman an den Schreibtisch zurück: "Zurück zu meiner Geschichte, die auf merkwürdige Weise einer der wenigen Orte in meinem Leben war, die ich noch verstehen konnte... Ich habe gelernt: Es gibt Situationen, in denen die einzige Freiheit, die einem bleibt, die des Beschreibens ist: Die Freiheit, mit eigenen Worten das Schicksal zu beschreiben, das über einen verhängt ist."
Dass die Israelis die Kraft finden, ihre Geschichte noch einmal neu zu schreiben, das wünscht sich Grossman für sein Land: "Auf dass wir nicht mehr Opfer werden, nicht unserer Feinde und nicht unserer eigenen Ängste". Nach der Rede gab es minutenlangen Applaus vom Publikum – unter den rund 1.000 Zuhörern aus Kultur und Politik war auch Bundespräsident Christian Wulff.
Laudator Joachim Gauck würdigte Grossman als einen "ganz besonderen Menschen", der sich beharrlich weigere, die "schäbige Uniform des Hasses" zu tragen. Und der mit der Zerreißprobe einer doppelten Loyalität leben müsse: "Grossmans so unbedingtes wie kritisches Ja zu Israel, dem Land, mit dem er sein eigenes wie das Leben seiner Kinder verbunden hat, lässt aber keinen Zweifel daran, dass sein Verständnis von Patriotimus nicht im Gegensatz steht zu seiner uneingeschränkten Bejahung der Menschenrechte, die den Respekt auch vor dem Anderen lehrt." Den Friedenspreis erhalte Grossman dafür, dass er sich unverdrossen weigere, Teil einer Vergeltungsmechanik zu sein, so Gauck: "Danke David. Du steht vor deinem Goliath, dem alltäglichen Hass - nicht einmal wie einst mit einer Steinschleuder. Aber du bist David."
Wo Argumente sich nicht mehr durchzusetzen vermögen, komme dem Werk, das nichts anderes tut, als das Schicksal der betroffenen Menschen zu erzählen, eine ganze besondere Bedeutung zu: Das machte auch Börsenvereinsvorsteher Gottfried Honnefelder deutlich. Grossmans Werk spreche von Hoffnung – "weil es sich weigert, dem Krieg in seinem Land, dem Krieg in aller Welt und dem Krieg in uns das letzte Wort zu überlassen".
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Seit 1950 vergibt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Preisträger waren neben Amos Oz und Teddy Kollek unter anderem Albert Schweitzer, Theodor Heuss, Astrid Lindgren, Václav Havel, Siegfried Lenz, Susan Sontag, Orhan Pamuk und im vergangenen Jahr Claudio Magris. Der Preis ist mit 25.000 Euro dotiert.